Comic-Romane
Ulrike Huber
Außerhalb Frankreichs begegneten mir die
Comics von Manu Larcenet zum ersten Mal auf einer Lesung in einem
Berliner Kino. Ich weiß nicht, wie verbreitet Comic-Lesungen
sind - ich persönlich bin nur dieses eine Mal auf diese Kunstform
gestoßen, und das ist schade, denn es ist eine formidable
Art, Comics zu präsentieren: Die Bilder wurden hochaufgelöst
auf die Kinoleinwand projiziert, während eine Gruppe von
Sprechern in verteilten Rollen die Texte las und zwei DJs Geräusche
und Musik dazu mixten, natürlich alles live. Das Zusammenspiel
hinterließ den Eindruck, man habe einen Film gesehen, nur
irgendwie beeindruckender. Die Bilder von Manu Larcenet mit ihrer
flächigen Farbigkeit auf einer Kinoleinwand - wenn auch zugegebenermaßen
der eines kleinen Kinos - zu sehen, war toll. Jedenfalls zogen
wir am nächsten Tag los, um den ersten Band von Der alltägliche
Kampf zu erwerben, dessen letzter und vierter Teil im vergangenen
Dezember endlich auch auf Deutsch erschienen ist. Der alltägliche
Kampf ist der Marcos gegen seine inneren Dämonen. Marco
war Kriegsfotograf und zieht sich, psychisch zermürbt, mit
seinem Kater aufs Land zurück. Er leidet unter massiven Panikattacken
und ist auf die Einnahme von Psychopharmaka angewiesen. Auf dem
Dorf verliebt er sich in die Tierärztin Émilie, mit
der er trotz seiner Angst vor Nähe zusammenzieht. Er lernt
außerdem einen älteren Nachbarn kennen, mit dem er
sich anfangs sehr gut versteht. Doch als er ihn auf einem Foto
bei seinem Vater wiedererkennt und erfährt, dass beide zusammen
im Algerienkrieg waren und dort Kriegsverbrechen begingen, zieht
er sich von dem Nachbarn zurück und schneidet ihn. Mit seinem
Vater redet er über das Thema nicht, auch weil dieser kurze
Zeit später an Demenz erkrankt und sich das Leben nimmt.
Sein Vater war Werftarbeiter, und die Werft, die Kollegen dort
und deren Arbeitskämpfe sind ein weiteres wichtiges Sujet
der Reihe. Beeindruckend an Der alltägliche Kampf
sind vor allem die Darstellung von Marcos Ängsten und wie
diese sein Leben bestimmen, zum anderen die beinahe beiläufge
Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit Frankreichs.
Der beinahe naiv wirkende Zeichenstil und die leuchtenden Farben
wechseln zu detaillierten schwarzweißen Landschaftsbildern
oder Porträts, wenn Marco über seine psychischen Probleme
oder die Vergangenheit reflektiert, und in ein schwarz-rot-schraffiertes
Grauen, wenn er seine Panikattacken erleidet. Dennoch ist Der
alltägliche Kampf nicht nur düster, sondern hat
auch lustige Seiten - wie die Begegnungen mit seinem Bruder GEOOOORGES.
Viele Themen des Buches und die Gestaltung einiger Figuren sind
auch in Manu Larcenets anderer Serie Die Rückkehr aufs
Land wiederzufinden, die insgesamt wesentlich leichter und
amüsanter daherkommt. Neben einem Sammelband von Die Rückkehr
aufs Land und der vierteiligen Reihe Der alltägliche
Kampf sind bei Reprodukt in Berlin noch weitere Comics von
Larcenet auf Deutsch erschienen. Es lohnt sich, sie zu entdecken.
|