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Wolf Haas
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Friedrich Ani
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Gerald Kersh
Rotbuch
Alan Guthrie

 
Mord & Totschlag 58
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Auf Wolf Haas wurde ich durch eine knappe, aber um so heftiger lobende Rezension in der Frankfurter Rundschau aufmerksam. Neugierig geworden, kaufte ich mir den ersten Roman um den ehemaligen Polizisten Simon Brenner, las und war hingerissen. Einen solchen Ton hatte man bislang in der deutschsprachigen Kriminalliteratur noch nicht vernommen. Da erzählte jemand, als ob er am Tresen neben einem stünde. Elliptisch, raunend und manchmal auch kryptisch. Aber natürlich reine Kunst. Ein Sound, der süchtig machen konnte. Zumindest für einige Zeit. Dann war es vorbei, und ich weiß noch immer nicht, warum. Eines Tages nämlich begann der geheimnisvolle Erzähler mir inmitten der Lektüre auf die Nerven zu gehen. Jedes fehlende Verb, jedes neue "Aber interessant", mit dem gewöhnlich überraschende Wendungen in der Handlung eingeleitet wurden, wirkte wie ein kleiner Stich in der Magengegend. Ein radikaler Schnitt schien vonnöten. Ich verkaufte meine gesammelten Brenner-Bände auf dem Flohmarkt.
Das ist Jahre her. Und nun ist wieder ein Krimi von Wolf Haas erschienen, der siebte Fall für Simon Brenner, wenn ich richtig gezählt habe. Also habe ich es noch einmal probiert. Es funktionierte immer noch. Nur ein paar Zeilen, dann war er wieder da, der altbekannte, großartige Sound. Der vertraute Erzähler und seine charmanten Lügen: "Ich persönlich schau heute lieber auf die positiven Seiten des Lebens." Und natürlich der Brenner, der seine Karriere als Chauffeur des brutal-erfolgreichen Bauunternehmers Kressdorf abrupt beendet sieht, als ihm dessen kleine Tochter an einer Tankstelle aus dem Wagen entführt wird. Was erst der Anfang ist. Am Ende ist das Kind zwar gerettet, doch dafür sind sieben Erwachsene tot. Fast wäre auch der Brenner dabei gewesen. Daher der Titel des Buches, Der Brenner und der liebe Gott. Es hat übrigens ungefähr hundert Seiten gedauert, bis die Stiche wieder einsetzten. Aber die bekomme ich auch, wenn ich Thomas Bernhard lese.
Wem die Brenner-Romane weniger aus sprachlichen Gründen als wegen ihres scheinbar frivol-makabren Umgangs mit Gewaltverbrechen Unbehagen bereiten, der findet bei Friedrich Ani den notwendigen Ernst. Das liegt schon an seinem Ermittler, dem Kriminalbeamten Polonius Fischer, einem ehemaligen Mönch und wahrem Schmerzensmann. In Totsein verjährt nicht widmet er sich dem Jahre zurückliegenden Fall einer verschwundenen Achtjährigen. Eine Leiche wurde nie gefunden, dennoch hat man einen jungen Mann aus dem Umfeld des Mädchens wegen Mordes verurteilt. Als Fischer einen Brief erhält, in dem behauptet wird, das angebliche Mordopfer lebe, beginnt er, auch gegen Widerstände in der eigenen Behörde, mit neuen Nachforschungen, deren Ergebnis ebenso unerwartet wie grausig ist. Gleichzeitig ist Fischer in die Fahndung nach zwei Gewalttätern involviert, die seine Taxi fahrende Freundin beinahe umgebracht haben.
Anis zum Teil auf einem authentischen Fall basierender Roman beeindruckt durch seinen komplexen und realistisch wirkenden Plot. Weniger Begeisterung als andere Rezensenten vermag ich für die Figur des Polonius Fischer aufzubringen. Mir kommt es vor, als ob der Autor meine, ein Protagonist dieser Art könne seinem Roman zusätzliche existentielle Tiefe verleihen, eine Überzeugung, die wahrscheinlich auch für Passagen dieser Art verantwortlich ist: "Fischer betrachtete seine Hände. Was erzählten sie ihm? Er hielt sie hoch, sie waren dunkel und knochig und zitterten." Hier ist der Wille zur "richtigen" Literatur deutlich spürbar, aber besser wird das Buch dadurch nicht. Das muss es auch nicht. Denn Totsein verjährt nicht wäre auch ohne solche Versatzstücke ein bemerkenswerter Kriminalroman.
Wirklich interessante Entdeckungen lassen sich heute allerdings vor allem abseits der großen Verlage und ihrer Bestseller-Programme machen. Es sind Enthusiasten wie der Berliner Kleinverleger Frank Nowatzki mit seinem Label "Pulp Master", die immer wieder Autoren präsentieren, deren Namen zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind. So einer ist Gerald Kersh. Der 1968 verarmt in den USA verstorbene Vielschreiber aus England war in vielen Genres zu Hause. Das merkt man seinem 1947 erschienenen Roman Ouvertüre um Mitternacht auch an. Elemente des traditionellen Detektivromans britischer Prägung mischen sich mit einem krassen sozialen Realismus, während manche Kapitel wie die Parodie ästhetizistischen Erzählens wirken. "Die Welt besteht zu neunzig Prozent aus Perspiration - die riecht. Die Welt ist unwirtlich und unbarmherzig und stinkt. Was konnte ein empfindsamer Mann da tun? Er schrieb." Aber dabei bleibt es nicht. Wer sich hier zur leidenden Künstlerseele stilisiert, ist der Mörder eines zehnjährigen Mädchens, ein Verbrechen, das die exzentrischen Gäste der "Bacchus"-Bar in einem der weniger glamourösen Stadtteile Londons in Unruhe versetzt. Denn er ist einer von ihnen. Und Asta Thundersley, eine regelrechte Miss-Marple-Figur, befindet sich auf seiner Spur. Das glaubt sie zumindest. Doch die Falle, die sie ihm stellt, schnappt nicht zu. Die kurzfristig aufflackernde Hoffnung, dass die Welt wenigstens für einen Augenblick - der Roman spielt im Jahre 1937 - wieder in Ordnung kommen möge, wird enttäuscht. Es ist nicht der schlechteste Daseinszweck populärer Genreliteratur, dem Leser Trost zu spenden. Gerald Kersh bedient sich ihrer literarischen Techniken, um das Gegenteil zu erreichen. Das ist perfide. Und große Kunst.
Kunstvoll angerichtet ist auch die blutige Farce, die der schottische Autor Alan Guthrie in seinem Roman Hard Man präsentiert. Einige ziemlich einfältige, aber gewaltbereite Einwohner Edinburghs rücken einander mit Baseballschlägern, antiken Revolvern, Messern und Nagelpistolen, manchmal aber auch mit ihren bloßen Fäusten, auf eine Weise zu Leibe, dass es die helle Freude für jeden ist, der gerne glauben möchte, dass Dummheit und Brutalität Geschwister sind. Am Anfang geht es noch um eine Frau und verletzten Mannesstolz, später kommt ein dreibeiniges Hündchen namens Hilda, übrigens die einzige wirklich positive Figur in dieser Gewaltorgie, ins Spiel, und die Sache eskaliert in einem Maße, das sich keiner der teilnehmenden Schwachköpfe hätte ausmalen mögen. Ausgenommen vielleicht der Ex-Häftling Pearce, Hildas Besitzer, der sich aus guten Gründen lange Zeit weigert, in die Auseinandersetzung zwischen dem alten Jacob Baxter, seinen unterbelichteten Söhnen und einem Psychopathen namens Wallace, der mit Baxters halbwüchsiger Tochter May verheiratet ist, hineingezogen zu werden. Am Ende sind die meisten tot, und all das wegen nichts, wie der aufmerksame Leser schon früh vermutet.
Alan Guthrie setzt das blutrünstige Geschehen gekonnt in Szene und sorgt für die notwendigen Überraschungsmomente. Das ist Shakespearesche Tragödie im Kleinganovenformat: Helden gibt’s nicht mehr, und die Narren besorgen das Gemetzel.

 

Wolf Haas: Der Brenner und der liebe Gott. Roman. 224 Seiten. Hoffmann und Campe. Hamburg 2009. € 18,99.

Friedrich Ani: Totsein verjährt nicht. Roman. 285 Seiten. Zsolnay. Wien 2009. € 19,90

Gerald Kersh: Ouvertüre um Mitternacht. Roman. Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller. 270 Seiten. Pulp Master. Berlin 2009. € 13,80.

Alan Guthrie: Hard Man. Roman. Aus dem Englischen von Gerold Hens. 315 Seiten. Rotbuch. Berlin 2009. € 16,90.