"Mit Brunnenfröschen kann man nicht
über den Ozean reden!"
Thomas Glatz
Im letzten Winter war
in Sachsens Hauptstadt die Ausstellung "Ohne
uns! Zur Kunst und alternativen Kultur in Dresden vor und
nach '89" zu sehen, zu der ein empfehlenswertes Begleitbuch
erschienen ist.
Im Westen hielt sich lange die Vorstellung, im Land der
Lipsi tanzenden Dederonstrumpfträgerinnen sei bis
in die 70er im sozialistisch-realistischen Stil gemalt
worden. Der geschickt inszenierte Hype um die vorgeblich
ungebrochene Malereitradition der Leipziger Schule der
zweiten Generation um Arno Rinke und der Neuen Leipziger
Schule um Neo Rauch tat ein Übriges, das Bild von
der Kunstausübung in Ostdeutschland zu verfälschen.
Dabei gab es vor der Implosion der DDR schon seit den 50ern
- wie hier anhand Dresdens gezeigt wird - einen Nährboden
für alternative Kunst und Untergrundkultur, die in ihrer
Qualität und Vielschichtigkeit überrascht und
in den 70ern und 80ern zu einer politischen Opposition
herangewachsen ist.
Im Begleitbuch zur Ausstellung wird neben der nichtsystemkonformen
Malerei der unangepassten, verbotenen, verfolgten und
ausgebürgerten Künstler auch die "nonkonforme
Festkultur", die gelebte "andere Kultur" in
Loschwitz und der Neustadt beleuchtet, die Mail-Art-Szene
um Birger Jesch, die Aktionskunst, die Multimediakunst
und die weibliche Subversion in der späten DDR. Lothar
Fiedler und der legendären Künstlerzeitschrift
"und" ist ebenso ein Aufsatz gewidmet wie der Theater- und der inoffiziellen
Literaturszene der 80er Jahre.
Auch die repressive "Kunstrezeption" seitens
des Regimes wird beleuchtet. So sollte die erste freie
Künstlergruppe "Lücke" um
A. R. Penck, Strawalde u. a. zersetzt werden, indem die
Mitglieder zeitverschoben zum Dienst in der NVA eingezogen
wurden. Perfider wurde es Anfang der 80er, als die Stasi
Bedingungen schuf, um Künstler zu Handlungen oder
Äußerungen zu verleiten, die gegen sie
verwendet werden konnten.
Der Lyriker Sascha Anderson zum Beispiel wurde als IM eingesetzt,
und Stasimitarbeiter wurden in der Literatur- und Oppositionsszene
aktiv. 1981 wurde das Atelier des Grafikers Helge Leiberg
verwüstet. Es wurde nichts gestohlen, nur ein
Spielzeugrevolver lag da, und eins der Bilder war mit den
markanten Strichmännchen seines ausgebürgerten
Freundes Penck übermalt. Der Grafiker mutmaßte,
die Täter seien Künstlerfreunde gewesen, die
ihm die Freundschaft zu Penck neideten. Das so entstandene
Gemeinschaftswerk stammte aber von einem Stasi-Mann, der
im Auftrag der "Operativen Kombination Totenhaus" um
Oberstleutnant Tzscheutschler handelte, um eine Künstlerintrige
zu inszenieren und einen Kreis von Künstlerfreunden
zu zerrütten.
In der Dresdner Kunst- und Oppositionsszene gibt es vieles
zu entdecken, was vom heutigen Kunstmarkt noch nicht kanonisiert
und aufgesogen wurde, die Fotografien von Gundula Schulze
Eldowy etwa, die Autoperforationsartisten oder die selbstorganisierte
Obergrabenpresse.
Das Brunnenfrösche-Zitat der Überschrift ist
von Ingo Sandner, der zu DDR-Zeiten liberaler Rektor
der Dresdner Kunsthochschule war und die Ansicht vertrat,
"die Vielgestaltigkeit der Stilrichtungen" sei "eine
Grundvoraussetzung für eine lebendige Kunstszene".
Tatsächlich kann man vielen Positionen der Dresdner
Künstler Hochseetauglichkeit attestieren.
Eine Chronik führt Projekte auf, die nach 1989 fortbestanden.
Auch im heutigen Dresden stößt man auf eine
lebendige, vielseitige Kunstszene, wie ich bei einem "Ozeangespräch"
mit Eckehard Fuchs von der Ateliergemeinschaft geh8 feststellen
konnte. |