Schräge Vögel
Andreas Reikowski
Man kann sich nur zu gut vorstellen, wie
dieser Packen von 26 Geschichten seine Runde durch die
Lektorate gedreht hat. Wie schon bei der Lektüre
des Inhaltsverzeichnisses das große Stirnrunzeln
einsetzte, etwa bei Titeln wie "Der Harem des Harran-Al-Mera"
oder "Die Mau-Mau-WM". Und wie schon beim jeweils ersten Satz
das große Kopfschütteln kam:
"Alois Steiger, Schlosser von Beruf - wenn
auch nur mehr privat mit diesem Metier beschäftigt -
hatte auf der Dachterrasse seiner Wohnung, die sich im
achten Stock eines Mietshauses befand, ein Gerät
so groß wie eine Anrichte hergestellt und aufgebaut, dessen Zweck
sich auf Anhieb nur schwer hätte erraten lassen,
vage an eine Folterbank, einen Operationstisch erinnerte,
tatsächlich aber dazu dienen sollte, ihn selbst,
den Konstrukteur und Erbauer, zu einem vorgegebenen Zeitpunkt
in den Himmel zu katapultieren." ("Höhere
Sphären")
"An meinem achtzehnten Geburtstag trug mein Vater
seinen Schemel in den Korridor, stellte sich darauf und
schlug, gleich der Tür zu seinem Arbeitszimmer gegenüber,
einen Nagel in die ansonsten völlig leere Wand." ("Der
Nagel")
"Eine Zeitlang hatte ich den Eindruck, es sei meine
Frau, die mich am Nachdenken hindere." ("Temperaturen
einer Ehe")
Doch der kleine fhl-Verlag in Leipzig hat Ja gesagt, als
der Packen kam, Ja zu der eigenartigen, irren Welt, in
der die Helden Wolfgang Louis' ihr Dasein fristen
bzw. beenden müssen. Und es gehört verlegerischer
Mut dazu, einem Mittvierziger und seinen Erzählungen
die Tür zu einem Literaturbetrieb zu öffnen,
in dem man "eigentlich" als
Jüngling mit einem "authentischen" Roman
zu debütieren hat. In dem Erzählungsband
Die zerbrochenen Engel gibt es hingegen zu entdecken:
einen jederzeit griffbereiten, reichen Wortschatz, eine
geschliffene, aber nicht überbordende Sprache und
einen unglaublichen Einfallsreichtum, der jedoch an keiner
Stelle "gewollt" oder gar "künstlich" wirkt.
All das macht die Lektüre zu einem Vergnügen,
das man sich allerdings einteilen muss, wenn man möglichst
lange davon zehren möchte. Louis beschreibt durchweg
schräge Vögel mit einem mehr oder weniger großen
Knall in der Birne, und er tut dies selten ohne Hinterlist:
Was in einem wie selbstverständlichen und teilnehmenden
Plauderton beginnt, bleibt lange stur im "Realen" -
kippt jedoch irgendwann in einen bis dahin vom Leser unbemerkten,
vom Autor aber längst ausgehobenen Abgrund. Weil
Louis dabei stets die Contenance bewahrt und nie etwa sadistisch
wird, schildert er die absonderlichsten Schicksale und
Berufsalltage unter Berücksichtigung auch höchster
Ansprüche an literarische Unterhaltung: Man hört
eine feine, zivilisierte Stimme - und liest aberwitzige
Miniaturen.
Es fällt schwer, für die Texte Vorbilder zu
finden und Einflüsse auszumachen, auch nur
Ähnlichkeiten festzustellen. Sie "wollen" oftmals
nichts, sie spielen in ihrer eigenen Zeit, sie enden offen,
sie sind eben wie ein Kunstwerk, das einfach sagt: Ich
bin da. Es gilt, einem Erzähler zuzuhören, dessen
diskreter Stil in Jahrzehnten der Isolation zu etwas ganz
Eigenem gereift ist.
Wolfgang Louis weiß, wovon er spricht; sein bunter
Lebenslauf hat ihn herumgebracht im Land, und er ist ihm
in den unterschiedlichsten Jobs und an den absonderlichsten
Orten mit offenen Augen und wachen Sinnen gefolgt. Das
erzeugt eine Liebe zum Detail, zum Fachausdruck, zur präzisen
Beobachtung, und all das ist in jeder Geschichte zu spüren,
es zeichnet sie aus: Genau das allerdings macht sie für
manche Verlage so unerträglich anders - und für
anspruchsvolle Leser so unvergleichlich gut. Ihre volle
Wirkung entfalten sie, wenn der Autor sie vorträgt;
er gehört
zu den Wenigen, die das wirklich können. |