Am Erker 59

Poet 7

Poet 8

SpritZ 192

SpritZ 193

edit 50

edit 51

Kritische Ausgabe 18

plumbum 10

die horen 234

die horen 236

die horen 237

Signum 11/1

Schreibheft 74

Neue Rundschau 120/4

Neue Rundschau 121/1

Kultur und Gespenster 9

Text + Kritik 185

Krachkultur 13

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Kultur & Gespenster
Krachkultur
Text + Kritik

 
Zeitschriftenschau 59
Andreas Heckmann
 

Das Magazin poet, das aus dem Internetportal poetenladen.de hervorgegangen ist, hat im Februar den mit 15.000 Euro dotierten Hermann-Hesse-Preis für Literaturzeitschriften gewonnen, der alle vier Jahre verliehen wird - so an das Schreibheft (1994), den Erker (1998), Edit (2002) und Sprache im technischen Zeitalter/SpritZ (2006). Herzlichen Glückwunsch an Andreas Heidtmann und seine Mitstreiter!
Als wollte die Redaktion zeigen, wie sehr sie diesen Preis verdient, hat sie mit Nr. 8 eine nahezu olympische Ausgabe auf den Weg gebracht, die mit einigen Gedichten von Wulf Kirsten beginnt, lässigen Wunderwerken, wie sie viele Verseschmiede ihr schweißerfülltes Leben lang nicht zuwege bringen. Auch Nadja Küchenmeister ist mit schönen Beiträgen vertreten, mit "von der zeit" etwa: "nicht viel behalten: die ohren immer auf musik/ den walkman halb am gürtel festgeklemmt/ halb in der hand und aus verlegenheit die schultern// hochgezogen: so blickt dich deine ungeformte/ schwermut an. das weizenblonde deiner haare/ die schluppen und der ringelpulli."
Was Prosa angeht, überzeugt Monika Radl mit einem Auszug aus ihrer Novelle Sunshine, in dem eine Fußmasseurin - "Kim lebt genügsam und mag fremde Füße" - Besuch von Zwillingsbrüdern bekommt, die sich zum Geburtstag etwas gönnen. Als Kim dem "Minutenjüngeren" die Füße massiert, stellt sie sich die Frage: "Wäre die Ferse ein kugelförmiges Behältnis am Rande jedes Körpers, eine Schatulle für abgelegte Wünsche, was flöge in seiner herum?"
Die Gespräche, die der poet mit Autoren führt, gehören zum Besten, was es im deutschsprachigen Raum an Schriftstellerinterviews zu lesen gibt - und das nicht nur, weil die Zeitschrift eigens einen Redakteur dafür hat, sondern weil auch die Fragenden (diesmal u.a. die Autorinnen Carola Gruber und Katharina Bendixen sowie Edit-Redakteur Jan Kuhlbrodt) einen literarischen Sensus haben, der zu spannenden Gesprächen führt. Wenn dann ein Autor wie Jan Faktor, dessen wunderbarer Prager Schelmenroman Georgs Sorgen um die Vergangenheit dieses Jahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, so selbstironisch wie offen aus der Schreib- und Lebensschule plaudert, darf ohne jede Übertreibung von einer Sternstunde des Literaturinterviews die Rede sein.
Schon im Herbst hat poet 7 einen Lyrikschwerpunkt auf Argentinien gelegt, das Gastland der nächsten Frankfurter Buchmesse. Der Autor und Übersetzer Timo Berger hat ein entsprechendes Dossier zusammengestellt, in dem zumal "el nube:/ der wolke:" von Violeta Kesselman überzeugt. Und auch Hildegard Knef wird zitiert: "Ich jogge nicht, ich laufe Amok!"

SpritZ 193 stellt die Teilnehmer der Berliner Autorenwerkstatt Prosa 2009 vor, eines offenkundig sehr guten Jahrgangs. Mit dunkel glühender Sprachgewalt lässt Emanuel Maeß in "Johannistage" seinen Ich-Erzähler der Kindheit im Pfarrhaus der Großeltern bei Jena nachspüren und Windböen in die Baumkronen fahren; möge sein hoher Ton wie ein Sturm ins Konversationsgewäsch weichgespülter Gegenwartsliteraten wehen und es verblasen! Auch Kristina Schilke, 1986 in Tscheljabinsk geboren und bei weitem die Jüngste im Bunde, legt mit "Das Wundervolle an uns" eine überzeugende Talentprobe vor, in der sich die Tochter ein annähernd unbeschwertes Leben in München geschaffen hat, als ihre Mutter aus dem Bayerischen Wald anruft: "Durch das Telefon hörte Linna den sauren Belag auf der Stimme ihrer Mutter. Der Doktor hot gsogt, mir versuchns trutzdem nomoi mit Kemotherapie. Trutzdem. Weil - I bin ja no jung." Auch Andreas Martin Widmann, in dessen Roman Die Glücksparade der fünfzehnjährige Ich-Erzähler der sich stets verschärfenden finanziellen und sozialen Misere der Eltern auf einem Campinggelände zusieht, wo der Vater als Platzwart amtiert, entwirft eine große Szene, die literarisches Ingenium bezeugt: Der Junge bekommt von seinem angetrunkenen Erzeuger einen Anruf und soll den Verunglückten bei Neuschnee aus dem Straßengraben bergen - ein groteskes, quälendes und unvergessliches Szenario.
In Heft 192 geht Volker Kaminski dem "Geheimnis der Siedlung" nach und gewinnt dem vertrauten Setting eines Besuchs bei den Schwiegereltern irritierende Momente ab. Uwe und Sara verbringen brütendheiße Tage in der Vorstadthölle und stellen fest, dass Saras Eltern aus der Zeit gefallen sind und in einem Kokon altern. Ringsum scheinen die Uhren stillzustehen, was Uwe unbehaglich ist. Als bei Nachbarn in der Tagesschau Willy Brandts Rücktritt im Zuge der Guillaume-Affäre (1974) gemeldet wird, ist er frappiert. Tage später beobachtet er durchs Fenster, wie Deutschland 1970 im WM-Halbfinale 4:3 gegen Italien verliert - und erneut ist es keine Wiederholung ...

Seit Edit sich mit Nummer 50 ein neues, sprödes Outfit zugelegt hat, ist's mit der Herrlichkeit vorbei: Enthielten frühere Ausgaben oft con amore erzählte Prosa, dominiert nun eine seltsam ältlich anmutende Konzeptliteratur, der ein Hang zu vorauseilender Rechenschaftslegung anhaftet. Immerhin ist Lilienfeld-Verleger Axel von Ernst in Heft 51 mit "Eine lange Geschichte" vertreten, einer kurzen Geschichte, in der Werner Waginowski jahrzehntelang zur Arbeit fährt und früh an Krebs stirbt. "Einmal", heißt es da, "hatte Werner Lust, etwas zu machen, was er sonst nie machte. Er wollte zum Beispiel immer schon mal wissen, wohin dieser Weg führte, an dem er jeden Tag auf der Strecke zur Arbeit und von der Arbeit nach Hause vorbeifuhr." Was ihm bei dieser Gelegenheit auf einer halben Edit-Seite widerfährt, lohnt die Lektüre.

In der Kritischen Ausgabe, deren achtzehntes Heft der Familie gewidmet ist, erzählt Dietmar Hübner vom Wiedersehen eines Liebespaars nach zehn Jahren. Schüchterne Nähe stellt sich ein, obwohl die Geliebte von damals in Holland glücklich verheiratet ist und eine Tochter hat - eine schöne, melancholische Etüde über ein unerschöpfliches Thema. Lesenswert auch der Essay von Florian Radvan über seinen Lehrer W.G. Sebald.

Warum müssen die jungen deutschen Schriftsteller bloß alle nach New York? Und warum können sie nicht über ihre dortigen Eindrücke schweigen? Die zehnte Ausgabe von plumbum bietet einmal mehr Gelegenheit zu diesen Stoßseufzern. Aber die Linolschnitte sind wieder ganz wunderbar und rechtfertigen den Erwerb des in 400facher Auflage im LP-Format erschienenen Hefts unbedingt.

"Vergangen und vergessen" - unter diesem Titel widmet sich Band 234 der horen Revisionen und Entdeckungen. So erinnern Guntram Vesper, Otto Jägersberg und Peter Kirchhof an den Verleger, Autor und Fährtensucher V.O. Stomps (1897-1970), der 1924-37 in Berlin die Rabenpresse und 1949-67 in Hessen die legendäre Eremiten-Presse betrieb.
Band 236 ("'Starke Stimmen' oder die Lust am Schönen") beschäftigt sich u.a. mit Adolf Endler und bringt ein ausführliches, bisher unveröffentlichtes Gespräch, das Jürgen Verdofsky im Oktober 2007 mit dem 2009 verstorbenen Autor in dessen Berliner Wohnung geführt hat. Auch erinnert Herbert Wiesner an den Lyriker Johannes Schenk (1941-2006).
"Der Sprung über die Kante" lautet der Titel von Nummer 237, in der es vor allem um den Erzähler Gerd-Peter Eigner (*1942) geht, der 1960 nach Paris zog, 1971 freier Schriftsteller wurde, mehr als zwanzig Jahre lang mit wechselnden Wohnsitzen durch die Welt reiste und seit 1998 in Berlin lebt. Vielleicht hätte man statt vieler Würdigungen literarischer Weggenossen den Autor selbst, der in der dva und bei Hanser veröffentlicht hat, stärker zu Wort kommen lassen sollen. Reizvoll sind ein Ausschnitt aus dem Roman Golli (1978), der vom Lächeln der Schwäne handelt, und aus Mitten entzwei (1988), der eine Phänomenologie der Wolken bringt - unter besonderer Berücksichtigung des nordwestdeutschen Himmels bei der Annäherung an Wilhelmshaven mit dem Zug.

In Signum 11/1 erzählt Rudolf Scholz von dem äußerlich ereignislosen Leben der mit empathischer Beobachtungsgabe gesegneten Bibliothekarin Anne, die bereits vor der Wende in einer ehrwürdigen Kleinstadtbibliothek Dienst tat und einmal mehr an ihren Arbeitsplatz kommt, um den Betrieb allein zu bewältigen und abends eine Lesung mit dem Schriftsteller Ottfried Gorgas abzuhalten. Der auf Moll gestimmte Ton des 1939 in Schlesien geborenen Scholz entfaltet einen schwermütigen Sog, und es steht zu hoffen, dass sich die Geschichte in diesem Ton überzeugend weiterentwickelt. Auch enthält das Heft mit Dorothea Dieckmanns "Sommer in Dresden" einen Gedichtzyklus der Dresdner Stadtschreiberin 2009, eine sprachverliebte, geistesgegenwärtige und kundige Eloge auf die Stadt.

Unter dem Titel "Die leere Seite" bringt Schreibheft 74 ein "Inger-Christensen-Alphabet", das der 2009 verstorbenen dänischen Dichterin gewidmet ist. Neben Hommagen von Kollegen und Literaturkritikern enthält es viele deutsche Erstveröffentlichungen teils recht entlegener Texte der Autorin, aber auch das dänische Original und eine englische und französische sowie zwei deutsche Übersetzungen des Meistersonetts aus ihrem Sonettenkranz "Das Schmetterlingstal". Berührend sind zumal die persönlichen, im Autoren-ABC versteckten Erinnerungen der Übersetzer Hanns Grössel und Norbert Hummelt sowie die Beobachtungen von Lutz Seiler, dessen Kinder die Sommervögel des Gedichts, die man auf Dänisch "Sommerfuhle" ausspricht, noch wochenlang plappernd im Mund führten. Auch die aus Zeitungsüberschriften collagierten Texte "Das ahnungslose Fleisch der Aprikose" und "Die elternlose Aprikose" von Herta Müller sind lesenswert.

Heft 120/4 der Neuen Rundschau ist dem Schriftsteller, Arzt und Psychiater Hans Keilson zum 100. Geburtstag gewidmet. Keilson, dessen erster Roman noch im Erscheinungsjahr 1933 verboten wurde, arbeitete bis 1936 in Berlin als Sportlehrer, emigrierte als Jude nach Holland, wurde während der deutschen Besatzung versteckt und betreute jüdische Kinder, die im Versteck auffällig wurden. Nach Kriegsende setzte er sich als Psychiater weiter mit deren Lage auseinander und legte 1979 die bahnbrechende Studie "Sequentielle Traumatisierung bei Kindern" vor. Im Gespräch lässt Keilson sein Leben Revue passieren. Beiträge zu seinen literarischen und wissenschaftlichen Arbeiten runden das Heft ab.
Die von Michael Lentz herausgegebene Nr. 121/1 "Prosa Leipzig" soll die Vielfalt der Stimmen am Deutschen Literaturinstitut vorstellen, hat den Rezensenten aber recht kalt gelassen - bis auf den Beitrag "Heideggerhosen" von Christian Kreis, in dem es zunächst nur um Cordhosen und um Fred Astaire in Top Hat geht, dem Musical, in dem er mit Ginger Rogers zu "Dancing Cheek to Cheek" tanzt und steppt; und darum, dass an die Stelle der Versandhaushosen ("Den Untergang des Hauses Quelle kann ich nur mit Genugtuung betrachten") H&M-Jeans treten, ohne dass damit das Problem gelöst wäre, wie man sich mit Maria aus der AG Grenzwertberechnung zum Tanzen verabredet.
Hat man sich aber durch die Leipziger Elaborate gekämpft, stößt man in der "Carte Blanche"-Sektion aufs erste von zwei Hubert Fichte-Specials zum 75. Geburtstag des Hamburger Autors und Lebenswelten-Dokumentars. Zumal die "Aufzeichnungen aus dem Hirtenleben in der Provence", die 1954 (Fichte war 19) in der Studentenzeitschrift Antares erschienen (und seither nicht wieder), sind ungemein kraftvoll: "Über mir lodert die Milchstraße. Irgendwo summt ein Lastwagen, und für Sekunden schwingt all mein Fernweh mit in dem Geräusch dieses Fahrzeugs", bringt der junge Hirte, der aus Hamburg-Lokstedt geflohen ist, zu Papier. "Die Bäume und Büsche lispeln. Unruhig häufen sich die Schafe. Unablässig orgelt am Nachmittag der Mistral. Er ist noch nicht ganz heruntergekommen, aber schon entführt er ein Schellengeläut und wirft es von der entgegengesetzten Seite an mein Ohr, als hätte ich Schafe verloren, die hinten mit einer einzigen Glocke herumirrten. Aber bevor ich mich vergewissern kann, schallt das trügerische Läuten wieder von anderswo." Das ist ganz modern und steckt doch noch in den 50ern. Und es hat eine enorme Poetizität, die Fichte sich später zugunsten nüchternerer Ansätze versagt hat.

War die erste der beiden Hochstapler-Ausgaben von Kultur & Gespenster noch sehr unterhaltsam, so hat sich der Rezensent bei deren jüngerer Schwester rasch gefragt: Wozu jetzt das? Nachdem das Pulver nahezu verschossen ist? Immerhin gibt es eine charmante Fotostrecke mit Werbepostkarten der Berliner Look-Alike-Agentur Rosemarie Fieting, die 1987 im Märkischen Viertel gegründet wurde und manche "Madonna Louise Ciccone" und "Norma Jeane Mortenson" im Angebot hatte. Und Sebastian Burdach schreibt über Herbert Achternbuschs Bierkampf (1976) viel Kluges, etwa: "Achternbusch spielt hier einen Anti-Hochstapler, der nur vorgibt, ein Hochstapler, ein falscher Polizist zu sein. Er gibt sich aber gar keine Mühe, irgendwelche Erwartungen an diese Polizisten-Rolle zu erfüllen. Im Gegenteil ist er von der ersten Minute an, als er sich uniformiert durch die Menschenmenge drängt und dabei immer wieder 'Vorsicht, Polizei' ruft, nur darauf aus, die Rolle selbst, die er gerade vorgeblich spielt, als untauglich vorzuführen und zu zerstören. Er hat die Uniform nur angezogen, um damit Dinge zu tun, die ein echter Polizist oder ein vergleichbar Respekt heischender staatlicher Amtsträger bei der Ausübung seines Berufs keinesfalls tun würde."

Was mag Martin Brinkmann bewogen haben, in Ausgabe 13 der Krachkultur eine sechzigseitige Auswahl von Texten des Nationalbolschewisten Edward Limonow zu präsentieren? Auch wenn die Antwort dem Rezensenten ideologische Bauchschmerzen bereitet: Es dürfte die literarische Qualität gewesen sein. Denn was Limonow etwa in dem trostlosen New Yorker Hotelzimmertext "Mussolini und andere Faschisten" behandelt, ist zwar bisweilen forciert viril und deutlich genug trieb- und aggressionsgesteuert, schlägt aber immer wieder ironische Volten und bindet das markige Gerede an die trüben Bedingungen seiner Möglichkeit: "Und so lebte ich im Embassy. Von meinen alten Bekannten kreuzte nur noch Jan bei mir auf, und mein einziger enger Freund war in dieser Zeit mein Fernseher 'Adventurer'. Ich denke an seinen verstaubten kleinen grauen Plastikkörper wie an den Körper eines Freundes. Eine Schramme auf der Stirn über dem Bildschirmgesicht, scharfe Runzelsprünge unter dem Kinn. Er teilte schlimme Alkoholexzesse und die Schrecken der Einsamkeit mit mir. In seiner Gesellschaft lächelte ich, schrie, weinte, tanzte Tango, Walzer, Rock 'n' Roll. Angezogen, halbnackt, nackt. Was denkt ihr denn, was einsame Typen in den Hotelzimmern so tun? Na eben das, was ich tat: Sie pflegen ihren Wahnsinn."
Nach dem Ende der Sowjetunion kehrte der in die USA emigrierte Limonow nach Moskau zurück und bewegte sich im rechtsradikalen Spektrum, und das soll nicht verharmlost werden. Und doch ist gegen den Sog einer solchen Textstelle schwerlich ein Kraut gewachsen: "Wir warfen uns alles über, was wir nur finden konnten: unsere Mäntel, den Überzug vom Sofa - und kopulierten verzweifelt unterm Porträt von Mussolini im grünen Helm auf rotem Hintergrund. (...) Von dem zu engen Gummi hattest du an der Taille eine rote Vertiefung. Ich habe deine rote Vertiefung geküsst. Wie, war das jetzt die neue nationalbolschewistische Ästhetik, sich mit der Parteigenossin unter dem Porträt von Benito Mussolini zu vereinigen? Meine doofen Schriftstellerkollegen können diese neue Welt - zwei Paar Armeestiefel und zwei Jeans vors Sofa geworfen - nicht verstehen. Mit einem Mädchen, das, wie sich herausstellt, kein einziges Kleid besitzt und nie einen Rock anhat. Am Morgen sahen wir, dass das Fenster oben auf war und es hereingeschneit hatte. Im Tageslicht warst du ganz weiß, wie der Winter, wie die Milch." Es ist Martin Brinkmann und der Übersetzerin Barbara Lehmann, die von Tschechow bis Sorokin manches übertragen hat, hoch anzurechnen, ohne ideologische Scheuklappen auf einen brillanten Autor aufmerksam gemacht zu haben, der Pelewin, Dostojewski, Bukowski und sein eigenes Leben zu einem starken Sud verköchelt hat.

Schließlich sei den Fans des Göttinger Universalgelehrten Hans Jürgen von der Wense (1894-1966), dessen Werk aus versprengten Veröffentlichungen - zumal Kompositionen sowie Übersetzungen aus entlegenen Sprachen - besteht, der aber in Heften und Mappen enorme Stoffsammlungen und zudem ein nicht mehr nur von Eingeweihten geschätztes Briefwerk hinterlassen hat, Band 185 von Text + Kritik ans Herz gelegt, der neben einer akribischen Bibliografie zwei schöne, in lesbarster Wissenschaftsprosa verfasste Aufsätze enthält: Rainer Niehoff berichtet inspiriert und aus intimer Textkenntnis, wie sich Wandern und Schreiben bei Wense gegenseitig befruchteten: "Kleiner Raum also, hohe Geschwindigkeit, lange Laufzeit, schlechtes Schuhwerk, gute Antriebsaggregate und querfeldein mit Messtischblättern: Was sucht dieser Schatzgräber in den deutschen Mittelgebirgen? Zunächst sucht Wense nach Namen, Zeichen und Ereignissen, nach landschaftlichen, geografischen, historischen und kulturellen Auffälligkeiten, die durch die gewissermaßen übergroße regionale Nähe unsichtbar geworden sind; er spaziert nicht vor sich hin, sondern erkundet Übergänge, eigentümliche Zwischenräume, Bruchstellen, 'Einhakungen, Scharniere oder Geflechte' der Landschaft und des Wissens - Orte und Punkte also, die nicht 'Ziele' sind, sondern Schnittstellen markieren, Verbindungen herstellen, Linienverläufe skizzieren."
Auch Harald Kimpels Text über Wense als Besucher der documenta 1-3 (1955-64) ist herrlich zu lesen, weil er in die bescheidene Frühgeschichte der inzwischen so berühmten Ausstellung führt und beschreibt, wie sich ein exzentrischer Querdenker zur Restaurationszeit im Provokationsgehege der modernen Kunst bewegte.

 
  • poet - literaturmagazin 7 und 8. Je € 8,80.
  • Sprache im technischen Zeitalter/SpritZ 192: Orte, Zeiten; 193: Berliner Autorenwerkstatt Prosa 2009. € 12 (Heft 191) bzw. € 14 (Heft 193).
  • Edit 51. € 5.
  • plumbum 10. € 8.
  • Kritische Ausgabe 18: Familie. € 5.
  • die horen 234: Vergangen und vergessen; 236: Starke Stimmen; 237: Der Sprung über die Kante. Je € 14 (Hefte 234, 236) bzw. € 16,50 (Heft 237).
  • Signum 11/1. € 8,20.
  • Schreibheft 74: Die leere Seite - ein Inger-Christensen-Alphabet. € 12.
  • Neue Rundschau 120/4: Hans Keilson (100); 121/1: Prosa Leipzig. Je € 12.
  • Kultur & Gespenster 9: Hochstapler II/II. € 12.
  • Krachkultur 13. € 10.
  • Text + Kritik 185: Hans Jürgen von der Wense. € 19.