Am Erker 60

Marion Poschmann: Geistersehen

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Suhrkamp Verlag
Marion Poschmann

 
Rezensionen
Marion Poschmann: Geistersehen
 

Genau im Unschärfebereich
Rolf Birkholz

Testbilder, Störbilder, Spiegelungen, Trugbilder, Nachbilder oder unscharfe Jahreszeiten lauten die Kapitelüberschriften. Levitationen, Bilokation und Scheinbeweise werden thematisiert. In ihrem Gedichtband Geistersehen operiert Marion Poschmann an den Grenzen der Wahrnehmung, mitten im Alltäglichen, erprobt die Durchsichtigkeit der Dinge, die geistige Spiegelfähigkeit der Materie.
Das poetische Subjekt sieht zum Beispiel durch und zugleich fast mehr auf ein Busfenster, bringt Außen, gespiegeltes Innen und eigenes Innere in Beziehung. Es schaut von einer Brücke aufs Wasser und erlebt sich, in seinem Körper vom bewegten Wasser wiedergegeben, "in der kritischen Position von verzitterten// Bildern". Beim Blick durch Bullaugen wiederum erscheint das Meer "zu nah, daher zu fern. zu dicht. zu viel. zu sehr./ zu transparent."
Das trifft auf die meisten von der Autorin auf eine gewisse Durchlässigkeit und die gleichzeitige Fähigkeit, eigenen Vorstellungen Projektionsfläche zu bieten, hin betrachteten Dinge nicht zu. In "Erinnerungen an was" heißt es: "die Zartheit des Daseins attackiert uns schärfer und genauer/ übergenau bis zum Punkt einer neuen Unschärfe".
Vielleicht darf man bei den filigran gefertigten, gelegentlich auf den diskreten Charme des Gleichklangs setzenden, aus freien Versen wie auch als Sonette geformten Gedichten Marion Poschmanns manchmal auch an die gezielt verwischten Gemälde eines Gerhard Richter denken. Und als in all der bildgedanklichen Angehobenheit unversehens (in "Maria Schnee") von der gängigen Backzutat "Weißmehl 405" die Rede ist, wird die dem Thema geschuldete Geistersehersphäre mehlig geerdet. Es kann so ein einzelner Begriff einen ganzen hochmögenden Band auf einmal auf die Füße stellen.
Die in "vage Einsichten" geschilderte Badszene liefert im Übrigen einen schönen Schlüssel zur Betrachtungsweise der Autorin: "es fiel mir leicht, und doch  -  wie wäscht man Spiegelbilder?/ meins floh, es war nur schwer zu mir zurück zu bitten/ aus blindem Kondensat in diese Zimmerzeit// ich wischte weg, was war, ich sah mich mild und milder./ ich lag dort aufgebahrt in meinem Dämmerkleid./ ein grauer Gegenstand, um den die Nebel glitten."

 
Marion Poschmann: Geistersehen. Gedichte. 120 Seiten. Suhrkamp. Berlin 2010. € 17,80.