"Sympathische Ermittler, vertrackte Hintergründe und interessante Milieus", so bewirbt der Grafit Verlag das Krimidebüt des Psychologen Sebastian Stammsen. Und das ist nicht gelogen. Leider aber garantieren diese Ingredienzien noch keinen guten Roman. Es geht darum, den Mord an einem 17-jährigen Gymnasiasten aufzuklären. Erstochen hat man Tobias Maier in seinem Elternhaus aufgefunden. Schon bald stellt sich heraus, dass der Tote ein wahres Wunderkind war. Nicht nur brillierte er als kreativer Kopf einer schulischen Heavy-Metal-Combo, auch seine Computerkenntnisse waren phänomenal. Die Eltern wissen, wie man sich denken kann, nichts von alledem. Ebenso ist ihnen unbekannt, dass er als erotisches Naturtalent die jüngere wie reifere Damenwelt faszinierte. So weit, so fantastisch. Aber schon bald scheinen Stammsen seine eigenen Erfindungen gelangweilt zu haben. Also konzentriert er sich auf eine andere Fährte und denkt sich ein Strategiespiel aus, an dem der Ermordete per Internet teilnahm. Auf gefühlten 300 Seiten werden wir über die vertrackten Regeln dieses Spiels informiert, erfahren, dass es sich bei den Teilnehmern um relativ normale Zeitgenossen handelt, und geraten gemeinsam mit dem ermittelnden Kommissar Markus Wegener auf eine offensichtlich falsche Spur. Nebenher renoviert Wegener ein altes Haus, denkt über seine attraktive Kollegin nach und stellt rein zufällig einen landesweit gesuchten Serienmörder. Dummerweise wird das Buch dadurch nicht spannender. Anstatt die Handlung durch solche Kapriolen aufzumotzen, hätte der Autor lieber häufiger die Delete-Taste drücken sollen, um Sätze wie diesen zu eliminieren: "Der Sozialpädagoge hatte mein holzschnittartiges Bild des Jungen nicht nur zerschlagen, nun zertrat er auch noch die Scherben, die davon noch übrig waren, zu Staub." So sind sie, die Soziapädagogen.
Auch für den nordirischen Autor Colin Bateman wäre eine Übung in Selbstbeschränkung nicht die schlechteste Therapie. Sein aktuelles Werk, Ein Mordsgeschäft, beginnt ausgesprochen amüsant, wird dann immer geschwätziger, um schließlich mit einer andernorts bereits mehrfach erprobten Pointe zu enden. Aber das ist vielleicht auch die Absicht hinter dieser "pechschwarzen, beißend ironischen Komödie vom Meister des humoristischen Kriminalromans" (Klappentext), die uns der Heyne Verlag ins Haus geschickt hat. Deren namenloser Held betreibt einen auf Kriminalliteratur spezialisierten Buchladen direkt neben dem Büro eines Privatdetektivs, der allerdings spurlos verschwunden ist. Also tauchen dessen Klienten in der Buchhandlung auf und bringen das Leben des schwer neurotischen Krimiexperten gehörig durcheinander. Diese durchaus vielversprechende Ausgangssituation nutzt Bateman, der seine Hauptfigur auch selbst erzählen lässt, zu allerlei ironischen Betrachtungen über das Buchgeschäft im Allgemeinen und die Kriminalliteratur im Besonderen. Das ist manchmal recht witzig, über die Strecke von 432 Seiten aber auch ziemlich ermüdend. Genreparodien jeder Art sollten eben den Umfang eines durchschnittlichen Taschenbuchthrillers aus den siebziger Jahren nicht überschreiten. Und das waren ungefähr 160 Seiten.
Als Krimi verkleidete Kunstliteratur kommt aus Österreich zu uns. Wer parataktische Erzählpassagen in einem atemlosen Präsens und Dialoge, die nur durch Gedankenstriche strukturiert werden, mag, wird in Bernhard Aichners Roman Die Schöne und der Tod höchstens die radikale Kleinschreibung vermissen. Die Handlung um einen Totengräber, einen ehemaligen Fußballstar, Teilnehmer der Fernsehshow "Bauer sucht Frau" und viele andere skurrile Figuren hier zu referieren, ist müßig. Der Verlag findet die Story "abgründig, schräg und spannend". Das kann man so sehen. Man kann das Buch aber auch noch vor dem Ende zuklappen, weil einem die Identität des Mörders angesichts der Vorstellung, weitere Sätze wie die folgenden lesen zu müssen, zunehmend gleichgültig wird: "Max versperrt die Toilettentür, umarmt Baroni, klopft ihm auf die Schulter, er freut sich wie ein Kind, er quietscht, er nimmt Baroni das Geld aus der Hand, riecht daran, wirft es in die Luft. Dann wirft er Baroni um und setzt sich auf ihn. Sie balgen sich wie Hunde, lachen, jubeln. Dann bleiben sie nebeneinander am Toilettenboden liegen, sie atmen wild, schauen an die Decke, die Neonröhre flackert." Das ist vielleicht große Kunst. Oder auch großer Quatsch. Weh tut es auf jeden Fall. Schmerzhaft wäre sicherlich auch die Lektüre eines Reißers, der folgendermaßen beginnt: "Der Killer senkte den chromglänzenden Stahl des Skalpells mit kalter Präzision in die alabasterfarbene, zarte Bauchhaut der Jungfrau ..." Zum Glück stammt dieses hübsche Fundstück aus einem fiktiven Manuskript. Nach zwanzig Jahren bei der Mordkommission ist Hauptkommissar Karl Rünz von der Darmstädter Kripo dienstmüde. Also versucht er sich als Krimiautor und arbeitet an einem Action-Thriller, den er unter dem Pseudonym Raoul Rockwell dem Publikum vorsetzen möchte. Und zu unserem Vergnügen dürfen wir immer wieder Passagen aus diesem bemerkenswerten work in progress lesen, während wir gleichzeitig verfolgen, wie der unwillige Ermittler einen komplizierten Kriminalfall löst. Christian Gude gelingt in seinem vierten Rünz-Roman das kleine Kunststück, Parodie und Satire in eine ernsthafte, gut ausgedachte Krimihandlung zu integrieren. Dass der historische Hintergrund dieses ausgesprochen rasant erzählten Stücks Spannungsliteratur nicht gerade Anlass zum Schmunzeln gibt - es geht um die so genannte Gatling Gun, eine im 19. Jahrhundert erfundene automatische Waffe von verheerender Wirkung -, zeugt ebenfalls von der Risikobereitschaft des Autors. Ein Glücksfall für die deutsche Krimiszene. Freuen darf man sich auch, dass Werner Schmitz, der vor vielen Jahren mit Auf Teufel komm raus einen Klassiker der neuen deutschen Kriminalliteratur vorgelegt hat, seinen alten Helden Hannes Schreiber wieder auf die Pirsch schickt. Das darf ruhig wörtlich genommen werden. Seit Schmitz, der viele Jahre für den STERN als Reporter unterwegs war, im Rahmen einer Recherche die Jägerprüfung abgelegt hat, hat sich auch Schreiber dem Waidwerk verschrieben. Für sein neues Abenteuer verschlägt es ihn in die Karpaten. Er soll über das "Bärenprojekt" einer tierliebenden Unternehmerin schreiben. Dass es der jungen Frau, die in Rumänien auch geschäftliche Interessen verfolgt, nicht nur darum geht, die manchmal gar nicht so putzigen Pelzträger vor Jägern und Wilderern zu schützen, ahnt Schreiber schon bald. Doch bis er die ganze Situation durchschaut hat, steckt er auch schon mittendrin. Und dann gibt es einen Toten.
Werner Schmitz hat einen ebenso packenden wie aufschlussreichen Kriminalroman geschrieben. In der Zeichnung seiner Figuren kommt er vielleicht ab und an dem Klischee ein wenig nahe, doch das verzeiht man ihm gerne. Schließlich ist gut zubereitete Genrekost hierzulande nicht unbedingt die Regel. |