Mit Herzblut und analytischer Schärfe
Andreas Heckmann
Manja Präkels, Verfasserin des 2018 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichneten Romans Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß, hat in den letzten gut zehn Jahren zahlreiche kürzere Texte verfasst, die zumal um ihr Großwerden in der DDR, die Wende in der Kleinstadt Zehdenick an der Havel, die Rechtsradikalisierung primär, aber nicht nur in Ostdeutschland seit der Wende kreisen. Nun wurden gut zwanzig dieser Texte unter dem Titel Welt im Widerhall oder war das eine Plastiktüte? zusammengefasst.
Das lesenswerte Buch straft die Sorge des Rezensenten Hohn, er könnte von einer Lawine allzu ähnlicher Texte überrollt werden. Wie kleingläubig er war! Zerknirscht bekennt er, Manja Präkels da stark unterschätzt zu haben, denn obwohl viele Texte um Rechtsradikalismus zumal auf dem Land, zumal in den neuen Ländern, zumal in den frühen Neunzigern kreisen, ist der Zugriff stets neu, verändert sich die Perspektive, sind die Einsichten divers, sodass nicht monothematische Öde herrscht, sondern ein faszinierendes Beobachtungsprisma entsteht, das eine Gesellschaftsgeschichte Ostdeutschlands von den späten 70ern (da war sie noch im Kindergarten) bis in die (post)pandemische Gegenwart bietet, kurze, aber mit Herzblut und analytischer Schärfe verfasste Texte, die Präkels schon vor dem Erscheinen ihres zweiten Romans als eine der wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen ihrer Generation ausweisen.
Ob sie von einer Lesetour mit den Schnapskirschen durch die ost- und westdeutsche Provinz berichtet ("Sie fühlen es nur nicht") oder im "Spiegel" mit Moritz von Uslars Deutschboden abrechnet ("Echte Männer, geile Angst"), ob sie sich an Jugendfreundschaften der Jahre 1989-92 erinnert ("Die Welt zerfällt am Wegesrand"), an ihre Kindheit ("Unterm Gras die Knochen"), an ihr Verhältnis zu den in der DDR stationierten Sowjetsoldaten ("Im schönsten Wiesengrunde") oder an ihr Jahr 1989, das hoffnungsfroh mit der Jugendweihe begann und schamhaft-desorientiert auf der Rolltreppe bei Karstadt endete ("Eskalator hoch und runter") - es sind Texte von aufschließender Kraft, jeder bloß tagesaktuellen Geschäftigkeit meilenweit enthoben (dies vermutlich auch, weil die Autorin die Texte für die Buchpublikation "teilweise stark bearbeitet oder erweitert" hat).
Anfang 1990 habe sie in der Schule in der AG Schießen, so schreibt sie im "Eskalator"-Text, das Gewehr noch auf eine Zielscheibe gerichtet. "Im Laufe des Schuljahrs wurde der Wehrkundeunterricht abgeschafft. Nichtsdestotrotz errang unsere Mädchenmannschaft den letzten Bezirksmeistertitel am Großkaliber, der vergeben wurde. Die Siegerehrung, für die wir stundenlang auf einem Parkplatz bei Potsdam ausharren mussten, fiel jedoch aus. Es waren keine Medaillen mehr geprägt worden. Das sinnlose Warten hatte ein Ende." Und am Ende des Textes dann: "Sicher hat 1989 alles verändert. Mein Gefühl der Fremdheit aber ist geblieben. Mit jedem weiteren Jahr, das vergeht, schrumpfen die Ereignisse von damals auf weniger Bilder zusammen. Auf eine einzelne Fahrt mit der Rolltreppe. Als Teil einer Masse. Im Warenhaus."
Nicht zuletzt der Widerstand gegen den Erinnerungsverlust dürfte Manja Präkels immer wieder bewegende, manchmal aufwühlende Texte schreiben lassen, wobei sie sich als teilnehmende Beobachterin von ungemeiner Empathie erweist, am schönsten vielleicht in den Rheinsberg-Impressionen "Wenn mal allet nich mehr is", die 2021 bei ihrem Aufenthaltsstipendium im dortigen Schloss entstanden sind und beiläufig eine ausdifferenzierte Schilderung des Verhältnisses von Frau und Hund enthalten. Doch auch in die Ferne ist sie mit ihrem langjährigen Partner Markus Liske gezogen und hat Reisefeuilletons über Transnistrien und einen Aufenthalt in Ventspils (Lettland) verfasst, bei dem sie mit Liske das Mühsam-Lesebuch Das seid ihr Hunde wert! zusammengestellt hat. Und die Notizen von ihrer Reise durch Zentralasien (von der Mongolei über China bis Usbekistan) sind nicht minder lohnend. |