Wenn von der Liebe nur die Geschichte bleibt
Anja Binanzer
Schon wieder Geschichten von und über die
Liebe, denkt der Leser am Büchertisch, die angepriesenen
Neuerscheinungen durchsehend. Brauchen wir wirklich noch mehr
davon? Mit Loves - Lieben betitelt und mit einem lila getönten
Foto auf dem Schutzumschlag, auf dem sich ein Pärchen in
altmodischer Kleidung am Strand küsst, lässt der neue
Erzählungsband von Irene Dische seinen Inhalt mehr als nur
erahnen. Für den einen herzzerreißend romantisch sowie
einladend, für den anderen kitschig und abgedroschen -
leider genau wie einige der Erzählungen. Welches Schicksal
droht wohl dem von den Kindern über alles geliebten Hauskaninchen
Alice im winterlichen Krieg, wenn die Vorräte knapp werden?
Wer wundert sich über den großen, großen Koffer,
den der Ehemann beim Check-In zu seinem Flug nach Amerika aufgibt,
zumal seine Ehefrau keine Greencard erhalten hat, um ihn zu begleiten?
Dass sowohl das Kaninchen als auch die Ehefrau ein unglückliches
Ende nehmen, hätte in diesem Fall wohl nicht dazugesagt werden
müssen, doch eben dieses geschieht, indem Dische ihre 24
Liebesepisoden in Geschichten mit traurigem Ende und mit glücklichem
Ende einteilt. Zu den Geschichten mit glücklichem Ende gehört
beispielsweise die von dem Taxifahrer und seinem Fahrgast, zwei
Menschen, die ihre Vorfahren zum Thema Liebe befragen wollen.
Dabei stellt sich heraus, dass der Taxifahrer ein Moslem ist,
der seine Cousine erschossen hat, um deren - seiner Ansicht
nach - unehrenhafte Liebe zu einem verheirateten Christen
zu rächen, und dass der Großvater des Fahrgastes für
Deportationen in Konzentrationslager verantwortlich war, dass
diese den Fahrgast jedoch eigentlich nicht interessiert - diese
Art von Liebesgeschichte blieb der Rezensentin bisher erspart,
wurde ihr aber nun - wie leider manch andere, über die hier
kein Wort mehr verloren werden muss - aufgedrängt.
Andere Geschichten beginnen verheißungsvoller, zum Beispiel
mit dem Brief einer jungen Frau an ihre Eltern, um deren Anerkennung
und Liebe sie kämpft. Leider wird an dieser Stelle etwas
spät klar, dass die Einteilung der Geschichten manchmal doppeldeutig
ist. Doch schon in der folgenden Erzählung wird man wieder
von einem erwartbaren Ausgang enttäuscht: Ein nur auf Äußerlichkeiten
achtender Mann merkt nach einem Unfall, der ihn völlig entstellt
-
richtig: dass die inneren Werte zählen. Da
wären wir wieder bei der Liebe. Und weiter geht es mit seltsamen
Beziehungsgeflechten und an der Liebe scheiternden Figuren, die
es leider auch nicht schaffen, des Lesers Herz zu erreichen, denn
sie sind entweder zu skurril und an den Haaren herbeigezogen oder
zu altbekannt und dabei schlichtweg plump. In vielen Geschichten
hätte etwas mehr Feingefühl und Zartheit, wie man sie
etwas aus den Liebesgeschichten von Anna Gavalda oder Judith Hermann
kennt, die Lektüre nicht zur Enttäuschung werden lassen.
Diese beiden Autorinnen verzichten glücklicherweise darauf,
den Inhalt schon auf den Umschlag zu schreiben und ihren Lesern
altbekannte Weisheiten über die Liebe aufs Auge zu drücken.
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