Die heute so beliebte Anreicherung von
Kriminalromanen mit den Trivialitäten unseres Alltags
mag bei manchen Lesern die Illusion befördern, es
handle sich bei den beliebten Mordgeschichten um realistische
Abbildungen der Wirklichkeit und nicht um ästhetische
Konstrukte. Da kommt ein Roman wie Das Rätsel
von Paris
des als ausgefuchster Spieler mit literarischen Konventionen
bekannten argentinischen Autors Pablo
De Santis gerade
recht. Diese Geschichte von zwölf berühmten
Detektiven, die kurz vor der Weltausstellung von 1889 zu
einem Symposium in Paris zusammenkommen, um sich voreinander
mit ihren bemerkenswertesten Fällen zu brüsten,
gibt nie vor, sich auf etwas anderes als den Kosmos der
Literatur zu beziehen. Die großen Ermittler betrachten
ihre Arbeit als Kunst, deren größter Lohn das
publizistische Echo in einem der vielgelesenen Kriminalmagazine
ist, die sich ausschließlich der Legendenbildung
verschrieben haben. Mancher verfasst die entsprechenden
Berichte sogar selbst. Doch als einer der Detektive unter
seltsamen Umständen
ums Leben kommt, können sich die Meister der Kriminalistik
nicht mehr darauf beschränken, alte Geschichten zum
Besten zu geben. Sie müssen tatsächlich ermitteln.
Einer der zwölf ist übrigens bei dem Treffen
gar nicht zugegen. Detektiv Craig aus Buenos Aires wird
von seinem Assistenten Sigmundo Salvatrio vertreten. Der
junge Mann ist es auch, von dem wir die ganze Geschichte
bis zu ihrem verblüffenden
Ende erfahren. Aber es bleibt nicht beim amüsanten
Spiel mit Genreklischees. Ausgerechnet der letzte Fall
des abwesenden Craig, dessen Lösung den Detektiv
den Verstand zu kosten droht, wirft von Beginn an einen
dunklen Schatten auf die detailversessene Arbeit der emsigen
Aufklärer. De Santis
entlockt den Konventionen des klassischen Detektivromans
ihr ästhetisches Potential, indem er sie auf perfide
Weise, zumindest vorläufig, zerstört. So wird,
was sich in einer virtuosen Genreparodie hätte erschöpfen
können, scheinbar mühelos zu kunstvoller Literatur.
Weniger elegant, aber dafür lehrreich kommt Papierkrieg,
das Krimidebüt des 1976 geborenen Wahlwieners Martin
Mucha, daher. Der studierte Philosoph hat mit dem
Altphilologen Arno Linder einen bemerkenswert schwatzhaften
Ermittler erfunden. Während der notorisch klamme Wissenschaftler
einen komplizierten Fall um eine antike Papyrusrolle,
illegale Geschäfte mit Computerelektronik und die
russische Mafia löst, informiert er uns ausgiebig über
japanische Teekannen, die Vorzüge der Wiener Gastronomie
und seinen ausgezeichneten Musikgeschmack. Wer solche Exkurse
mag und es zudem goutiert, wenn sich Plot und Figurenensemble
an vertrauten Mustern des hartgesottenen Detektivromans
orientieren, kann sich mit 372 Seiten Papierkrieg sicher
wunderbar die Zeit vertreiben.
Erheblich kürzer fasst sich ein anderer österreichischer
Autor. Robert Ellmer legt mit Fastnacht bereits
den zweiten Roman um den Salzburger Kriminalisten Martin
Huber vor. Der inzwischen an den Bodensee versetzte skurrile
Ermittler wähnt sich auf einem ruhigen Posten, bis
kurz nacheinander zwei Frauenleichen aus dem Wasser gefischt
werden. Schon bald hat er eine Spur, doch die führt
in die Schweiz, und die dortige Polizei erweist sich als
wenig hilfreich. Dass der Fall letztendlich dennoch gelöst
werden kann, verdankt sich indes weniger Hubers detektivischem
Geschick als dem Umstand, dass der Autor kurz vor Schluss
eine umfängliche schriftliche Zeugenaussage aus dem Hut zaubert, während
der Polizist nur noch beim finalen Showdown in Aktion treten
muss. Weil Robert Ellmer sich aber ansonsten als ein sprachlich
versierter Erzähler mit dem nötigen Witz bewährt,
nimmt man ihm diesen Trick nicht übel, sondern sieht
einer dritten Begegnung mit Martin Huber mit einer gewissen
Vorfreude entgegen.
Vom Bodensee ins Amsterdam der sechziger Jahre. In einem
berühmten Roman ist zu lesen, dass die Vergangenheit
ein anderes Land mit anderen Sitten sei. Für eine
bestimmte Sorte Kriminalromane allerdings scheint diese
Regel nicht zu gelten. Zwar merkt man an Kleinigkeiten
- wer in seinem Hotelzimmer Musik hören will, muss
einen 'Radioautomaten' mit Münzen füttern -,
dass wir uns auf einer Zeitreise befinden, doch was sonst
noch in dem holländischen Schurkenepos
Dollars passiert, könnte auch, sagen wir,
im Wien des 21. Jahrhunderts angesiedelt sein. Sid Stefan,
ein wegen Totschlags vorbestrafter Werbetexter, kommt nach
einem längeren Auslandsaufenthalt zurück in
seine Heimatstadt. Doch schon auf dem Flug von Stockholm
nach Schiphol wird der ebenso eitle wie schlagfertige Individualist
durch Zufall in ein Gangster- und Agentenkomplott verwickelt,
dessen Auflösung auf den letzten fünfzehn Seiten
des Romans abgehandelt wird. Vorher ist Stefan vor allem
damit beschäftigt, sich mit Faust und Verstand seiner
Haut zu wehren, ohne dass er eine Ahnung hätte, in
was für ein Spiel er hineingeraten ist. Und da wir Leser ebenso
in Unwissenheit gelassen werden, ergibt sich ein angenehmer
Suspense-Effekt, der stark an Hitchcocks Klassiker Der
unsichtbare Dritte erinnert. Entdeckt hat diesen munteren
Krimi der Berliner Alexander Verlag, dem für seine
Neuauflage der Romane von Ross Thomas nicht genug zu danken
ist. Nun spielt der niederländische Autor Gerben
Hellinga, der dem ersten Sid-Stefan-Abenteuer noch
drei weitere Bände folgen ließ, literarisch zwar in einer anderen
Liga als der Großmeister des Polit-Thrillers, doch
um akzeptable Spannungslektüre handelt es sich allemal. Überhaupt
hat die Kriminalliteratur der fünfziger und sechziger
Jahre noch so manches zu bieten, das es verdient hätte,
als schmuckes Paperback bei Alexander oder auch in einem
anderen engagierten Verlag wieder aufgelegt zu werden.
Doch bevor diese Kolumne zu einem Lamento über
die Geschichtsvergessenheit im Krimi-Business wird, kehren
wir in die Gegenwart zurück und schauen uns ein wenig
im Ruhrgebiet um.
Ausgerechnet in Bochum ist die zwanzigjährige
Lila Ziegler auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen
Vater gelandet. Wie sie dort den coolen Privatdetektiv
Ben Danner kennen und lieben lernt und sich zudem als geborene
Ermittlerin profiliert, davon ließ sie die Autorin
Lucie Flebbe (vormals Klassen)
in ihrem Debütroman Der 13. Brief berichten. Das hätte ausgesprochen
peinlich ausgehen können, besäße Frau
Flebbe nicht ein bemerkenswertes Gespür für
den richtigen Ton. Lila Ziegler erzählte die nicht
eben wahrscheinliche Story auf ebenso schnoddrige wie witzige
Weise. Und nun ist sie wieder da, wo wir ihr am liebsten
begegnen, nämlich nicht in den sicheren Armen ihres Liebhabers, sondern allein auf der
Straße. In einem Anfall von Eifersucht hat sie Danner
Hals über Kopf verlassen und treibt sich herum. Drogen,
Alkohol und flüchtige Männerbekanntschaften
lassen sie ganz schnell ganz unten landen. Doch im letzten
Moment kriegt sie die Kurve und weist sich selbst zur Entgiftung
in eine Klinik ein. Als eine junge Reinigungskraft ausgerechnet
einem Herzinfarkt zum Opfer fällt, erwacht in ihr
der alte Schnüfflergeist. Kurzerhand verschafft sie
sich einen Job in der Putzkolonne, um die mysteriösen
Todesumstände aufzuklären. Musste sich Lila bei ihrem letzten Einsatz
um ein paar Jahre verjüngen, so gelingt es ihr nun,
als 28-Jährige mit Berufserfahrung durchzugehen.
Richtig nachdenken darf man über all das nicht, doch
das liegt auch wohl kaum in der Absicht dieses leicht hysterischen,
aber ausgesprochen unterhaltsamen Kriminalromans. Und wir
beenden die Lektüre mit dem seltsam beruhigenden
Gefühl, dass es nur so scheint, als ob die Welt wieder in Ordnung wäre. |