Auf wurde
ich durch eine knappe, aber um so heftiger lobende Rezension in
der Frankfurter Rundschau aufmerksam. Neugierig geworden, kaufte
ich mir den ersten Roman um den ehemaligen Polizisten Simon Brenner,
las und war hingerissen. Einen solchen Ton hatte man bislang in
der deutschsprachigen Kriminalliteratur noch nicht vernommen.
Da erzählte jemand, als ob er am Tresen neben einem stünde.
Elliptisch, raunend und manchmal auch kryptisch. Aber natürlich
reine Kunst. Ein Sound, der süchtig machen konnte. Zumindest
für einige Zeit. Dann war es vorbei, und ich weiß noch
immer nicht, warum. Eines Tages nämlich begann der geheimnisvolle
Erzähler mir inmitten der Lektüre auf die Nerven zu
gehen. Jedes fehlende Verb, jedes neue "Aber interessant",
mit dem gewöhnlich überraschende Wendungen in der Handlung
eingeleitet wurden, wirkte wie ein kleiner Stich in der Magengegend.
Ein radikaler Schnitt schien vonnöten. Ich verkaufte meine
gesammelten Brenner-Bände auf dem Flohmarkt.
Das ist Jahre her. Und nun ist wieder ein Krimi von Wolf Haas
erschienen, der siebte Fall für Simon Brenner, wenn ich richtig
gezählt habe. Also habe ich es noch einmal probiert. Es funktionierte
immer noch. Nur ein paar Zeilen, dann war er wieder da, der altbekannte,
großartige Sound. Der vertraute Erzähler und seine
charmanten Lügen: "Ich persönlich schau heute lieber
auf die positiven Seiten des Lebens." Und natürlich
der Brenner, der seine Karriere als Chauffeur des brutal-erfolgreichen
Bauunternehmers Kressdorf abrupt beendet sieht, als ihm dessen
kleine Tochter an einer Tankstelle aus dem Wagen entführt
wird. Was erst der Anfang ist. Am Ende ist das Kind zwar gerettet,
doch dafür sind sieben Erwachsene tot. Fast wäre auch
der Brenner dabei gewesen. Daher der Titel des Buches, Der
Brenner und der liebe Gott. Es hat übrigens ungefähr
hundert Seiten gedauert, bis die Stiche wieder einsetzten. Aber
die bekomme ich auch, wenn ich Thomas Bernhard lese.
Wem die Brenner-Romane weniger aus sprachlichen Gründen als
wegen ihres scheinbar frivol-makabren Umgangs mit Gewaltverbrechen
Unbehagen bereiten, der findet bei den notwendigen Ernst. Das liegt schon an seinem Ermittler,
dem Kriminalbeamten Polonius Fischer, einem ehemaligen Mönch
und wahrem Schmerzensmann. In Totsein verjährt nicht
widmet er sich dem Jahre zurückliegenden Fall einer verschwundenen
Achtjährigen. Eine Leiche wurde nie gefunden, dennoch hat
man einen jungen Mann aus dem Umfeld des Mädchens wegen Mordes
verurteilt. Als Fischer einen Brief erhält, in dem behauptet
wird, das angebliche Mordopfer lebe, beginnt er, auch gegen Widerstände
in der eigenen Behörde, mit neuen Nachforschungen, deren
Ergebnis ebenso unerwartet wie grausig ist. Gleichzeitig ist Fischer
in die Fahndung nach zwei Gewalttätern involviert, die seine
Taxi fahrende Freundin beinahe umgebracht haben.
Anis zum Teil auf einem authentischen Fall basierender Roman beeindruckt
durch seinen komplexen und realistisch wirkenden Plot. Weniger
Begeisterung als andere Rezensenten vermag ich für die Figur
des Polonius Fischer aufzubringen. Mir kommt es vor, als ob der
Autor meine, ein Protagonist dieser Art könne seinem Roman
zusätzliche existentielle Tiefe verleihen, eine Überzeugung,
die wahrscheinlich auch für Passagen dieser Art verantwortlich
ist: "Fischer betrachtete seine Hände. Was erzählten
sie ihm? Er hielt sie hoch, sie waren dunkel und knochig und zitterten."
Hier ist der Wille zur "richtigen" Literatur deutlich
spürbar, aber besser wird das Buch dadurch nicht. Das muss
es auch nicht. Denn Totsein verjährt nicht wäre
auch ohne solche Versatzstücke ein bemerkenswerter Kriminalroman.
Wirklich interessante Entdeckungen lassen sich heute allerdings
vor allem abseits der großen Verlage und ihrer Bestseller-Programme
machen. Es sind Enthusiasten wie der Berliner Kleinverleger Frank
Nowatzki mit seinem Label "Pulp Master", die immer wieder
Autoren präsentieren, deren Namen zu Unrecht in Vergessenheit
geraten sind. So einer ist .
Der 1968 verarmt in den USA verstorbene Vielschreiber aus England
war in vielen Genres zu Hause. Das merkt man seinem 1947 erschienenen
Roman Ouvertüre um Mitternacht auch an. Elemente des
traditionellen Detektivromans britischer Prägung mischen
sich mit einem krassen sozialen Realismus, während manche
Kapitel wie die Parodie ästhetizistischen Erzählens
wirken. "Die Welt besteht zu neunzig Prozent aus Perspiration
- die riecht. Die Welt ist unwirtlich und unbarmherzig und stinkt.
Was konnte ein empfindsamer Mann da tun? Er schrieb." Aber
dabei bleibt es nicht. Wer sich hier zur leidenden Künstlerseele
stilisiert, ist der Mörder eines zehnjährigen Mädchens,
ein Verbrechen, das die exzentrischen Gäste der "Bacchus"-Bar
in einem der weniger glamourösen Stadtteile Londons in Unruhe
versetzt. Denn er ist einer von ihnen. Und Asta Thundersley, eine
regelrechte Miss-Marple-Figur, befindet sich auf seiner Spur.
Das glaubt sie zumindest. Doch die Falle, die sie ihm stellt,
schnappt nicht zu. Die kurzfristig aufflackernde Hoffnung, dass
die Welt wenigstens für einen Augenblick - der Roman spielt
im Jahre 1937 - wieder in Ordnung kommen möge, wird enttäuscht.
Es ist nicht der schlechteste Daseinszweck populärer Genreliteratur,
dem Leser Trost zu spenden. Gerald Kersh bedient sich ihrer literarischen
Techniken, um das Gegenteil zu erreichen. Das ist perfide. Und
große Kunst.
Kunstvoll angerichtet ist auch die blutige Farce, die der schottische
Autor in seinem Roman
Hard Man präsentiert. Einige ziemlich einfältige,
aber gewaltbereite Einwohner Edinburghs rücken einander mit
Baseballschlägern, antiken Revolvern, Messern und Nagelpistolen,
manchmal aber auch mit ihren bloßen Fäusten, auf eine
Weise zu Leibe, dass es die helle Freude für jeden ist, der
gerne glauben möchte, dass Dummheit und Brutalität Geschwister
sind. Am Anfang geht es noch um eine Frau und verletzten Mannesstolz,
später kommt ein dreibeiniges Hündchen namens Hilda,
übrigens die einzige wirklich positive Figur in dieser Gewaltorgie,
ins Spiel, und die Sache eskaliert in einem Maße, das sich
keiner der teilnehmenden Schwachköpfe hätte ausmalen
mögen. Ausgenommen vielleicht der Ex-Häftling Pearce,
Hildas Besitzer, der sich aus guten Gründen lange Zeit weigert,
in die Auseinandersetzung zwischen dem alten Jacob Baxter, seinen
unterbelichteten Söhnen und einem Psychopathen namens Wallace,
der mit Baxters halbwüchsiger Tochter May verheiratet ist,
hineingezogen zu werden. Am Ende sind die meisten tot, und all
das wegen nichts, wie der aufmerksame Leser schon früh vermutet.
Alan Guthrie setzt das blutrünstige Geschehen gekonnt in
Szene und sorgt für die notwendigen Überraschungsmomente.
Das ist Shakespearesche Tragödie im Kleinganovenformat: Helden
gibts nicht mehr, und die Narren besorgen das Gemetzel.
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