Texte
Am Erker 41, Münster, Juni 2001
 

Jürgen Roth
Die Teueresser

[...] aber er hatte im Auge Gottes, während ich gegessen habe, natürlich nur ein Glas Bier getrunken [...]
Thomas Bernhard: Die Billigesser

Ich selbst war durchaus nicht immer und lieber nicht häufig ein WIELÖ-Aufsucher gewesen, aber niemals war ich auch ein reiner Billigesser gewesen, der nur das billige Essen zu essen sich anschickte, der nur, weil das Essen ein teures Essen sei, sich selber aufopferte und durch die Wüste ginge und lieber dürstete, statt ein vielleicht nicht ganz billiges, aber auch ein nicht ganz teures Getränk oder ein sehr teures Getränk vielleicht auch zu trinken und dazu ein kleines oder ein größeres Essen, das kein zu teures, aber auch kein zu billiges Essen sein dürfe, zu essen und zu verspeisen.
Da ich aber nicht und auch niemals vom Grunde des Grundsatzes, immer nur billig oder, wie ich es manchmal nannte, günstig zu essen - weil ich von diesem Grundsatze her niemals ein totaler, ein völliger Billigesser und gleichzeitig auch kein im Grunde Durchschnittsesser oder aber, im Gegenteil, ein tatsächlich ganz und gar dauernder Teueresser gewesen war noch bin, hatte ich auch einmal die Berechtigung, richtig teuer zu essen.
Weil mir einmal danach war, die Wüste zu fliehen, diese alles vernichtende, alle Nervenempfindungen und Geschmacksempfänger von ihren Wurzeln her völlig verderbende und im Grunde ausrottende, diese jede menschliche Essenshaltung und Einstellung zum menschenwürdigen Essen zerstörende und vernichtende Billigesserei und desgleichen die im Grunde eigentlich ähnlich, wenn nicht noch erheblich stärker zersetzende Durchschnittsesserei sein zu lassen und damit diese Ödnis tatsächlich auf einmal einmal aufzugeben, ging ich einmal hinein in dieser WIELÖ und aß.
Dort, in dieser ganz und gar überhaupt nicht der Idee des billigen Essens und der ganz gewöhnlichen Vorstellung der Billigesser entsprechenden Essensörtlichkeit, traf ich die Teueresser Hülshoff, Ranz, Klonk und Reiberbacher. Auf einmal, als ich mich zu diesen Teueressern, zu Hülshoff, Ranz, Klonk und Reiberbacher, hinzugesellte und ganz umständelos neben ihnen bei ihnen am Tisch der Teueresser einen Platz mir nahm, drängten die Teueresser mir schon beinahe plötzlich die Idee des teuren Essens tatsächlich ohne weitere Umstände auf, und, so Ranz, die Richtigkeit des teuren Essens treibe er, Ranz, so sagte Ranz, schon gleich in mein Denken und in mich hinein, ich, der Billig- oder der wenigstens Durchschnittsesser, werde dies schon bemerken, mein Magen werde dies schon merken und bestätigen und die morgen sich bemerkbar machende Verdauung auch.
Jedes andere Denken, jedes andere Essendenken, so Hülshoff, werde dann, wenn ich die Idee, die Praxis des teuren Essens verstanden, in mich hineingesogen und aufgenommen hätte, vollkommen ausgeschaltet sein. Dieses Denken, das ein Denken an das günstige Essen sei, an ein Essen sei, das man günstig und überall erwerben könne, ohne eine Anstrengung zu einem wirklichen Essen zu unternehmen, dieses Denken sei dann gehabt. Es sei ein falsches, ein dann gehabtes Denken, dessen ich mich dann tatsächlich und auf einmal ein für allemal habe entledigt haben können oder vielmehr, so Hülshoff, entledigt hätte. Dieses Denken sei dann erledigt, so Hülshoff, ein überhaupt erledigtes Denken.
Die Teueresser hatten mir, als ich die WIELÖ betreten hatte, um noch einen Gedanken an eine Möglichkeit eines billigen, eines vielleicht günstigen und völlig durchschnittlichen, gewöhnlichen Essens zu formulieren oder vielleicht ihn, den Gedanken, an das doch bevorstehende und unausweichliche, alles bisherige Essen auslöschende teure Essen zu wenden und zu verschwenden, ja, so Reiberbacher, zu vergeuden, sofort einen Stuhl, einen Platz in ihrer Mitte angeboten. Ich nahm ihn, den Platz, naturgemäß augenblicklich an, obgleich ich noch an diesem Gedanken zu kauen hatte, den ich aber auch gleich tatsächlich völlig und vielmehr teilweise vergaß.
Ich hatte beschlossen, unter allen Umständen an diesem Tisch der Teueresser Platz zu nehmen und mich niederzulassen. Diesen Tisch der Teueresser hätte ich auch dann tatsächlich gewählt und angestrebt, wenn die Teueresser den Plan gehabt hätten, mich abzuweisen und in meiner Würde, die als Billigesser oder als wenigstens Durchschnittsesser, der oft durch die durchschnittliche Wüste der normaldurchschnittlichen Tristesse des gewöhnlichen, ganz und gar schäbigen, geschmacksvernichtenden Essens schritt, eine sehr geringe und nicht mehr menschlich zu nennende Würde war, zu verletzen oder, so Kransmeier, der Sommelier, später beiläufig, zu zerstören, ganz stark zu attackieren und ein für allemal vernichtend, mein Denken und Billigessen auslöschend anzugreifen. Ich war unumstößlich entschlossen, am Tisch der Teueresser einen Platz zu nehmen und zu beanspruchen, für mich zu beanspruchen und einzunehmen. Und nahm ihn, den Teuereßplatz, ein.
Der Gehilfe der Küche, so plötzlich Klonk, da ich diesen Platz, der mich vor meiner gesellschaftlichen und ganzundgar menschlichen Vernichtung bewahrte und, so Hülshoff später, auch rettete, eingenommen hatte, sei ein völlig hilfloser Gehülfe, ein hilflos herumwetzender und herumwirrender Gehilfe und, so Klonk, Gehülfe. Der Küchengehilfe oder -gehülfe, so Klonk bald nach meinem Platznehmen am Tisch der Teueresser, habe ihm zugenickt oder vielleicht sogar zublinzelt gehabt, so Klonk, so, so Klonk, als habe er seinen, des Gehülfen, Auftrag nicht verstanden, den Gehilfen-, den Küchengehilfenauftrag nicht richtig verstanden.
Ich maß dem keine weitere Bedeutung zu. Ich saß am Tisch der Teueresser, und Klonk und Ranz und Hülshoff und Reiberbacher, die Teueresser, nahmen dies wie eine Selbstverständlichkeit. Sie, die Teueresser, hatten mich tatsächlich mit der alleräußersten Zuvorkommenheit aufgefordert, an ihrem Tisch Platz zu nehmen. Ich hatte Platz genommen am Tisch der Teueresser, obschon die Teuersser nicht unbedingt von ihren Plätzen aufgesprungen waren. Sie schnitten die Gesichter von geborenen Teueressern, und ich wußte, ich, der Billigesser, hätte schon für immer ein Teueresser gewesen sein können, wäre ich nicht tatsächlich ein gewöhnlicher, ein mediokrer Esser gewesen, bis die Teueresser mir einen Platz und einen Sessel am Tisch der Teueresser angeboten und mit der allerbereitwilligsten Entschiedenheit eingeräumt hatten.
Dies, so Klonk, sei das allernormalste Teueressen, das man sich, und er schließe sich und alle anderen Teueresser, Ranz, Hülshoff und Reiberbacher, da durchaus mit ein, vorzustellen vermöge, und ich, der neue Teueresser, könne sicher sein, nicht länger ein einfacher, der Idee des würdigen und menschenwürdigen Essens völlig verschlossener gewöhnlicher Esser zu sein. Mein Darben, so Klonk, mein Waten durch die kulinarische Wüste, so Hülshoff assistierend und kräftig den kraftvollen Kopf nickend, mein das Menschenwesen total vernichtende, ja verwesende Essen und mein Eßverhalten seien nun, seien jetzt, so Klonk, und Reiberbacher und der andere Teueresser und der Sommelier stimmten zu und pflichteten genaugenommen bei, ihm, Klonk, und auch den anderen, seien nun passé. Seien gewissermaßen offucked.
Ich gab hierzu keine Meinung. Ich saß und aß am Tisch der Teueresser, die schon immer das teuerste, das möglich teure Essen, das tatsächlich allerteuerste Essen aßen und zu sich nahmen. Sie kannten, so dachte ich, keine Not, nicht die Steppe, fiel mir ein Wort, ein treffendes Wort jetzt ein. Sie wußten nichts von Trockenheit, von der Zermürbung der Kehlen und Ausreizung und eigentlichen menschenwürdeherunterzerrenden Verkarstung der Mund- und Bauchhöhlen undsofort. Aber darüber nichts weiter. Denn die Teueresser in der, in dieser WIELÖ gaben sich diesem möglichst teuren Essen hin, denn, so Klonk und Hülshoff simultan, sie seien keine Jesuse. Sie seien keine Laffen, und Affen seien sie schon ganz und gar nicht.
Tatsächlich aßen die Teueresser nicht um die Rettung anderer vor der Vernichtung. Sie aßen, so nun Reiberbacher, einen Klumpen Austern in die Backen, in genaugenommen die Wangen hineinstopfend, des Essens, das ein einfaches, ein echtes Essen sei, wegen. Nur ein echtes Essen könne auch ein richtiges Essen sein, und ein einfaches, ein durchaus auch teures Essen sei dann, so Reiberbacher weiterhin mampfend, ein rechtes und ein richtiges Essen, wenn es einfach gegessen würde und niemand, nicht Klonk, nicht Hülshoff oderwersonst, dabei an die Vernichtung von Menschen denke und einen, strenggenommen, Gedanken verschwende.
Die ein wenig schlechte geistesfeindliche Luft umstob und umtoste mich, während dies gesagt und ein wenig weitergegessen wurde. Ich war, dachte ich, und es dachten wohl auch die Teueresser, an deren Tisch ich ganz naturgemäß Platz genommen und gefunden und an deren Gesellschaft ich Gefallen gefunden hatte, ebensosehr dies, ein Teueresser, nun. Um meinen, so dachte ich, dies denkend, sich denkenden Kopf, in dessen Mund ein Happen Mehlfisch verschwand, dies nicht denken zu lassen, er, der Kopf (mit Mund), müsse sich zu Tode schämen, um dies, dies mich selbst mit meinem Kopf vernichtende Denken abzulenken und seinerseits zu vernichten, nahm ich unter der Beifallschaft der Teueresser, der Auffälligsten, die ihre Vorschlagsmöglichkeit gebührend vorbrachten, noch ein Dessert.
Und dies, dies Dessert, schmeckte sehr.
Denn, so die Teueresser nun unisono und mit einer Stimme sprechend, das Zuendeessen sei konsequent anzupeilen und durchzuführen, so die Teueresser.
So sagten die Teueresser mir, dem jetzt genaugenommen Aufgenommenen, dem in der WIELÖ und der Menschheit ganz und ganz Aufgehobenen undsoweiterpahpahpah.