Am Erker 63

Anne Chaplet: 'Erleuchtung'

Gavin Knight: 'The Hood'

Marko Leino: 'In der Falle'

Marie Hermanson: 'Himmelstal'

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Mord & Totschlag 63
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Der Kopf des Mannes ist kahlrasiert, seine Zähne nikotinfleckig, er raucht zu viel. Dennoch sieht er aus, als würde er regelmäßig im Fitnessstudio trainieren. Svensson ist Polizist in Manchester, Spezialität Bandenkriminalität. Längst hätte der Mittvierziger Anspruch auf eine Beförderung und einen Schreibtischjob gehabt, doch ihm ist die Arbeit auf der Straße lieber. Seine erheblich jüngeren Kollegen verstehen ihn nicht. Svensson ist das egal.
Giorgio DeLange hingegen, Kriminalbeamter in Frankfurt, leidet darunter, dass er noch immer nach A11 besoldet wird. Ganz zornig kann er werden, wenn die Rede auf "Frauenförderpläne" kommt, denn vor gar nicht langer Zeit hat man ihm eine Kollegin "vor die Nase gesetzt". Und die ging wenig später in Mutterschaftsurlaub. Eigentlich ist DeLange zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, doch das hindert ihn nicht daran, in einem Fall zu ermitteln, der nicht nur ihn in höchste Gefahr bringt.
Auch Juha Viitasalo aus Helsinki ist kein glücklicher Polizist. Seine Theorien über neue Entwicklungen im Drogenschmuggel werden nicht ernst genommen. Und der Erfolgsdruck auf ihn und seine Kollegen verstärkt sich täglich. Wenn wenigstens das Privatleben in Ordnung wäre. Doch seine Frau Sari leidet unter Depressionen, und Tochter Liina wird von eifrigen Betreuerinnen im Kindergarten wegen auffälligen Verhaltens besonders beobachtet. Finnland im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts mag wirtschaftlich in guter Verfassung sein, doch das sind nur Zahlen. Der kleine Mann, meint Viitalaso und denkt dabei an sich, spürt davon nichts.
Drei Ermittler, zwei fiktive und einer mit realem Vorbild, die ihren Job sehr persönlich nehmen. Und die sich mit Gesetzesbrechern herumzuschlagen haben, denen mit gewöhnlichen Methoden kaum beizukommen ist. Svensson taucht in das Milieu ein, das er bekämpft. Spricht mit den Familien der Täter und gewinnt ihr Vertrauen. Ohne Informanten würde es ihm nie gelingen, prominente Bandenmitglieder vor Gericht und hinter Gitter zu bringen. Das grundlegende Problem wird dadurch nicht gelöst.
DeLange wühlt in der Vergangenheit. Er will herausfinden, was sich hinter der ehrbaren Fassade jenes erfolgverwöhnten Mannes verbirgt, der ihm das Leben scheinbar mutwillig ausgesprochen unangenehm macht. Die Spur führt in die peruanischen Anden, wo die selbsternannten Volksbefreier vom  "Leuchtenden Pfad" über viele Jahre Angst und Schrecken verbreiteten, aber zurück in die Zeit der bundesdeutschen Revolte um 1968. Aus den peruanischen "Revolutionären" sind inzwischen simple, aber nicht minder gefährliche Drogenhändler geworden, während hierzulande der Marsch durch die Institutionen so manchen Protagonisten des außerparlamentarischen Kampfes auf einflussreiche und lukrative Positionen geführt hat. Wer in so einem Umfeld ermittelt, bleibt selten unbeschädigt, und man wüsste gerne, ob DeLanges dann doch noch erfolgende Beförderung eine adäquate Kompensation darstellt.
Die wird es für Juha Viitasalo auf keinen Fall geben. Seine Verluste sind nicht wiedergutzumachen. Die Gegner, auf die er sich eingelassen hatte, sind zu mächtig und zu ausgefuchst.
Während also Marko Leinos finnische Gangsterballade In der Falle getreu dem alten Noir-Motto "Die Bösen schlafen gut" (Akira Kurosawa) das Vertrauen in eine irdische Gerechtigkeit in virtuoser Manier verabschiedet, endet Erleuchtung, Anne Chaplets milieugesättigte Studie über Fanatismus, Politik und Verbrechen, illusionslos und pragmatisch, aber nicht verzweifelt. Auch der britische Journalist Gavin Knight, dessen Großreportagen aus den Ghettos von Glasgow, Manchester und London nun unter dem Titel The Hood in deutscher Übersetzung vorliegen, lässt seine Leser in der vagen Hoffnung zurück, eine aus den USA importierte Methode zur Schlichtung von Bandenkriegen könne helfen, wenigstens die schlimmsten Gewalttaten zu verhindern. Allein, es scheint fraglich, ob er selbst daran glaubt.
Weit entfernt von all diesen Schauplätzen des Verbrechens, seien sie real oder fiktiv, scheint die idyllisch in den Schweizer Alpen gelegene Kurklinik Himmelstal. Betuchte Zeitgenossen können hier in exklusivem Ambiente ihre psychischen Probleme behandeln lassen. So wirkt es zumindest auf den unbefangenen Betrachter. Was tatsächlich in dem Sanatorium vor sich geht, ist derart gespenstisch, dass es romantische Psychiatriethriller der herkömmlichen Art in der Tradition von Hitchcocks Ich kämpfe um dich  (Spellbound, 1945) hoffnungslos altbacken aussehen lässt. Daniel, der seinen Zwillingsbruder Max in Himmelstal besucht, hat zunächst Bedenken, als dieser ihn bittet, für kurze Zeit seine Patientenrolle zu übernehmen, während er sich um dringende Geschäfte in der Welt draußen kümmern müsse. Doch dann akzeptiert er den Vorschlag, schließlich ist ihm der Gedanke, noch einige erholsame Tage in der Bergwelt zu verbringen, nicht unangenehm. Aber Max kehrt nicht zurück. Und Daniel muss feststellen, dass es aus Himmelstal kein Entkommen gibt.
Die schwedische Autorin Marie Hermanson hat einen Psychothriller geschrieben, der es in sich hat. Was scheinbar harmlos beginnt, entwickelt sich zu einem furiosen Plot mit überraschenden Wendungen. Wie jene Figuren Kafkas, deren Bemühungen, ihr Ziel zu erreichen, zum Scheitern verurteilt sind, stößt Max bei seinen Versuchen, aus Himmelstal zu entkommen, auf ständig neue Hindernisse. Und immer wieder scheint ihm jemand ein deutliches "Gib's auf" zuzurufen. Da wir uns jedoch in einem Spannungsroman befinden, steckt hinter all dem nicht ein perfides Schicksal, sondern genretypische Machenschaften. Mehr soll hier nicht verraten werden, der Hinweis, dass der Grundgedanke dieses Romans alles andere als trivial ist und durchaus Berührungspunkte mit den drei anderen hier empfohlenen Büchern aufweist, muss genügen.

 

Anne Chaplet: Erleuchtung. Kriminalroman. 319 Seiten. List. Berlin 2012. € 19,99.

Gavin Knight: The Hood. Aus dem Englischen von Jürgen Bürger. 304 Seiten. Ullstein. Berlin 2012. € 14,99.

Marko Leino: In der Falle. Roman. Aus dem Finnischen von Anu Pyykönen-Stohner. 447 Seiten. Zsolnay. Wien 2012. € 19,90.

Marie Hermanson: Himmelstal. Roman. Aus dem Schwedischen von Regine Elsässer. 427 Seiten. Insel. Berlin 2012. € 14,99.