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Richard Yates

 
Rezensionen

Richard Yates: Zeiten des Aufruhrs
 

Alpträume vom Glück
Gerald Funk

Wer glaubt, das Leben und die Liebe seien am Ende und unter dem Strich durchaus erträglich oder womöglich gar ein bißchen kuschelig, der gönne sich den Luxus einer Beinamputation, einer Nachmittagstalkshow in den Privatsendern oder, noch besser, der lese Yates' 1961 erstmals publizierten Roman Zeiten des Aufruhrs. Hier wird aufgeräumt mit dem Vorurteil, daß Männer und Frauen miteinander leben könnten, ohne einander zu demütigen und um den Verstand zu bringen, und es wird zugleich mit der süßen Erwartung der Jugend abgerechnet, der Weg in die Zukunft sei gepflastert mit Glück und verlaufe in ruhigen Kurven stets nach oben.
Yates' Geschichte um das Ehepaar April und Frank Wheeler erzählt vom Untergang einer Familie, vom Scheitern einer Liebe, vom Verlust der Lebensträume. Positiv gewendet könnte man auch sagen, sie erzählt die Geschichte einer entlarvten Lebenslüge. Eine Entlarvung allerdings, die nicht kathartisch wirkt, sondern in einer Katastrophe endet. Yates verbindet damit zwei literarische Traditionen: die des realistischen Eheromans à la Flauberts Madame Bovary und die des Desillusionsromans Balzacscher Prägung.
Während des ungezwungenen Lebens als Student im Village von Manhattan mit all seinen Freiheiten lernt Frank Wheeler auf einer Party April kennen. Beide werden ein Paar, angezogen nicht zuletzt von all den großen Träumen in den Augen des anderen. Man macht ein wenig auf existentialistisch, raucht, trinkt und führt intellektuelle Gespräche, weil man sich vom unerträglich spießigen Alltag der konsumfixierten amerikanischen Nachkriegsgesellschaft distanzieren will, unterscheidbar sein möchte. Man zieht voller Selbstbewußtsein Wechsel auf eine Zukunft, die, wenn nicht spektakulär, so doch zumindest besonders und voller Versprechungen zu sein scheint.
Dann aber kommen die Kinder, und das Paar rutscht zunehmend in den bürgerlichen Rahmen einer Vorstadtsiedlung mit eigenem Häuschen, netten Nachbarn, einem unerträglich langweiligen Job und gepflegtem Sex bei Kerzenschein. Es ist die immergleiche Geschichte. Als ihnen aufgeht, daß sie ihre Träume verraten haben, unternehmen sie einen verzweifelten Versuch, der Falle der Spießbürgerlichkeit zu entkommen. Aber sie sind dazu nicht wirklich mehr in der Lage, träumen aber noch einmal kurz den Traum vom Glück, bevor die Realität zuschlägt, und zwar blutig und gnadenlos. Mehr sei nicht verraten.
Die New York Times mochte das Buch nicht, sprach von der "unerfreulichen Hast zweier psychopathischer Charaktere, sich selbst zu zerstören", und fand, Yates schreibe deprimierende Geschichten. "Meaningless characters leading meaningless lives", hieß es da.
So einfach liegen die Dinge jedoch nicht. Wir erleben als Leser, den Realitäten des 20. Jahrhunderts entsprechend, eine große Tragödie mit Kleindarstellern. Und es ist kein Zufall, daß der Roman mit einer mißlungenen Aufführung einer Laientheatergruppe beginnt, nach der die schönen bürgerlichen Masken erstmals fallen, geht es doch in Yates' Geschichte um den traurigen Verlust von Illusionen und Selbsttäuschungen. April bemerkt diese Täuschungen früher als ihr Mann, er hat sich darin eingerichtet. Sie glaubt, man habe die Entscheidung noch in der Hand. "Du warst zu gut, zu jung und zu ängstlich; du hast einfach mitgespielt, und so fing alles an", sagt sie, um ihrem Mann Mut zu machen, das Leben jetzt wenigstens in die eigenen Hände zu nehmen. Aber der hat nicht mehr den Mut dazu. Als sie das erkennt, bleibt von ihrer Liebe nur Verachtung übrig, vor der ihr Mann steht wie vor einer Wand.
Mal Hand aufs Herz: Wir alle kennen diese Geschichte irgendwie, wir kennen Ehen, die an solcher Erkenntnis zerbrochen sind, wir alle fragen uns manchmal, wohin uns das Leben verschlagen hat, ob es das war, was wir wollten und erhofft hatten. Wir alle stolpern den Weg bergab, früher oder später. Und stehen dann mit großen, überraschten Augen vor der Frage, ob das schon alles gewesen ist. Auch Richard Yates hat diese Frage gestellt, und er hat ihr ein Gesicht, eine unvergeßliche Geschichte gegeben, die Geschichte von April und Frank, die ihr vielversprechendes Leben aus der Hand gegeben haben und gutsituiert in der "Revolutionary Road", so der ironische Originaltitel des Romans, verdämmern. Und sie sind nicht allein, die Beiden, auch die Nachbarn und Freunde bleiben vom Unglück nicht verschont. Hinter jedem Fenster, und wirke es auf den ersten Blick noch so normal, lauert die Katastrophe.
Der besondere Clou und das Todtraurige an der Sache ist indes: gerade die Menschen, die sich wechselseitig ihre Illusion der Einzigartigkeit zerstört und sich in den Abgrund gestoßen haben, waren tatsächlich etwas Besonderes. April und Frank werden gebrochen, weil sie die Frage nach dem Sinn des Ganzen zu stellen wagen. Alle anderen überleben, weil sie sich keine Fragen mehr stellen, weil die Autosuggestion stark genug ist. Daher könnte die Erkenntnis, die man dem Roman entnimmt, lauten: Wir brauchen die Lüge und Selbstlüge, wir brauchen die Einbildungskraft und die Träume, um nicht am Leben zu verzweifeln. Das wußte schon Nietzsche. Und das steht womöglich trotz aller Schärfe und Klarheit von Yates' Roman über verlorene Illusionen, der jetzt durch die Aufnahme in die Manesse Bibliothek der Weltliteratur endlich in die ihm gemäße Gesellschaft kommt, am traurigen Ende der Geschichte. Auch wenn der Autor das vermutlich nicht im Sinn hatte, als er begann.
Der Ton, in dem erzählt wird, ist genau beobachtend, mitunter sarkastisch, bitter, nie sentimental, daher besonders anrührend. Der Leser weiß nie genau: ist es ironische Distanz oder Selbsterkenntnis des Scheiterns, was den Erzähler treibt. Im schönen Nachwort von Eva Menasse erfahren wir, daß Teile der Geschichte und die Grundzüge einzelner Charaktere durchaus autobiographisch geprägt sind. Das ist für den Roman selbst irrelevant, bestimmt jedoch nicht zuletzt die Perspektive, die der Erzähler einnimmt und die seiner Geschichte den Grundton, den besonderen Klang zwischen ironischem Zwinkern und schonungsloser Abrechnung verleiht.
Man sieht ihn vor sich, Richard Yates, wie er am Ende seines Lebens, die Zigarette qualmend im Mundwinkel, den Schlauch zu seinem Sauerstofftank, aus dem er regelmäßig inhalieren mußte, in der Hand, in einer abgewrackten Blechschleuder über den Campus von Tuscaloosa fährt, wo er Literatur unterrichtete, ohne zu wissen, daß seine Bücher einmal Klassikerstatus bekommen würden, nachdem sie kaum ein Zeitgenosse hatte lesen wollen. Hätte er es gewußt, vielleicht wäre ein heiseres "Scheiß drauf!" zu hören gewesen. Oder auch nicht.

 

Richard Yates: Zeiten des Aufruhrs. Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans Wolf. Nachwort von Eva Menasse. 573 Seiten. Manesse Verlag. Zürich 2006. € 22,90.