Am Erker Sonderheft

Fritz Müller-Zech
Fritz Müller-Zech,
noch ohne Vollbart,
leider unscharf, ca. 2000

Fritz Müller-Zech heute
Fritz Müller-Zech
heute - Portrait
von VerstAnd

 
Essays
Fritz Müller-Zech zu Ehren
Gerald Funk
 

Für die Redaktion einer kleinen, mit geringem Budget ausgestatteten Literaturzeitschrift ist es nicht immer leicht, an gutes Personal zu kommen. Wer schuftet schon gern für lau und schreibt sich die Finger wund, wenn er davon nicht leben kann? Und wer gibt sein Bestes her ohne oder für eine eher symbolische Bezahlung? Sind dies dann großherzige Adepten der Musen oder doch eher die Versager im Literaturzirkus? Eine Frage, die nicht immer einfach zu beantworten ist.
Müller-Zech jedenfalls ist einer unserer ältesten und verlässlichsten Mitarbeiter. Auch wenn es Zeiten gab, in denen er für Tage und Wochen abgetaucht war, weil ihn der Literatur- und Lebensblues überwältigt hatte. Selbst wenn der Redaktionsschluss vor der Tür stand. Dann mussten wir in seiner Modellfliegerwerkstatt nach Disketten mit der aktuellen Kolumne suchen, die er dort womöglich liegengelassen hatte. Das Internet und seine Dienste waren noch Teufelswerk. Immerhin hat er in unserer Redaktion einen Zweitschlüssel deponiert für solche Krisensituationen. Ansonsten, wie gesagt, ist er verlässlich. Seit der Heftnummer 25 aus dem Jahr 1992, also seit mehr als einem Vierteljahrhundert, trägt er maßgeblich zum Profil unserer Zeitschrift bei. Seine Kolumne ist inzwischen geradezu legendär. Und es soll einige Leser geben, die ihr hart verdientes Geld nur ausgeben, weil sie die FMZ-Kolumnen so schätzen.
Als Kritiker ist er einer jener Vertreter des Fachs, die regelmäßig von sich selber sprechen, ihren persönlichen Geschmack, ihre Vorlieben und Abneigungen ausdrücklich verbalisieren. Im Klartext heißt das: Er jammert und nörgelt mitunter, dass einem die Ohren pfeifen. Ein Zitat gefällig? "Eigentlich", so schreibt er anlässlich der Rezension eines wenig bemerkenswerten Buches, "ist es mir schon immer schlecht gegangen. Wer einmal versucht hat, vom Verkauf kleiner Schriftstücke zu leben, weiß, wovon ich rede. Manchmal gibt es noch nicht einmal Geld, da manche Redaktion (die von Am Erker nicht ausgeschlossen) offenbar meint, Autoren seien schon damit zufrieden, ihren Namen gedruckt zu sehen. Da freut sich der Zeilenknecht, wenn er wenigstens das Rezensionsexemplar behalten kann." Und das natürlich, weil er es verhökern will.
Es kann nicht ausbleiben, dass in einer so langen Zeit Konflikte entstehen, Kontroversen über Sinn und Zweck literatur- und gesellschaftskritischen Schreibens ausgefochten und ertragen werden müssen. Selten hat sich die Redaktion in diesen Auseinandersetzungen durchsetzen können. Müller-Zechs Urteile sind in der Regel präzise, klar und verständlich formuliert. Zutreffend sind sie allerdings nicht immer. Und schon gar nicht gerecht oder angemessen. Dies sind Kategorien, die er als Kritiker und Kolumnist nicht kennt. Hier in der Redaktion haben wir schon einige schäumende Autoren abwimmeln müssen, die seine Privatadresse erfragen wollten, um ihn gehörig durchzumöbeln. So zumindest war unser Eindruck. Und auch wenn es Einzelnen von uns in den Fingern gejuckt haben mag, seine Anschrift haben wir natürlich nicht weitergegeben. Ob er uns das je danken wird, sei dahingestellt.
So schwierig Müller-Zech als Kritiker bereits ist, als Mensch ist er es noch mehr. Er gehört als Typus - wenn ich mir die Einschätzung an dieser Stelle erlauben darf - zu den wurzellosen Einzelgängern, zu jenen Intellektuellen ohne soziale Bindung, die mit zunehmendem Alter ziemlich kauzig und unwirsch werden. Bis auf gelegentliche Besuche seines Freundes Norbert, einem Kleinautor, Raubdruckverleger und Nichtleser, und seines Neffen vertreibt er sich die Zeit mit Basteln, Lesen und Fernsehen. So viel ist zu uns durchgedrungen. Er macht daraus in seinen Texten auch keinen Hehl. Woher allerdings sein Doppelname kommt, ob er je verheiratet war - was er indes immer wieder abstreitet -, sind Fragen, auf die keiner von uns Redakteuren eine Antwort hat. Seine eher aufbrausende Natur verhindert allzu persönliches Nachhaken.
Er selbst schreibt dazu: "Es mangelt mir an Takt. Mein Benehmen lässt zu wünschen übrig. Ich bin ein Rüpel. Ja, eben dieses böse Wort warf mir der gewöhnlich sehr zurückhaltende Herr Krause von der Trinkhalle erst vor ein paar Tagen an den Kopf. Wahrscheinlich, so fuhr er sinngemäß fort, übte ich nur deswegen den obskuren Beruf des Gesellschaftskritikers aus, um der Kritik der Gesellschaft an mir zuvorzukommen. Ich war Krause für diese klaren Worte dankbar." Er bezichtigt sich in der Folge einer gewissen "sozialen Rücksichtslosigkeit" und berichtet von seiner Studienzeit, wo er "in mottenzerfressene Pullover und schmutzstarrende Nietenhosen gekleidet in literaturwissenschaftlichen und soziologischen Seminaren" herumlungerte und seinen "Kommilitoninnen lüsterne Blicke" zuwarf, während er "in regelmäßigen Abständen Klassenkampfparolen in den Raum" krakeelte. Das Attribut "bürgerlich" wurde, wie er bekennt, zu seinem Lieblingsschimpfwort.
Damit war er natürlich nicht allein in jener Zeit. Die Literaturszene wimmelt noch heute von diesen Typen, und wir in der Redaktion müssen uns regelmäßig mit Texteinsendungen aus deren Feder auseinandersetzen. Und das ist - ich bekenne dies hier freimütig - nicht immer ein Vergnügen. Müller-Zech aber muss man wohl einen Zuspätgekommenen nennen, denn er war noch etwas zu jung, um zur rechten Zeit an den Häuser- und Straßenkämpfen teilzunehmen. Mitunter trägt er diese Ungerechtigkeit der Geschichte wie eine schwere Last auf den Schultern, die ohnehin nicht sehr kräftig sind. Daher wohl auch das übertriebene Aufbegehren seiner Jugendjahre, an die er regelmäßig mit Wehmut zurückdenkt.
Das sind dann die trüben Tage, in denen er sich an seine erste WG in Münster erinnert, an seine Freunde von damals, während er die alte akustische Gitarre hervorholt, um ein bisschen darauf herumzuzupfen (eine E-Gitarre konnte er sich nie leisten). Oder er malt wie früher mit dunklen Aquarellfarben Porträts seiner missgestimmten Seele. Einmal vor Redaktionsschluss besuchte ich ihn, um seine Kolumne abzuholen, und sah im Augenwinkel das noch unfertige Produkt seines Jammers auf der Werkbank liegen, ohne ihn darauf anzusprechen. Es war ihm sichtlich unangenehm. Im Hintergrund liefen die alten Evergreens seiner Jugendjahre von Deep Purple und Golden Earring bis Uriah Heep und Jethro Tull.
Diese Musik verbindet uns. Was ich nicht von seinen Lektürevorlieben sagen kann. Er ist das, was man einen literarischen Gourmand nennen könnte, einen Vielfraß. Man sehe sich einmal auf unserer Website (www.amerker.de) seine rezensierten Bücher an. Das reicht von gerade angesagter Gegenwartsliteratur, die bereits Wochen später vergessen sein wird, bis zu Klassikern der deutschen Literaturgeschichte wie Ror Wolf, Walter Serner, H. C. Artmann oder Oskar Maria Graf. Ganz selten wagt er sich an die internationale Literatur heran, da taucht einmal Petrarca auf oder der französische Fin-de-Siècle-Autor Pierre Louÿs, aber das wohl nur, weil es sich in deren Büchern im weitesten Sinne um Liebe und Lust dreht, für die Müller-Zech tatsächlich ziemlich anfällig zu sein scheint.
Womöglich ist dies auch der Grund, warum er - neben seriösen journalistischen Blättern wie der Zeit und dem Spiegel - mitunter die Bunte liest oder neuerdings mit Begeisterung von der Bravo spricht. Hier verschafft er sich vermutlich seine erotische Kompetenz, die ihm, soweit ich das überblicke, im Leben bislang versagt blieb.
"There's too many women and not enough wine", heißt es in einem Song von Procol Harum. Bei FMZ ist es wohl eher umgekehrt. Das macht ihn letztlich zu einem Einzelgänger, zu einem wirklichen Solitär der Literaturszene, einem allerdings, der sich mit seinen Kolumnen, von denen einige hier von seinen Freunden in der Redaktion anlässlich seines Geburtstags ausgewählt wurden, trotz all ihrer Unzulänglichkeiten und Manierismen einen Platz in der Geschichte der deutschen Literaturkritik sichern wird. Da bin ich sicher.