Am Erker 59

Katalog 'Ohne uns'

Efau Verlag

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Efau-Verlag
Frank Eckhardt
Ohne uns Dresden
Geh8

 
Rezensionen
Frank Eckhardt / Paul Kaiser (Hrsg.): Ohne uns
 

"Mit Brunnenfröschen kann man nicht über den Ozean reden!"
Thomas Glatz

Im letzten Winter war in Sachsens Hauptstadt die Ausstellung "Ohne uns! Zur Kunst und alternativen Kultur in Dresden vor und nach '89" zu sehen, zu der ein empfehlenswertes Begleitbuch erschienen ist.
Im Westen hielt sich lange die Vorstellung, im Land der Lipsi tanzenden Dederonstrumpfträgerinnen sei bis in die 70er im sozialistisch-realistischen Stil gemalt worden. Der geschickt inszenierte Hype um die vorgeblich ungebrochene Malereitradition der Leipziger Schule der zweiten Generation um Arno Rinke und der Neuen Leipziger Schule um Neo Rauch tat ein Übriges, das Bild von der Kunstausübung in Ostdeutschland zu verfälschen. Dabei gab es vor der Implosion der DDR schon seit den 50ern - wie hier anhand Dresdens gezeigt wird - einen Nährboden für alternative Kunst und Untergrundkultur, die in ihrer Qualität und Vielschichtigkeit überrascht und in den 70ern und 80ern zu einer politischen Opposition herangewachsen ist.
Im Begleitbuch zur Ausstellung wird neben der nichtsystemkonformen Malerei der unangepassten, verbotenen, verfolgten und ausgebürgerten Künstler auch die "nonkonforme Festkultur", die gelebte "andere Kultur" in Loschwitz und der Neustadt beleuchtet, die Mail-Art-Szene um Birger Jesch, die Aktionskunst, die Multimediakunst und die weibliche Subversion in der späten DDR. Lothar Fiedler und der legendären Künstlerzeitschrift "und" ist ebenso ein Aufsatz gewidmet wie der Theater- und der inoffiziellen Literaturszene der 80er Jahre.
Auch die repressive "Kunstrezeption" seitens des Regimes wird beleuchtet. So sollte die erste freie Künstlergruppe "Lücke" um A. R. Penck, Strawalde u. a. zersetzt werden, indem die Mitglieder zeitverschoben zum Dienst in der NVA eingezogen wurden. Perfider wurde es Anfang der 80er, als die Stasi Bedingungen schuf, um Künstler zu Handlungen oder Äußerungen zu verleiten, die gegen sie verwendet werden konnten.
Der Lyriker Sascha Anderson zum Beispiel wurde als IM eingesetzt, und Stasimitarbeiter wurden in der Literatur- und Oppositionsszene aktiv. 1981 wurde das Atelier des Grafikers Helge Leiberg verwüstet. Es wurde nichts gestohlen, nur ein Spielzeugrevolver lag da, und eins der Bilder war mit den markanten Strichmännchen seines ausgebürgerten Freundes Penck übermalt. Der Grafiker mutmaßte, die Täter seien Künstlerfreunde gewesen, die ihm die Freundschaft zu Penck neideten. Das so entstandene Gemeinschaftswerk stammte aber von einem Stasi-Mann, der im Auftrag der "Operativen Kombination Totenhaus" um Oberstleutnant Tzscheutschler handelte, um eine Künstlerintrige zu inszenieren und einen Kreis von Künstlerfreunden zu zerrütten.
In der Dresdner Kunst- und Oppositionsszene gibt es vieles zu entdecken, was vom heutigen Kunstmarkt noch nicht kanonisiert und aufgesogen wurde, die Fotografien von Gundula Schulze Eldowy etwa, die Autoperforationsartisten oder die selbstorganisierte Obergrabenpresse.
Das Brunnenfrösche-Zitat der Überschrift ist von Ingo Sandner, der zu DDR-Zeiten liberaler Rektor der Dresdner Kunsthochschule war und die Ansicht vertrat, "die Vielgestaltigkeit der Stilrichtungen" sei "eine Grundvoraussetzung für eine lebendige Kunstszene". Tatsächlich kann man vielen Positionen der Dresdner Künstler Hochseetauglichkeit attestieren.
Eine Chronik führt Projekte auf, die nach 1989 fortbestanden. Auch im heutigen Dresden stößt man auf eine lebendige, vielseitige Kunstszene, wie ich bei einem "Ozeangespräch" mit Eckehard Fuchs von der Ateliergemeinschaft geh8 feststellen konnte.

 
Frank Eckhardt, Paul Kaiser (Hg.): Ohne uns! Kunst und alternative Kultur in Dresden vor und nach '89. 380 Seiten. Dresden 2009. € 24,80.