Am Erker 59

Pablo de Santis: Das Rätsel von Paris

Martin Mucha: Papierkrieg

Robert Ellmer: Fastnacht

Gerben Hellinga: Dollars

Lucie Flebbe: Hämatom

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Pablo de Santis
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Lucie Flebbe

 
Mord & Totschlag 59
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Die heute so beliebte Anreicherung von Kriminalromanen mit den Trivialitäten unseres Alltags mag bei manchen Lesern die Illusion befördern, es handle sich bei den beliebten Mordgeschichten um realistische Abbildungen der Wirklichkeit und nicht um ästhetische Konstrukte. Da kommt ein Roman wie Das Rätsel von Paris des als ausgefuchster Spieler mit literarischen Konventionen bekannten argentinischen Autors Pablo De Santis gerade recht. Diese Geschichte von zwölf berühmten Detektiven, die kurz vor der Weltausstellung von 1889 zu einem Symposium in Paris zusammenkommen, um sich voreinander mit ihren bemerkenswertesten Fällen zu brüsten, gibt nie vor, sich auf etwas anderes als den Kosmos der Literatur zu beziehen. Die großen Ermittler betrachten ihre Arbeit als Kunst, deren größter Lohn das publizistische Echo in einem der vielgelesenen Kriminalmagazine ist, die sich ausschließlich der Legendenbildung verschrieben haben. Mancher verfasst die entsprechenden Berichte sogar selbst. Doch als einer der Detektive unter seltsamen Umständen ums Leben kommt, können sich die Meister der Kriminalistik nicht mehr darauf beschränken, alte Geschichten zum Besten zu geben. Sie müssen tatsächlich ermitteln. Einer der zwölf ist übrigens bei dem Treffen gar nicht zugegen. Detektiv Craig aus Buenos Aires wird von seinem Assistenten Sigmundo Salvatrio vertreten. Der junge Mann ist es auch, von dem wir die ganze Geschichte bis zu ihrem verblüffenden Ende erfahren. Aber es bleibt nicht beim amüsanten Spiel mit Genreklischees. Ausgerechnet der letzte Fall des abwesenden Craig, dessen Lösung den Detektiv den Verstand zu kosten droht, wirft von Beginn an einen dunklen Schatten auf die detailversessene Arbeit der emsigen Aufklärer. De Santis entlockt den Konventionen des klassischen Detektivromans ihr ästhetisches Potential, indem er sie auf perfide Weise, zumindest vorläufig, zerstört. So wird, was sich in einer virtuosen Genreparodie hätte erschöpfen können, scheinbar mühelos zu kunstvoller Literatur.
Weniger elegant, aber dafür lehrreich kommt Papierkrieg, das Krimidebüt des 1976 geborenen Wahlwieners Martin Mucha, daher. Der studierte Philosoph hat mit dem Altphilologen Arno Linder einen bemerkenswert schwatzhaften Ermittler erfunden. Während der notorisch klamme Wissenschaftler einen komplizierten Fall um eine antike Papyrusrolle, illegale Geschäfte mit Computerelektronik und die russische Mafia löst, informiert er uns ausgiebig über japanische Teekannen, die Vorzüge der Wiener Gastronomie und seinen ausgezeichneten Musikgeschmack. Wer solche Exkurse mag und es zudem goutiert, wenn sich Plot und Figurenensemble an vertrauten Mustern des hartgesottenen Detektivromans orientieren, kann sich mit 372 Seiten Papierkrieg sicher wunderbar die Zeit vertreiben.
Erheblich kürzer fasst sich ein anderer österreichischer Autor. Robert Ellmer legt mit Fastnacht bereits den zweiten Roman um den Salzburger Kriminalisten Martin Huber vor. Der inzwischen an den Bodensee versetzte skurrile Ermittler wähnt sich auf einem ruhigen Posten, bis kurz nacheinander zwei Frauenleichen aus dem Wasser gefischt werden. Schon bald hat er eine Spur, doch die führt in die Schweiz, und die dortige Polizei erweist sich als wenig hilfreich. Dass der Fall letztendlich dennoch gelöst werden kann, verdankt sich indes weniger Hubers detektivischem Geschick als dem Umstand, dass der Autor kurz vor Schluss eine umfängliche schriftliche Zeugenaussage aus dem Hut zaubert, während der Polizist nur noch beim finalen Showdown in Aktion treten muss. Weil Robert Ellmer sich aber ansonsten als ein sprachlich versierter Erzähler mit dem nötigen Witz bewährt, nimmt man ihm diesen Trick nicht übel, sondern sieht einer dritten Begegnung mit Martin Huber mit einer gewissen Vorfreude entgegen.
Vom Bodensee ins Amsterdam der sechziger Jahre. In einem berühmten Roman ist zu lesen, dass die Vergangenheit ein anderes Land mit anderen Sitten sei. Für eine bestimmte Sorte Kriminalromane allerdings scheint diese Regel nicht zu gelten. Zwar merkt man an Kleinigkeiten - wer in seinem Hotelzimmer Musik hören will, muss einen 'Radioautomaten' mit Münzen füttern -, dass wir uns auf einer Zeitreise befinden, doch was sonst noch in dem holländischen Schurkenepos Dollars passiert, könnte auch, sagen wir, im Wien des 21. Jahrhunderts angesiedelt sein. Sid Stefan, ein wegen Totschlags vorbestrafter Werbetexter, kommt nach einem längeren Auslandsaufenthalt zurück in seine Heimatstadt. Doch schon auf dem Flug von Stockholm nach Schiphol wird der ebenso eitle wie schlagfertige Individualist durch Zufall in ein Gangster- und Agentenkomplott verwickelt, dessen Auflösung auf den letzten fünfzehn Seiten des Romans abgehandelt wird. Vorher ist Stefan vor allem damit beschäftigt, sich mit Faust und Verstand seiner Haut zu wehren, ohne dass er eine Ahnung hätte, in was für ein Spiel er hineingeraten ist. Und da wir Leser ebenso in Unwissenheit gelassen werden, ergibt sich ein angenehmer Suspense-Effekt, der stark an Hitchcocks Klassiker Der unsichtbare Dritte erinnert. Entdeckt hat diesen munteren Krimi der Berliner Alexander Verlag, dem für seine Neuauflage der Romane von Ross Thomas nicht genug zu danken ist. Nun spielt der niederländische Autor Gerben Hellinga, der dem ersten Sid-Stefan-Abenteuer noch drei weitere Bände folgen ließ, literarisch zwar in einer anderen Liga als der Großmeister des Polit-Thrillers, doch um akzeptable Spannungslektüre handelt es sich allemal. Überhaupt hat die Kriminalliteratur der fünfziger und sechziger Jahre noch so manches zu bieten, das es verdient hätte, als schmuckes Paperback bei Alexander oder auch in einem anderen engagierten Verlag wieder aufgelegt zu werden. Doch bevor diese Kolumne zu einem Lamento über die Geschichtsvergessenheit im Krimi-Business wird, kehren wir in die Gegenwart zurück und schauen uns ein wenig im Ruhrgebiet um.
Ausgerechnet in Bochum ist die zwanzigjährige Lila Ziegler auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Vater gelandet. Wie sie dort den coolen Privatdetektiv Ben Danner kennen und lieben lernt und sich zudem als geborene Ermittlerin profiliert, davon ließ sie die Autorin Lucie Flebbe (vormals Klassen) in ihrem Debütroman Der 13. Brief berichten. Das hätte ausgesprochen peinlich ausgehen können, besäße Frau Flebbe nicht ein bemerkenswertes Gespür für den richtigen Ton. Lila Ziegler erzählte die nicht eben wahrscheinliche Story auf ebenso schnoddrige wie witzige Weise. Und nun ist sie wieder da, wo wir ihr am liebsten begegnen, nämlich nicht in den sicheren Armen ihres Liebhabers, sondern allein auf der Straße. In einem Anfall von Eifersucht hat sie Danner Hals über Kopf verlassen und treibt sich herum. Drogen, Alkohol und flüchtige Männerbekanntschaften lassen sie ganz schnell ganz unten landen. Doch im letzten Moment kriegt sie die Kurve und weist sich selbst zur Entgiftung in eine Klinik ein. Als eine junge Reinigungskraft ausgerechnet einem Herzinfarkt zum Opfer fällt, erwacht in ihr der alte Schnüfflergeist. Kurzerhand verschafft sie sich einen Job in der Putzkolonne, um die mysteriösen Todesumstände aufzuklären. Musste sich Lila bei ihrem letzten Einsatz um ein paar Jahre verjüngen, so gelingt es ihr nun, als 28-Jährige mit Berufserfahrung durchzugehen. Richtig nachdenken darf man über all das nicht, doch das liegt auch wohl kaum in der Absicht dieses leicht hysterischen, aber ausgesprochen unterhaltsamen Kriminalromans. Und wir beenden die Lektüre mit dem seltsam beruhigenden Gefühl, dass es nur so scheint, als ob die Welt wieder in Ordnung wäre.

 

Pablo De Santis: Das Rätsel von Paris. Roman. Aus dem Spanischen von Claudia Wuttke. 317 Seiten. Unionsverlag. Zürich 2010. € 19,90.

Martin Mucha: Papierkrieg. Kriminalroman. 372 Seiten. Gmeiner. Meßkirch 2010. € 11,90.

Robert Ellmer: Fastnacht. Ein Bodensee-Krimi. 146 Seiten. Verlagshaus Hernals. Wien 2010. € 19,90.

Gerben Hellinga: Dollars. Sid Stefan in Amsterdam. Krimi. Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers. 266 Seiten. Alexander. Berlin 2010. € 14,90.

Lucie Flebbe: Hämatom. Kriminalroman. 248 Seiten. Grafit. Dortmund 2010. € 8,95.