Seit seine Frau gestorben ist, lebt der gute Cop allein. Abends hört er melancholischen Jazz und trinkt ein Gläschen Grappa. Und wenn er im strömenden Regen mitten auf einer Durchgangsstraße steht, hat er einen guten Grund dafür.
Der gute Cop ist der deutsche Titel des zweiten Kriminalromans um Superintendent MacNeice aus Dundurn, einer fiktiven Hafenstadt in der kanadischen Provinz Ontario. Dort soll ein gigantisches Museumsprojekt entstehen, zur Erinnerung an historische Seeschlachten und als zukünftiger Touristenmagnet. Doch dann findet man gleich mehrere Leichen im Hafenbecken, zwei ältere in einem Automobil aus den dreißiger Jahren, andere jüngeren Datums fachgerecht in Mafiamanier einbetoniert. Eine Menge Arbeit für MacNeice, der persönlich vom Bürgermeister mit den Ermittlungen betraut wird. Denn es geht um beträchtliche Investitionen und nicht zuletzt um das politische Schicksal des Stadtoberhauptes. Rasch gibt es erste Spuren, die zu konkurrierenden Unternehmen im harten Geschäft mit Fertigbeton und in die kriminelle Biker-Szene führen. Diese klassischen Zutaten dienen dem kanadischen Autor Scott Thornley als Basis für einen ausgeklügelten Plot, in dem menschliche Schwächen und ethnische Klischees ihr explosives Potenzial entfalten. Originalität lässt sich dem zweiten Handlungsstrang des Romans - ein rassistischer Serienmörder mit Sendungsbewusstsein wird gejagt - nur bedingt attestieren, seine beängstigende Aktualität allerdings ist nicht zu leugnen. Wer seine Ermittler souverän und sympathisch mag, ist mit MacNeice (er hat keinen Vornamen) bestens bedient und darf sich auf weitere Fälle freuen, schließlich warten drei weitere Romane der Reihe auf ihre Übersetzung.
Eine andere Stadt am Meer, ein anderes Jahrhundert. Es sei immer noch eine größere Ehre, "im Wettlauf mit einem Balzac zu scheitern, als in holder Harmonie mit den Teekesseln von Husum zu summen", spöttelte der Literaturkritiker Franz Mehring über den vermeintlich provinziellen Dichter Theodor Storm. Ausgerechnet Storm, vielen wohl nur durch die schulische Lektüre seiner berühmten Novellen Pole Poppenspäler und Der Schimmelreiter bekannt, als Detektivfigur auftreten zu lassen, dürfte selbst den Bewunderern seiner Erzählkunst verwegen erscheinen. Das Wagnis unternommen hat der Journalist Tilman Spreckelsen. Inzwischen liegt mit Die Nordseefalle bereits der vierte Kriminalroman vor, in dem der junge Anwalt Storm, unterstützt von seinem Schreiber Peter Söt, der gleichzeitig als Erzähler fungiert, einen Mordfall klärt. Sein Mandant ist ein Tagelöhner, der bewusstlos auf der Leiche eines Unbekannten gefunden wurde, ein blutiges Messer in der Hand, die Tat aber hartnäckig leugnet. Routinierte Freunde des Genres wissen, dass genau diese Umstände für seine Unschuld sprechen, doch das darf dem fiktiven Ermittler nicht genügen. Storm schlägt sich bemerkenswert gut und versteht es auch, gefährliche politische Klippen geschickt zu umschiffen. Nicht immer ist sein Adlatus Söt in die Gedankengänge des Anwalts eingeweiht, und gerade dieser erzählerische Kniff verleiht diesem, auch sprachlich gelungenen, Roman seinen besonderen Reiz.
Wie man einen realen Fall in einen ziemlich spannenden Kriminalroman verwandelt, zeigt Oliver Hilmes in seinem Buch Das Verschwinden des Dr. Mühe. Bei Recherchen im Berliner Landesarchiv stieß der promovierte Zeithistoriker auf eine hundert Seiten starke Akte, die sich dem rätselhaften Fall des Arztes Erich Mühe widmet, der am 13. Juni 1932 von einer nächtlichen Autofahrt an den Sacrower See nicht mehr zurückkehrt. Zunächst wird vermutet, dass er bei einem Badeunfall ums Leben kam, doch seine Leiche bleibt unauffindbar. Kommissar Ernst Keller, ein knorriger Ermittlertyp mit einer Vorliebe für deftige Hausmannskost und einem gewöhnungsbedürftigen Sinn für Humor, stößt bei der Befragung von Zeugen auf allerhand Ungereimtheiten. Warum zeigt die Ehefrau kaum Trauer, sondern eher Missmut, weil die Zahlung der Lebensversicherung hinausgezögert wird? Hatte sie ein Verhältnis mit ihrem Gesangslehrer, einem überzeugten Nazi, der nach 1933 Karriere macht? Woher stammten Mühes beträchtliche Einnahmen? Und warum hat er kurz vor seinem Verschwinden das Konto leergeräumt?
Oliver Hilmes präsentiert diese rätselhafte Kriminalgeschichte in kurzen datierten Kapiteln. Alle historischen Details, so der Autor, sind "penibel recherchiert", die Dialoge hingegen weitgehend fiktiv. Erzählt wird im Präsens, was ein bisschen an Schulfunksendungen wie Lebendige Vergangenheit erinnert. Dass der Autor gerne mit historischen Erläuterungen in die Handlung eingreift, verstärkt das didaktische Moment und mindert gelegentlich das Lesevergnügen. Der Fall bleibt übrigens offiziell ungelöst, auch wenn das letzte Kapitel - es spielt am 15. Mai 1950 - wenig Zweifel am tatsächlichen Geschehen lässt. Ob sich diese Spur allerdings der Recherche oder der Erfindungsgabe des Autors verdankt, bleibt offen. Da ist es um Die phantastischen Fälle des Robert Fuchs schon eindeutiger bestellt. Was der geniale Ermittler in den Jahren 1917 bis 1921 erlebt, ist zweifellos ein Produkt der Vorstellungskraft seines Schöpfers. Als bekennender Steampunk-Fan gestaltet der Bochumer Autor Lars Hannig eine Fantasiewelt, in der sich frühindustrielle Technik, die Ästhetik viktorianischer Unterhaltungsliteratur und das Übernatürliche verbinden. Mit Werwölfen und anderen Gruselwesen muss gerechnet werden, weiß der "vernunftbegabte Detektiv" Fuchs, auch wenn sich manches, das wie Magie wirkt, als Menschenwerk entpuppt. Lars Hannig, der auch schon in dieser Zeitschrift vertreten war und hier sein Romandebüt vorlegt, ist mit viel Liebe zum Genre am Werk, ein Amateur im besten Sinne. Wer ihm in sein literarisches Spiegelkabinett folgen mag, darf sich auf erfrischend altmodische Unterhaltung freuen. |