Während ich näherkam
Rolf Birkholz
Sie hat den Schlüssel gefunden, befindet sich schon am schwer zugänglichen Ort. Wenn Nadja Küchenmeister einen Gedichtband nach dieser märchenhaften Erhebung Im Glasberg benennt, sich auf die Grimms beruft ("Wenn du das Beinchen nicht hast, kannst du den Glasberg nicht aufschließen") und die Sammlung gleich mit dem Titelgedicht eröffnet, liegt es nahe, dass hier auch ein Märchenlicht die Dinge ins Wirkliche taucht.
Und bereits der erste Vers, "die sonne ist der mond", weist auf geänderte Lichtverhältnisse, während der zweite, "mein auge ist ein stern unter sternen", auf den Schlüssel zeigt, den im Märchen Die sieben Raben ein Stern gibt. An anderer Stelle, im verblüffend treffenden Mondgedicht "früher mond", bei einem Nachtspaziergang: "ständig änderte ich die richtung, oder / war er es, der die richtung änderte für mich / ecken, um die er mich lotste, sich auszuruhen // vor meinem blick". Und "während ich näherkam, kam / der mond, kam sichtbar, sichtbar nicht näher."
Dann wieder erscheint der Mond als "gleißendes sonnenlicht" ("die helle seite des mondes") oder "die sonne wird dunkler an ihrem rand." In Anspielung auf den Sonnengesang des Franz von Assisi werden Sonne und Mond zu Geschwistern; auch der Mönch selbst tritt einmal in Gestalt eines modernen Bettlers als "der ordensmann" auf.
Überhaupt werden in den endreimlosen, oft aus Terzinen gefügten Gedichten sowohl Erinnerungen an die Kindheit, ans frühere Zuhause, als auch Gegenwärtiges klar benannt, scharf konturiert und zugleich wie in jenem Märchenschein betrachtet. Von den fernen Himmelskörpern richtet sich der Blick immer wieder auf alltägliche Umgebungen, dringt die Glasbergbesucherin ("mein ring mein herzstück") geradezu kardiologisch bis ins Herz vor.
Wie mit den Augen tastend bewegt sich das Subjekt dieser Verse durch (Erinnerungs-) Räume, "an der garderobe / hängt dein schwacher abdruck, mantel, ärmel / ohne muskeln, ohne geschichte kann ich nicht // nach hause gehen".
Eine abgebrochene "antenne sucht noch immer nach signalen // an die sich niemand mehr erinnern kann".
In "wurzeln", nach denen hier auch geforscht wird, steht die Frage: "was zeigt / ein foto, wenn es niemand mehr betrachtet?" Auch solch nicht Gesehenem sucht Nadja Küchenmeister nachzuspüren. Dem lesend zu folgen, ist vielleicht etwas anstrengender als die Lektüre ihrer beiden herausragenden vorherigen Bände, lohnt aber unbedingt.
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