Ein gewagt konstruierter Zufall steht im Zentrum der Handlung von Elisabeth Herrmanns Geheimdienstthriller Zeugin der Toten, und das ist vielleicht die einzige Schwäche dieses erstklassig recherchierten und spannend erzählten Romans. Dass nämlich Judith Kepler, die ihr Geld damit verdient, Wohnungen, in denen jemand verstorben ist, wieder bezugsfähig zu machen, bei einem Einsatz an einem Mordschauplatz auf Spuren aus ihrer eigenen mysteriösen Vergangenheit stößt, muss man einfach glauben. Die in einem Kinderheim der ehemaligen DDR aufgewachsene junge Frau beginnt mit der ihr eigenen Beharrlichkeit nachzuforschen und gerät in ein Netz von Intrige und Verrat, in das ehemalige Stasi-Offiziere ebenso verwickelt sind wie ihre westlichen Gegner. Die jüngere deutsche Geschichte erweist sich als bemerkenswerter Stoff. Und man freut sich, dass sich eine sprachlich wie erzählerisch versierte Autorin, die das gelegentliche Schielen in Richtung skandinavischer Erfolgsmodelle des Genres gar nicht nötig hätte, sich seiner angenommen hat.
Entschieden zu viel geredet wird in Veit Heinichens Triest, wo Commissario Proteo Laurenti nicht nur eine heftige Affäre mit der jungen Ärztin Gemma durchzustehen hat, sondern sich auch noch mit dem zwielichtigen Geschäftsmann Raffaele Raccaro anlegt. Schließlich haben all die Fälle, mit denen er es zu tun bekommt, direkt oder indirekt mit Lele, wie der mächtige Mann verniedlichend genannt wird, zu tun. Wertvoller Kaffee wird gestohlen, eine englische Politikerin tappt in eine amouröse Urlaubsfalle, und ein dicker Deutscher namens Bierchen liegt tot im Meer. Die kolonialistische Vergangenheit Italiens wird ebenfalls verhandelt.
Leider gelingt es Heinichen nicht, all seine Einfälle in eine überzeugende Krimihandlung zu überführen, so dass man das Räuber-und-Gendarm-Spiel im bekannten Ambiente, welches durch die ausufernden erklärenden Dialoge nicht spannender wird, ab der Mitte des Buches nur noch mit mäßigem Interesse verfolgt.
Als "Psychothriller" bezeichnet der Grafit Verlag Mein Mann der Mörder, das Krimidebüt der Journalistin Kerstin Herrnkind und macht sich damit eindeutig des Etikettenschwindels schuldig. Nach drei Jahren Ehe erfährt Xenia Rabe, dass sie mit einem Monster verheiratet ist. Ihr Mann Tobias wird wegen eines Sexualmordes polizeilich gesucht. In ihrer Verzweiflung beginnt die PR-Agentin, Nachforschungen anzustellen und fördert im Heimatdorf des Gatten Gruseliges zu Tage. Da es der Autorin aber offenbar schwerfiel, mit dieser Geschichte 280 Seiten zu füllen, widmet sie sich über weite Strecken eben nicht dem Schicksal der armen Xenia, sondern den üblen Machenschaften der Sensationspresse, um ihr Buch dann Knall auf Fall mit einer wenig originellen, aber wirksamen Pointe zu beenden. Wer gerne so genannte Schicksalsbeichten in einschlägigen Illustrierten liest und sich zudem für die Auswüchse des Boulevardjournalismus interessiert, findet in diesem Roman die ideale Lektüre.
Nicht allzu häufig dürfte es vorkommen, dass ein Romanheld denselben Nachnamen trägt wie sein Erfinder. Der belgische Kulturphilosoph Guido Eekhaut wird sich etwas dabei gedacht haben, als er in seinem Krimidebüt einen bibliophilen und ausgesprochen individualistischen Ermittler namens Walter Eekhaut gegen die russische Mafia ins Feld schickte. Tatsächlich scheint der Politthriller Schwarze Kanäle mehr an Eekhaut, den seine entnervten Vorgesetzten zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens von Brüssel nach Amsterdam abgeschoben haben, interessiert zu sein als an dem nicht übermäßig komplexen, aber extrem bleihaltigen Plot um eine Liste, auf der all die großzügigen Spender verzeichnet sind, denen eine rechtspopulistische Partei ihre gut gefüllten Kassen verdankt. Was niederländische Unternehmer mit russischen Killern und xenophoben Politikern verbindet, muss hier nicht rekonstruiert werden. Der Roman ist aus anderen Gründen lesenswert. Guido Eekhaut versteht es nämlich, uns für seine Figuren, sogar für den zwielichtigen Handlanger eines üblen russischen Oligarchen, einzunehmen. Und das ist keine geringe erzählerische Leistung.
Dass ein origineller Plot durchaus nicht immer notwendig ist, damit ein Kriminalroman lesenswert wird, zeigt der spanische Autor Óscar Urra in seinem Debüt Poker mit Pandora, das uns mit dem spielsüchtigen Madrider Privatdetektiv Julio Cabria eine gleichermaßen sympathische wie tragikomische Ermittlerfigur präsentiert. Als ein lokaler Gangsterboss Cabria beauftragt, eine verschwundene Dame namens Pandora ausfindig zu machen, bleibt ihm kaum eine andere Wahl, als sich flugs auf die Suche zu begeben, schließlich drücken ihn erhebliche Spielschulden, und sein Kunde hat überzeugende Argumente pekuniärer und physischer Art. Dummerweise entwickelt sich das Objekt seiner Recherche immer mehr zum Phantom, um letztendlich dem mythologischen Gehalt seines Namens alle Ehre zu machen. Zum Vergnügen des Lesers erzählt Urra diese haarsträubende Geschichte auf elegante Weise mit viel Liebe zum sprachlichen Detail. Und man hofft, dass der Unionsverlag schon bald Julio Cabrias zweites Abenteuer in ein ebenso schönes Deutsch übersetzen lassen wird, wie es Poker mit Pandora auszeichnet. |