Am Erker 64

Iain Levison: 'Hoffnung ist Gift'

Manfred Wieninger: '223 oder das Faustpfand'

Dominique Manotti: 'Das schwarze Korps'

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Iain Levison
Deuticke
Manfred Wieninger
Residenz
Dominique Manotti
Argument + Ariadne

 
Mord & Totschlag 64
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Hätte er doch nur das Fenster nicht angefasst und die beiden betrunkenen Teenager einfach am Straßenrand stehen lassen, Jeff Sutton, Taxifahrer in Dallas, wäre die schrecklichste Erfahrung seines Lebens erspart geblieben. Doch wer rechnet schon damit, dass die Tochter der Dame, die man gerade vom Flughafen nach Hause chauffiert hat, noch in derselben Nacht entführt wird und die Fingerabdrücke auf dem Fensterrahmen der Polizei ihren vermeintlichen Täter frei Haus liefern. Der hat zudem noch ausgerechnet sein Taxi mit einem Dampfstrahlreiniger gesäubert - einem der beiden Mädchen, denen er leichtsinnigerweise eine Freifahrt spendiert hat, war furchtbar schlecht geworden - und das wird ihm natürlich als gezielte Vernichtung von Spuren ausgelegt. Sutton kommt in Untersuchungshaft, die er, um ihn als mutmaßlichen Kinderschänder vor anderen Gefangenen zu schützen, in einer Todeszelle absitzt. Ausgerechnet hier findet er in einem eiskalten Mörder den einzigen Menschen, der ihm seine Geschichte abnimmt. Polizei, Staatsanwaltschaft und selbst sein unfähiger Pflichtverteidiger sind von Suttons Schuld überzeugt.
Iain Levison, gebürtiger Schotte und seit fast 40 Jahren in den USA zu Hause, hat sich bislang in seinen Büchern vor allem den Schattenseiten des modernen Kapitalismus gewidmet. Mit Hoffnung ist Gift nimmt er das amerikanische Strafverfolgungssystem ins Visier. Der Roman beruht auf dem Fall Richard Ricci, der unschuldig als Entführer verhaftet wurde und im Gefängnis starb, bevor der wirkliche Täter dingfest gemacht werden konnte. Allerdings weicht Levison in einem entscheidenden Punkt von den Tatsachen ab. Er lässt seinen Helden überleben, seine Unschuld kann bewiesen werden. Doch was wie ein positiver Wendepunkt scheint, gehört zu den gruseligsten Episoden des Romans, denn hier zeigt sich das System von seiner zynischsten Seite. Gewiefte Anwälte mögen für Sutton eine gewaltige Entschädigungssumme (und für sich ein entsprechendes Erfolgshonorar erstreiten), doch er wird nie mehr wirklich frei sein. Iain Levison ist ein ebenso spannendes wie bestürzendes Buch gelungen, das seine Wirkung nicht zuletzt der Entscheidung verdankt, Jeff Sutton selbst als lakonischen Ich-Erzähler einzusetzen.
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Ein politischer Kopf ist auch der österreichische Schriftsteller Manfred Wieninger. Seine Romane um den Privatermittler Marek Miert sind nicht nur ein weiteres Beispiel skurriler austriakischer Krimi-Kunst, sondern lassen sich auch als bewusster Reflex auf die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Alpenrepublik lesen. In seinem jüngsten Buch hat sich Wieninger eines historischen Kriminalfalls angenommen. Der zweite Weltkrieg ist schon fast zu Ende, da werden in Persenbeug an der Donau 223 jüdische Zwangsarbeiter von SS-Leuten ermordet. Ein kleiner Polizist namens Franz Winkler ermittelt - aus Pflichtbewusstsein ebenso wie aus dem Bedürfnis, noch ein paar "Gutpunkte" für die Persenbeuger zu sammeln, bevor die Rote Armee da ist. Ein idealistischer Held ist er nicht. Wahrscheinlich - Wieninger zeigt deutlich, was ihm die vorliegenden Dokumente verraten und was nicht - war er selbst Mitglied der NSDAP, wenn auch kein sehr enthusiastisches. Doch jetzt protokolliert er detailliert, was er von den Überlebenden des Massakers und den anderen wenigen Zeugen erfährt. Dreieinhalb Seiten umfasst der Bericht, den er beim Bezirksgericht einreicht, aber die Täter werden nicht zur Rechenschaft gezogen. Ein letztes Mal versucht Winkler 1963 die Justiz auf den Fall aufmerksam zu machen, wiederum erfolglos. 1967 stirbt er.
Manfred Wieningers betont sachlich erzählter Dokumentarroman 223 oder das Faustpfand. Ein Kriminalfall erinnert aber nicht nur an Franz Winkler. Im Vordergrund stehen die Opfer und ihre Geschichte. Zum Beispiel der 13-jährige György Storch, dessen Tagebuch den erschütternden Auftakt des Buches bildet. Oder Tibor Yaakow Schwartz, ein Zehnjähriger, der den Massenmord überlebt. Ihre Namen, ihr Schicksal den Archiven zu entreißen und einer hoffentlich großen Leserschaft bekannt zu machen, ist das Anliegen dieses bemerkenswerten Buches.
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Gegen Ende der Naziherrschaft in Europa spielt auch Dominique Manottis historischer Thriller Das schwarze Korps. Geht es in ihren bisher in deutscher Übersetzung vorliegenden Krimis vor allem um den Zusammenhang zwischen Politik, Ökonomie und Verbrechen, widmet sich die Autorin in diesem bereits 2004 in Frankreich veröffentlichten Roman den letzten Tagen der deutschen Besatzung in Frankreich. Während alliierte Truppen an den Stränden der Normandie landen, wird in Paris hemmungslos gefeiert. Der Champagner fließt in Strömen, und auch andere Vergnügungen sind billig zu haben. Doch die Gier kennt keine Grenzen, vor allem angesichts des bevorstehenden Endes. Ob Kollaborateur oder Nazi-Offizier - im Kampf um den eigenen Vorteil geht man gerne über Leichen. Heldenrollen sind in diesem Sittenbild nicht vorgesehen. Auch nicht für die auf der richtigen Seite.
Dominique Manotti schreibt direkt und ohne Sentimentalitäten. Orgien und Gelage werden ebenso ungerührt protokolliert wie grausamste Morde. Das ist nicht immer leichte Kost und verschlägt gelegentlich den Atem. Andererseits besitzt die Autorin ein phänomenales Gespür für sprachlichen Rhythmus, das auch in Andrea Stephanis großartiger deutscher Fassung nicht verlorengeht. So verbinden sich Kolportage und Artistik in Das schwarze Korps zu einem Stück Spannungsliteratur von höchstem Niveau. Unbedingt lesenswert.

 

Iain Levison: Hoffnung ist Gift. Roman. Aus dem Englischen von Walter Goidinger. 255 Seiten. Deuticke. Wien 2012.

Manfred Wieninger: 223 oder das Faustpfand. Ein Kriminalfall. 236 Seiten. Residenz. St. Pölten / Salzburg / Wien 2012. 

Dominique Manotti: Das schwarze Korps. Kriminalroman. Aus dem Französischen von Andrea Stephani. 280 Seiten. Argument. Hamburg 2012.