Texte
Am Erker 41, Münster, Juni 2001
 
Gewinnertext des 2. 'Am Erker'-Kurzgeschichtenpreises 2001
 

Crauss.
unterwegs - eine nacht in scenen

schon wieder riecht die luft nach park. du nimmst die witterung auf, allmählich. die geparkten wagen, und obwohl der mond noch kühl ist, tauen männer aus dem boden, stehn wie bäume, grenzbestammung um den stadtwall. und ihr ruch zeigt dir bereitschaft an und unter ihrer haut schwitzt süsse. eine hoffnung treibt dich, du erkennst sie an den jacken, weisst nicht, was du wirklich suchst. und sehen willst. ein rudel findet sich, ein frösteln. ein eindruck, dann bewegung. die stadtbaumwölfe berichten vom winterschlaf, du folgst, du bist der fänger im park, das vom rudel abgetriebene; denn gleich dir folgt dir jemand, junger wolf! die jagd ist angesetzt, die luft voll beute, wenn du dich auch lässig gibst. du wirst gerissen werden und der mond scheint kalt. du hast es nicht gewusst, doch es ist frühling.
bis es aufklart, steigen jetzt noch oft die buben aus dem strauch. tropfende vampyre, die sich schweigend wunden beissen in bauch und schritt, so wie es brauch ist, wie sie es gelernt haben zum frühlingsanfang. eine einzig ruhige nacht im städtchen bayern. schluck für schluck rauchen zwei sich an, die basecaps tief in ihrer stirn, zwischen ihnen stille und ein schnacken, regelmäszig; den bund der stretchpants mit dem daumen unbewegt zum anschlag geweitet, frisch ausgehangen: maibaumschlagen um die wette. sonderangebot, denkst du, lächelst einen von ihnen an und darfst dich hinknien. sie drücken dich lässig nach unten, seitlich gegen den wagen. es rauscht natur. dahinter spielen pumpend bässe, die du erst jetzt bemerkst, mit beschlagnen scheiben. treibende melodien im leib und kühlendes metall im nacken...
angeber, denkst du, als du einen moment zeit hast, luft zu holen und sich eure augen treffen; wie der wagen, so's betragen. über das alte sprichwort, das du noch nie hast leiden können, ziehst du wieder von dannen, neidisch, unbefriedigt, während nun der andere sich festsaugt und -beisst. er hat sehr schöne zähne, aber er weiss dass man nicht redet. so ist das hier in der gegend seit jeher. alles wird geschluckt, ganz klar, und wenn du hilfe brauchst, verlässt du dich auf freunde. aber an die regeln muss sich jeder halten. du beginnst, diese touristenattraktion mit dialekteinschlag zu mögen: zungenschlag der wildnis, spiegelschrift der jugend. wohlerzognes landerholungsheim, bayerischer wald um mitternacht, und nachher wirst du sie beim steckenwirt noch einmal sehen; etwas heller sitzen sie und lachen, trinken, was sie vorher losgeworden, wischen sich die mäuler ab. hier sind ihre reisser billige folklore, biergemütlichkeit. und doch: irgendwann setzt du dich wieder dazu, versuchst unbeholfen ein paar worte. es ist zu spät für eine unterhaltung, vorhin sei noch zeit gewesen, sagt einer. an die regeln müsse man sich schon halten.
wenn du das gasthaus schliesslich verlässt, liegt der einzige ort für ein wort unter freunden eine ganze weile noch betäubt und wartet, dass es wieder aufklart. es ist zwei jetzt, wieder im hotel. du hast noch ein glas wein in der hand und machst dich auf den weg. schlag auf mich ein, denkst du, den schlüsselbund bereit. schlag auf mich ein. die kleine pension kennst du nun schon fast auswendig, was soll's also. call the police, there's a madman around - underground in a dive bar. hier begegnen einem keine engel, und selbst der knabe gestern, der dich nicht gehört hatte, tat nur eine nachtlang gut. die ewigkeit hat grenzen, selbst hier. vollkommen nackt kam er aus dem zimmer gehuscht, in der annahme, die luft sei rein. oh ja, die luft war rein, dein schritt verdunkelte sich über dem teppich. zwanzigjähriger apfelarsch mit dunklen locken, eine stolze haut. die tür des appartements nur angelehnt, die welt dort drin nicht ganz verschlossen. was interessierte dich die welt, was die frau, die ihn verführt hatte oder werauchimmer sich verbarg dahinter. er schien jung genug, ein weiteres opfer auszuhalten, diesmal vielleicht unter der von allen gästen gemeinsam benutzten dusche. er würde dich einladen, die tür genau so angelehnt, dass du es als einladung nicht missverstehen konntest. wie ebenjene, die er jetzt verliess. schlag mich, dachtest du. da drehte er sich um, dein blick zu intensiv, zu fordernd. lass ihm zeit. der knabe wischte sich erschreckt durchs haar, verschwand schnell um die ecke. sinnlos, ihm hinterherzulaufen. kleiner tod dann, allein unter der gelben nachttischlampe.

du quälst mich, mädchen. warum strahlst du so, wenn du das denkst. du denkst an letzte nacht, den parkplatz, das hotel dann, wie du müde mit dem wein in der hand eingeschlafen. ich schlage meine lider über dich, denkst du. das autobahngefühl bei diesem song. das radio und der mann, der behauptet, der tod hätte ihm bereits die wange sanft gestreift. er benutzt zündhölzer für seine cigaretten, und du glaubst ihm das, du narr. seit tagen denselben pullover am leib und der geruch, der nicht vergehen will. seit tagen unterwegs. du quälst dich. fühlst dich wohl dabei und denkst dir nichts, wenn im grauen des morgens eine mädchenleiche in der nähe deines wagens gefunden wird. plötzlich befindest du dich ausserhalb der stadt. engel entjungfern, denkst du. engel entjungfern. das mädchen auf dem fahrrad, die kleine bedienung der fettigen kneipe. er sagt nicht viel, er hat dich nur benutzt, denkst du. rausgerannt, zum wagen, dann dieses autobahngefühl. landstrasse, das mädchen auf dem fahrrad. von einem hotel zum andern. heimweg, denkst du, und: fahrradsattel. bei dem wort kriegst du eine erektion. aber die göre ist zu schnell für dich. seit tagen denselben pullover mit dem duft, der nichtmehr weggeht. du hast dich noch nicht beklagen können über einen vorzeitigen abgang. aber du hast ihm geglaubt. er hat dich benutzt. er hat streichhölzer benutzt. es hätte dir eine warnung sein sollen. die göre ist im dunkel verschwunden. du stehst am strassenrand und holst deinen schwanz raus. zu spät. die bar, der alcohol, die drittklassige kneipe wieder mit der sängerin. der streichholzmann ist weg. wieder zum wagen, über die fernstrasse. petting mit dem tod, denkst du. und: wer nichts wagt, trinkt bier. gegen ein parkendes auto zu onanieren, fällt dir ein. aber jetzt glaubst du dir das selber nichtmehr. blödsinnig vergeht die zeit sich an deinen wunden. und es bleibt nicht viel, sie noch zu lecken.
da gehst du und weisst es nicht. die lieder werden dich umbringen, ermorden, dir das leben nehmen. sie sind hinter dir, in diesem augenblick, sie dringen durch, sie nähern sich. du wirst sie erst viel später hören und es wird dich schmerzen, du wirst schreien, wellen schreien, dich dem raubtier hingeben, wie ein stück fleisch dich auseinanderreissen lassen vom nachhall dieser melodien. du wirst es geschehen lassen, weil du nicht weisst, was diesen schmerz ausmacht, weil du seinen urpunkt nicht erkennst. du siehst das gerötete fleisch im echo der sehnsucht auf deiner haut, und dann bekommst du angst, es treibt dich kurz davor, die harten klänge einfach herunterzureissen wie verwelkte haut.
dann siehst du einen, der nichts weiss von seiner schönheit und sie vergeudet darum, der die melodien anlockt, ohne vor ihnen zu fliehen, der stehenbleibt, auf die tödliche strophe wartet, sich opfert. das erschöpft dich, du rennst schneller, wenn er sich zu dem geräusch bewegt, das dir gilt, wenn er deine melodie zu singen sucht. du rennst, aber du weisst nicht, wohin. du wirst verfolgt. du ringst nach atem, wenn die lieder nach dir greifen. sie ernähren sich von dir, irgendetwas in dir tanzt, unermüdlich, einmal angetrieben, nicht wieder still zu kriegen; es wird lauter, noch in dieser nacht. etwas bewegt sich hinter dir, dann in dir, das du nicht verstehst. es bringt dich um, es tötet dich. die haut wird reizbar davon, bedingungslos.