Texte
Am Erker 45, Münster, Juni 2003
 

Guido Rademacher
Warten auf den Förster

Polakowski spazierte durch den Baumberger Wald, stolperte über eine Baumberger Baumwurzel und brach sich das Bein. Da kam Krakowski, stolperte über Polakowski und brach sich den Arm. Da lagen beide mit gebrochenen Gliedern im Baumberger Wald und warteten auf den Förster.
Aber es war Sonntag.
Und am Sonntag fuhr der Förster nach Münster, um mit der Förstersgattin durch den Allwetterzoo zu spazieren.
Krakowski meinte, warten wir auf den Förster, er wird uns helfen.
Ja, meinte Polakowski, warten wir auf den Förster.
Die beiden konnten wirklich nicht wissen, daß der Förster und seine Gattin jeden Sonntag nach Münster fahren, um durch den Allwetterzoo zu spazieren. Man denkt sich den Förster eben immer im Wald, wie den Pfarrer im Gotteshaus. Niemand käme auf die Idee, daß an einem Sonntagmorgen Baumberger Pfarrer und Baumberger Förster nach Münster fahren, um durch den Allwetterzoo zu flanieren.
Und so warteten Krakowski und Polakowski, bis Krakowski plötzlich rief, da kommt der Förster.
Ja, der Förster kommt, rief Polakowski.
Guten Morgen, sagte der Briefträger Alfons, auf wen wartet ihr.
Guten Morgen, Alfons, sagte Krakowski.
Guten Morgen, Alfons, sagte Polakowski, wir warten auf den Förster.
Ach, der Förster, na, der wird wohl in seinem Wald sein, sagte der Briefträger Alfons und wünschte den beiden noch einen schönen Tag.
Polakowski und Krakowski warteten den ganzen Baumberger Sonntag, aber außer einem Reh und zwei Hasen kam niemand mehr vorbei. Krakowski wollte gerade aufstehen, weil er meinte, seine Frau würde sich langsam Sorgen machen, als plötzlich, wie aus einem Baum gefallen, der Penner Stanislaus vor ihnen saß.
Mit Stanislaus hatten die beiden wirklich nicht gerechnet, denn Stanislaus saß jeden Sonntag vor dem Allwetterzoo in Münster, um an seiner Mundharmonika zu lutschen - das wußte jeder.
Hau ab, Stanislaus, sagte Krakowski.
Ja, hau ab, wir geben nichts, sagte Polakowski.
Aber Stanislaus zog seine Mundharmonika aus der Tasche und lutschte den beiden das Lied vom armen Förster Albersmann vor, dem eines Tages eine Buche auf den Kopf fiel und dessen Gattin den Buchensarg selber zimmern mußte, wobei sie sich die linke Hand absägte. Der Witwe war es aber zu langweilig so allein im Wald, und da heiratete sie einen Metzger. Darüber erzürnte der Förster so sehr, daß er seiner Gattin eines Nachts als Geist erschien und ihr auch noch die rechte Hand abhackte. Die Metzgersfrau erkannte ihre Schuld, und man fand sie am nächsten Morgen erhängt in Baumberger Wald.
Noch heute, so heißt es in dem Lied, rätseln die Baumberger, wie sie das wohl fertiggebracht hat.
Polakowski und Krakowski standen die Tränen in den Augen, als ihnen aber Stanislaus seinen Hut hinhielt, da hatten sie natürlich wieder kein Kleingeld.
Verschwinde Stanislaus, gleich kommt der Förster, sagte Krakowski.
Ja, verschwinde Stanislaus, du weißt, was dir blüht, wenn der Förster kommt, sagte Polakowski.
Aber Stanislaus grinste und lutschte den beiden noch viele Lieder vor, bis langsam die Sonne hinter dem Baumberger Wald verschwand.
Am Baumberger Montagmorgen erwachte zuerst Krakowski. Vorsichtig versuchte er aufzustehen, knickte aber gleich wieder ein und fiel mit dem gebrochenen Arm auf das gebrochene Bein Polakowskis.
Ich hab's geahnt, ich hab's geahnt, schrie Krakowski.
Da erwachte auch Polakowski.
Ja, ja, es war vorauszusehen, schrie Polakowski.
Ach, wenn nur endlich der Förster käme, sagte Krakowski.
Ja, wo bleibt nur der Förster, sagte Polakowski.
Da knackte es plötzlich im Gebüsch und beide riefen:
DER FÖRSTER!
Gut, daß ich euch endlich treffe, sagte der Pfarrer, ich vermisse euch seit langer Zeit beim Gottesdienst.
Polakowski und Krakowski waren plötzlich wieder eingeschlafen.
Der Allmächtige Herr wird auch euch vergeben. Hier habt ihr meinen Segen.
Nein, nein, bitte keinen Segen, rief Krakowski.
Ja, ja, bitte keinen Segen, rief Polakowski.
Der Pfarrer lupfte beleidigt seine Soutane und verschwand wieder im Gebüsch. Der Baumberger Montag verblich wie der Baumberger Sonntag, und der Baumberger Mittwoch verblich wie der Baumberger Dienstag, aber dem Baumberger Donnerstag kamen Polakowski und Krakowski zuvor.
Ich sterbe jetzt, sagte Krakowski.
Ja, wir sterben, sagte Polakowski.
Als beide gestorben waren, sprang der Pfarrer wieder aus dem Gebüsch und wurde endlich seinen Segen los. Dann verscharrte er mit bloßen Händen die Baumberger Leichen unter einer Baumberger Buche.
Als am Abend die Sonne hinter dem Baumberger Wald verschwand, da saß der Penner Stanislaus am Grab von Polakowski und Krakowski und lutschte den beiden das Lied vom Förster vor, der nie wieder in seinen Wald zurückkam, weil die Förstersgattin beim Flanieren in den Aasee gefallen und dort ertrunken war und der Förster aus lauter Kummer eine Sozialpädagogin aus Burgsteinfurt geheiratet hatte.