Janusz Rudnicki
(Ausschnitt)
(...) Ich stehe auf der Straße und schimpfe.
Ich schimpfe auf Schlesien. Ohne Schlesien keine Schlesischen
Klöße. Ich schimpfe auf Polen. Ohne Polen keine Gastfreundschaft.
Und ich schimpfe auf die Menschheit. Ohne Menschheit keine Gäste.
Ich fühle mich als kaputtes Teil von etwas, das mich nicht
mehr braucht. Ein Teil, auf das es auch noch regnet. Und dem übel
ist, weil es eine rohe Kartoffel gegessen hat. Am liebsten würde
ich ausholen und mit dem Glas Gottes Fensterscheiben einwerfen.
Gott schläft oder sitzt da, und plötzlich rollt ihm
ein Glas Kartoffeln vor die Füße. Ein Glas von einem
wie mir. Ich mache mich lustig, und es gibt kein Kartoffelmehl.
Und keinen Gott.
Ich gehe weiter.
Oh, meine Polacken! Da stehen meine Polacken und verkaufen! Heute
ist Flohmarkt. Puuuutt, putt, putt, Polacken! Die ganzen gemusterten
Pullöverchen! Die ganzen Schnurrbärte und Schnurrbärtchen!
Die ganzen weißen Söckchen! Die ganzen aufgedonnerten
Gesichter! Vielleicht helfen sie ihrem Landsmann. Vielleicht haben
sie Mehl - wer weiß? Schließlich haben sie alles.
"Haben Sie Kartoffelmehl?"
"Was?"
Er versteht mich nicht. Ich rede Polnisch, und ein Pole versteht
mich nicht! Ich sehe mich um - wogegen könnte ich das Glas
schmettern? Vielleicht doch gegen seinen Schädel? Aber er
fragt "Mehl?" - "Sie sind hier Verkäufer,
und Sie sind taub? Mehl! Kartoffelmehl! Ohne Kartoffelmehl kann
man keine Klöße machen!", schreie ich, weil ich
die Nerven verliere.
"Warum sollten wir Kartoffelmehl haben? Aber wir haben billige
Kristallkaraffen. Wenn Sie das Mehl da reintun, sieht es wunderbar
aus."
"Schieben Sie sich Ihre Karaffen in den Hintern!", sage
ich kochend und will gehen, aber plötzlich muß ich
mich übergeben. Direkt auf seine Karaffen und Andachtsbilder.
Ich würge einmal, zweimal, dreimal. Sofort sind alle still.
Dann schreit einer: "Faschist!" Meine Polacken haben
mich umkreist. Sie würden mich gern verprügeln, doch
plötzlich erscheint - wie es nur in Büchern passiert
- ein Polizist und fragt: "Was ist hier los?"
Ich erkläre es ihm. "Ich bin kein Faschist. Ich bin
nur ein kranker Pole. Ich habe eine rohe Kartoffel gegessen, und
danach ist mir übel geworden."
Dann der Verkäufer: "Sie müssen mir alles abkaufen.
Alles!!" Er zählt die Sachen auf. "Das und das
und das!" Machte zusammen dreihundert Mark.
"Es regnet doch gleich", sage ich. "Dann wird alles
sauber." Aber ich überlege, ob ich genug Geld dabei
habe, nehme mein Portemonnaie heraus und bezahle. Der Polizist
geht weg, denn er ist nicht mehr nötig. Die anderen Polacken
sind eifersüchtig auf den Kristallglasverkäufer.
"Du bist aber ein Glückspilz!", meinen sie, und
eine Frau sagt, wenn mir das nächste Mal übel sei, solle
ich zu ihr kommen. Der Kristallglasverkäufer legt sich zum
Schlafen in den Bus, und ich bleibe mit dem ganzen Kram allein.
Wenn ich schon dafür bezahlt habe, gehört er mir auch.
Plötzlich regnet es, ich spüle alles ab und bleibe stehen.
Vielleicht verkaufe ich ja was.
Die Deutschen wollen Kaviar, Wodka, Zigaretten. Sie sprechen mit
mir, als sei ich taub, obwohl ich Deutsch mit ihnen rede. Einen
frage ich, warum er so laut schreit. Schließlich spreche
ich seine Sprache. Wenn ich ihn nicht verstehen würde, wäre
es schließlich egal, wie laut er schreit. Na ja. Er denkt
kurz nach, geht weg, erinnert sich an Aal, kommt zurück und
schreit wieder laut: "Aal!" Er zeigt mit den Händen
etwas Langes und Dünnes. Er hat Ohren am und Grips im Kopf,
aber die sind scheinbar aufeinander sauer.
"Ta-sche!", schreit eine Kundin auf Polnisch einer deutschen
Verkäuferin zu, zeigt der verwirrten Frau die Haut ihrer
Hand und wiederholt:
"Ta-sche! Aus Haut!"
Der deutsche Verstand kombiniert. Die Deutsche vermutet Handschuhe
und gibt sie ihr. Der polnische Verstand schnaubt und denkt, der
deutsche Verstand sei taub. Ich erkläre dem polnischen Verstand,
daß es für Haut und Leder im Deutschen zwei Worte gibt.
Aber der polnische Verstand sagt: "Häh? Wieso zwei?"
Einfache Leute sind rührend. Wenn ihr Verstand etwas versteht,
kann er nicht verstehen, daß der Verstand anderer es nicht
versteht. Deshalb sprechen sie laut, langsam und deutlich. Einfache
Leute sind sehr nützlich, weil sie mir ermöglichen,
ein Besserwisser zu sein.
Ich sitze da und denke nach. Egal, wo man reinkommt - es gibt
immer einen Ausgang. Und alles kann man bezweifeln. Man kann mit
sich selbst streiten. Hamlet denkt wie ein Kind an den Geist seines
Vaters. Er erfindet sein eigenes Theaterstück und will, daß
Schauspieler ihn vom Mord überzeugen. Ausgerechnet Schauspieler!
Was für eine Idee! Das Theater, die Bühne der Illusionen,
soll ihm das corpus delicti liefern. Ausgerechnet das Theater!
Und sollte das nicht gelingen, wird er den Geist seines Vaters
für ein Zeichen seiner kranken Einbildungskraft halten. Wenn
man annimmt, Hamlet falle auf die Dummheit des Polonius rein,
warum fällt Polonius dann auf den Wahnsinn Hamlets rein?
Warum glaubt Polonius, Hamlet halte ihn für einen Fischhändler?
Wenn man annimmt, Polonius sei der, für den Hamlet ihn hält
- warum hat ihn der kluge und rechtschaffene Vater Hamlets dann
an seinem Hof geduldet? Ein Theaterstück wie ein löchriger
Käse.
Der Flohmarkt geht zu Ende. Ich helfe meinen Landsleuten beim
Einpacken ihres Krams, stecke meine Kristallkaraffen in einen
Sack und nehme ihn auf den Rücken. Ich bleibe noch einen
Moment stehen. Der Bus mit den Polen fährt an und bremst
gleich wieder. Der Fahrer macht die Tür auf, lehnt sich raus
und ruft:
"Warum stehen Sie da noch rum? Steigen Sie ein - wir fahren
ab."
- aus dem Polnischen von Anna Serafin
und Andreas Heckmann
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