Am Erker 60

Maarten Asscher: H2Olland

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Rezensionen
Maarten Asscher: H2Olland
 

Mit allen Wassern
Alfons Huckebrink

Verkörpern Sie in puncto Körperhygiene eher den Elefanten- oder den Nashorntypus? Solchen und weit wichtigeren Fragen spürt Maarten Asscher in seinem Buch H2Olland nach, in welchem er den Elefantentyp als Duscher, den Nashorntyp als Wannenbader identifiziert.
Das Werk trägt in der deutschen Ausgabe den leicht irreführenden Untertitel "Wie die Niederländer das Meer besiegten", beschäftigt sich aber in erster Linie mit dem kulturellen und nationalen Selbstverständnis unserer Nachbarn, das natürlich in einem erheblichen Ausmaß vom allgegenwärtigen Wasser und seinen ewigen Auf-und-Abs beherrscht wie bestimmt wurde, wobei der Niederländer als Person, wie wir eher beiläufig erfahren, wie andere Menschen auch zu etwa 70 % aus diesem nassen Element besteht. Frei nach dem Motto "Alle Menschen sind wässrig, doch die Niederländer sind wässriger als andere Menschen" liefert Asscher dem Leser eine wahre Flut von Tatsachen, Betrachtungen, Anmerkungen und Sottisen. Im Zusammenhang mit der Eingangsbemerkung präsentiert er etwa das kuriose Faktum, dass der autochthone - also wohl waschechte - Amsterdamer 57 Liter weniger Wasser pro Tag verbraucht als seine zahlreichen Migrantennachbarn. Es sei hinzugefügt, dass auch der Autor die Information selbst als weniger befremdlich einordnet als die Tatsache, dass die Amsterdamer Wasserbehörden überhaupt solche differenzierenden Daten eruieren. Übrigens singt der Niederländer, so das Ergebnis einer Online-Befragung, vor allem unter der Dusche, niemals aber in der Wanne. Darin gleicht er wohl dem deutschen Duscher. Dass die Niederländer eben auch nur mit Wasser kochen, hat sich zumindest im Fußballsport erneut im vergangenen WM-Finale erwiesen, wird hier jedoch nicht Gegenstand der Betrachtung. Dafür lernen wir, dass Wasser vor allem auch verwaltet wird, von ideensprudelnden Beamten und ausufernden Behörden, unter denen vor allem die "Waterschappen", also Wasserschaften, die immer schon für das Oberflächenwasser zuständig waren, sich im ständigen Kompetenzgerangel mit den zwölf Provinzen (Zuständigkeit für das Grundwasser) und den Städten und Gemeinden (Trinkwasser) befinden.
Natürlich widmet sich das Buch auch den großen spektakulären Themen wie der Abriegelung der Nordsee, darunter die großen Deichbauprojekte wie der Abschlussdeich, die nach der verheerenden Sturmflut von 1953 realisiert wurden und die wohl seinen deutschen Untertitel erklären. Interessanter sind jedoch jene Beiträge, in denen Asscher der ökologischen Widersprüchlichkeit solcher Projekte nachspürt oder wo er seinen Blick - bar jeder romantischen Verklärung - in die Vergangenheit richtet, wie etwa in dem Kapitel über die Bedeutung der Mühlen bei der Trockenlegung der Polder oder in den Ausführungen über die gezielte Überflutung als Kriegstaktik. Auch sein Blick in die Zukunft ist eher skeptisch und stellt die Sicherheit hinter hohen Deichen angesichts der Klimaprognose und mutmaßlich steigender Wasserspiegel durchaus in Frage.
Nun zum Eis, denn Wasser hat bekanntlich auch andere Aggregatzustände als den flüssigen. Großartig fällt somit Asschers Hommage an den Schlittschuhsport aus, jene ureigene niederländische Fortbewegungsart; zum puren Lesevergnügen wird die Würdigung der Elf-Städte-Tour (Elfstedentocht) in Friesland, ein Massenspektakel ersten Ranges mit einem spezifischen kulturellen Gepränge, das nur dann stattfindet, wenn sämtliche Kanäle und Seen dieses stillen Landstrichs zugefroren sind - wie zuletzt 1997. Dessen Sieger werden zu unsterblichen Heroen, die bis ins hohe Alter die Talkshows mit den mythischen Geschichten ihrer eisigen Zielankünfte bereichern. "Jedenfalls ist das Schlittschuhlaufen der ultimative Sieg der Niederländer über ihren Volksfeind Nummer eins: das Wasser", zitiert Asscher den Soziologen van Bottenburg.
Ein Buch, das amüsanten Lesestoff bietet, das ferner unbedingt bei einer Hollandreise wasserfest im Gepäck verstaut sein sollte. Zum wiederholten Nachschlagen sehr hilfreich, aber gelesen haben sollten Sie es bereits vor Antritt Ihrer Tour d'Hollande. Ansonsten könnte es Ihnen passieren, dass Sie an höchst Sehenswertem einfach vorbeifahren. Wie es mir leider erging bei meiner sommerlichen Radwanderung, als ich die wirklich eindrucksvolle und spezifisch niederländische Geschichte der früheren Zuiderzee-Insel Schokland las, die heute inmitten des trockengelegten Noordoostpolders (Provinz Flevoland) liegt und zum Freilichtmuseum geworden ist. Traurig musste ich feststellen, dass ich sie tags zuvor unbeachtet links liegengelassen hatte. Zum Trost las ich das schöne Sonett "Die Brücke bei Bommel" von Martinus Nijhoff (1894-1953), denn Asscher widmet sich auch den Künsten seines Landes - sofern sie vom Wasser bewegt werden.

 
Maarten Asscher: H2Olland. Wie die Niederländer das Meer besiegten. Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas. 256 Seiten. Luchterhand. München 2010. € 8,00.