Jürgen Roth
[...] aber er hatte im Auge Gottes,
während ich gegessen habe, natürlich nur ein Glas
Bier getrunken [...]
Thomas Bernhard: Die Billigesser
Ich selbst war durchaus nicht immer und lieber
nicht häufig ein WIELÖ-Aufsucher gewesen, aber niemals
war ich auch ein reiner Billigesser gewesen, der nur das billige
Essen zu essen sich anschickte, der nur, weil das Essen ein teures
Essen sei, sich selber aufopferte und durch die Wüste ginge
und lieber dürstete, statt ein vielleicht nicht ganz billiges,
aber auch ein nicht ganz teures Getränk oder ein sehr teures
Getränk vielleicht auch zu trinken und dazu ein kleines oder
ein größeres Essen, das kein zu teures, aber auch kein
zu billiges Essen sein dürfe, zu essen und zu verspeisen.
Da ich aber nicht und auch niemals vom Grunde des Grundsatzes,
immer nur billig oder, wie ich es manchmal nannte, günstig
zu essen - weil ich von diesem Grundsatze her niemals ein totaler,
ein völliger Billigesser und gleichzeitig auch kein im Grunde
Durchschnittsesser oder aber, im Gegenteil, ein tatsächlich
ganz und gar dauernder Teueresser gewesen war noch bin, hatte
ich auch einmal die Berechtigung, richtig teuer zu essen.
Weil mir einmal danach war, die Wüste zu fliehen, diese alles
vernichtende, alle Nervenempfindungen und Geschmacksempfänger
von ihren Wurzeln her völlig verderbende und im Grunde ausrottende,
diese jede menschliche Essenshaltung und Einstellung zum menschenwürdigen
Essen zerstörende und vernichtende Billigesserei und desgleichen
die im Grunde eigentlich ähnlich, wenn nicht noch erheblich
stärker zersetzende Durchschnittsesserei sein zu lassen und
damit diese Ödnis tatsächlich auf einmal einmal aufzugeben,
ging ich einmal hinein in dieser WIELÖ und aß.
Dort, in dieser ganz und gar überhaupt nicht der Idee des
billigen Essens und der ganz gewöhnlichen Vorstellung der
Billigesser entsprechenden Essensörtlichkeit, traf ich die
Teueresser Hülshoff, Ranz, Klonk und Reiberbacher. Auf einmal,
als ich mich zu diesen Teueressern, zu Hülshoff, Ranz, Klonk
und Reiberbacher, hinzugesellte und ganz umständelos neben
ihnen bei ihnen am Tisch der Teueresser einen Platz mir nahm,
drängten die Teueresser mir schon beinahe plötzlich
die Idee des teuren Essens tatsächlich ohne weitere Umstände
auf, und, so Ranz, die Richtigkeit des teuren Essens treibe er,
Ranz, so sagte Ranz, schon gleich in mein Denken und in mich hinein,
ich, der Billig- oder der wenigstens Durchschnittsesser, werde
dies schon bemerken, mein Magen werde dies schon merken und bestätigen
und die morgen sich bemerkbar machende Verdauung auch.
Jedes andere Denken, jedes andere Essendenken, so Hülshoff,
werde dann, wenn ich die Idee, die Praxis des teuren Essens verstanden,
in mich hineingesogen und aufgenommen hätte, vollkommen ausgeschaltet
sein. Dieses Denken, das ein Denken an das günstige Essen
sei, an ein Essen sei, das man günstig und überall erwerben
könne, ohne eine Anstrengung zu einem wirklichen Essen zu
unternehmen, dieses Denken sei dann gehabt. Es sei ein falsches,
ein dann gehabtes Denken, dessen ich mich dann tatsächlich
und auf einmal ein für allemal habe entledigt haben können
oder vielmehr, so Hülshoff, entledigt hätte. Dieses
Denken sei dann erledigt, so Hülshoff, ein überhaupt
erledigtes Denken.
Die Teueresser hatten mir, als ich die WIELÖ betreten hatte,
um noch einen Gedanken an eine Möglichkeit eines billigen,
eines vielleicht günstigen und völlig durchschnittlichen,
gewöhnlichen Essens zu formulieren oder vielleicht ihn, den
Gedanken, an das doch bevorstehende und unausweichliche, alles
bisherige Essen auslöschende teure Essen zu wenden und zu
verschwenden, ja, so Reiberbacher, zu vergeuden, sofort einen
Stuhl, einen Platz in ihrer Mitte angeboten. Ich nahm ihn, den
Platz, naturgemäß augenblicklich an, obgleich ich noch an
diesem Gedanken zu kauen hatte, den ich aber auch gleich tatsächlich
völlig und vielmehr teilweise vergaß.
Ich hatte beschlossen, unter allen Umständen an diesem Tisch
der Teueresser Platz zu nehmen und mich niederzulassen. Diesen
Tisch der Teueresser hätte ich auch dann tatsächlich gewählt
und angestrebt, wenn die Teueresser den Plan gehabt hätten,
mich abzuweisen und in meiner Würde, die als Billigesser
oder als wenigstens Durchschnittsesser, der oft durch die durchschnittliche
Wüste der normaldurchschnittlichen Tristesse des gewöhnlichen,
ganz und gar schäbigen, geschmacksvernichtenden Essens schritt,
eine sehr geringe und nicht mehr menschlich zu nennende Würde
war, zu verletzen oder, so Kransmeier, der Sommelier, später beiläufig,
zu zerstören, ganz stark zu attackieren und ein für
allemal vernichtend, mein Denken und Billigessen auslöschend
anzugreifen. Ich war unumstößlich entschlossen, am
Tisch der Teueresser einen Platz zu nehmen und zu beanspruchen,
für mich zu beanspruchen und einzunehmen. Und nahm ihn, den
Teuereßplatz, ein.
Der Gehilfe der Küche, so plötzlich Klonk, da ich diesen
Platz, der mich vor meiner gesellschaftlichen und ganzundgar menschlichen
Vernichtung bewahrte und, so Hülshoff später, auch rettete,
eingenommen hatte, sei ein völlig hilfloser Gehülfe,
ein hilflos herumwetzender und herumwirrender Gehilfe und, so
Klonk, Gehülfe. Der Küchengehilfe oder -gehülfe,
so Klonk bald nach meinem Platznehmen am Tisch der Teueresser,
habe ihm zugenickt oder vielleicht sogar zublinzelt gehabt, so
Klonk, so, so Klonk, als habe er seinen, des Gehülfen, Auftrag
nicht verstanden, den Gehilfen-, den Küchengehilfenauftrag
nicht richtig verstanden.
Ich maß dem keine weitere Bedeutung zu. Ich saß am
Tisch der Teueresser, und Klonk und Ranz und Hülshoff und
Reiberbacher, die Teueresser, nahmen dies wie eine Selbstverständlichkeit.
Sie, die Teueresser, hatten mich tatsächlich mit der alleräußersten
Zuvorkommenheit aufgefordert, an ihrem Tisch Platz zu nehmen.
Ich hatte Platz genommen am Tisch der Teueresser, obschon die
Teuersser nicht unbedingt von ihren Plätzen aufgesprungen
waren. Sie schnitten die Gesichter von geborenen Teueressern,
und ich wußte, ich, der Billigesser, hätte schon für
immer ein Teueresser gewesen sein können, wäre ich nicht
tatsächlich ein gewöhnlicher, ein mediokrer Esser gewesen,
bis die Teueresser mir einen Platz und einen Sessel am Tisch der
Teueresser angeboten und mit der allerbereitwilligsten Entschiedenheit
eingeräumt hatten.
Dies, so Klonk, sei das allernormalste Teueressen, das man sich,
und er schließe sich und alle anderen Teueresser, Ranz,
Hülshoff und Reiberbacher, da durchaus mit ein, vorzustellen
vermöge, und ich, der neue Teueresser, könne sicher
sein, nicht länger ein einfacher, der Idee des würdigen
und menschenwürdigen Essens völlig verschlossener gewöhnlicher
Esser zu sein. Mein Darben, so Klonk, mein Waten durch die kulinarische
Wüste, so Hülshoff assistierend und kräftig den
kraftvollen Kopf nickend, mein das Menschenwesen total vernichtende,
ja verwesende Essen und mein Eßverhalten seien nun, seien
jetzt, so Klonk, und Reiberbacher und der andere Teueresser und
der Sommelier stimmten zu und pflichteten genaugenommen bei, ihm,
Klonk, und auch den anderen, seien nun passé. Seien gewissermaßen
offucked.
Ich gab hierzu keine Meinung. Ich saß und aß am Tisch
der Teueresser, die schon immer das teuerste, das möglich
teure Essen, das tatsächlich allerteuerste Essen aßen
und zu sich nahmen. Sie kannten, so dachte ich, keine Not, nicht
die Steppe, fiel mir ein Wort, ein treffendes Wort jetzt ein.
Sie wußten nichts von Trockenheit, von der Zermürbung
der Kehlen und Ausreizung und eigentlichen menschenwürdeherunterzerrenden
Verkarstung der Mund- und Bauchhöhlen undsofort. Aber darüber
nichts weiter. Denn die Teueresser in der, in dieser WIELÖ
gaben sich diesem möglichst teuren Essen hin, denn, so Klonk
und Hülshoff simultan, sie seien keine Jesuse. Sie seien
keine Laffen, und Affen seien sie schon ganz und gar nicht.
Tatsächlich aßen die Teueresser nicht um die Rettung
anderer vor der Vernichtung. Sie aßen, so nun Reiberbacher,
einen Klumpen Austern in die Backen, in genaugenommen die Wangen
hineinstopfend, des Essens, das ein einfaches, ein echtes Essen
sei, wegen. Nur ein echtes Essen könne auch ein richtiges
Essen sein, und ein einfaches, ein durchaus auch teures Essen
sei dann, so Reiberbacher weiterhin mampfend, ein rechtes und
ein richtiges Essen, wenn es einfach gegessen würde und niemand,
nicht Klonk, nicht Hülshoff oderwersonst, dabei an die Vernichtung
von Menschen denke und einen, strenggenommen, Gedanken verschwende.
Die ein wenig schlechte geistesfeindliche Luft umstob und umtoste
mich, während dies gesagt und ein wenig weitergegessen wurde.
Ich war, dachte ich, und es dachten wohl auch die Teueresser,
an deren Tisch ich ganz naturgemäß Platz genommen und
gefunden und an deren Gesellschaft ich Gefallen gefunden hatte,
ebensosehr dies, ein Teueresser, nun. Um meinen, so dachte ich,
dies denkend, sich denkenden Kopf, in dessen Mund ein Happen Mehlfisch
verschwand, dies nicht denken zu lassen, er, der Kopf (mit Mund),
müsse sich zu Tode schämen, um dies, dies mich selbst
mit meinem Kopf vernichtende Denken abzulenken und seinerseits
zu vernichten, nahm ich unter der Beifallschaft der Teueresser,
der Auffälligsten, die ihre Vorschlagsmöglichkeit gebührend
vorbrachten, noch ein Dessert.
Und dies, dies Dessert, schmeckte sehr.
Denn, so die Teueresser nun unisono und mit einer Stimme sprechend,
das Zuendeessen sei konsequent anzupeilen und durchzuführen,
so die Teueresser.
So sagten die Teueresser mir, dem jetzt genaugenommen Aufgenommenen,
dem in der WIELÖ und der Menschheit ganz und ganz Aufgehobenen
undsoweiterpahpahpah.
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