Comics, Komik und der Tod
VerstAnd
Eigentlich hatte ich mir den Ulysses für diese Besprechung "noch mal" vornehmen wollen, schon weil frühere Rezensenten vollmundig verkündet hatten, man müsse den gut kennen, um ihn dann mit Nicolas Mahlers zeichnerischer Adaption noch mal besser kennen zu lernen. Zur Kontaktaufnahme mit diesem unbestrittenen Stück Weltliteratur tauge Mahlers Graphic Novel nicht. Natürlich ist sich das zeitlich nicht mehr ausgegangen, aber ich hoffe und denke mal, von diesem Verdikt hat sich kein Mahler-Freund abhalten lassen, das Buch zur Hand zu nehmen. Schließlich darf man den Ulysses ja auch lesen, wenn man mit der griechischen Mythologie nicht vertraut ist. Außerdem: Ein Mahler ist ein Mahler ist ein Mahler. Der so redundante wie lakonische Erzählduktus, der seine Figuren von einer Denkpause in die nächste treibt, bleibt sich gleich, egal ob Mahler Thomas Bernhard, James Joyce oder sich selbst bebildert. Mahlers große Kunst besteht darin, einen inneren Monolog, einen stream of consciousness, wie wir Multilateralen gerne sagen, von außen darzustellen, eine Fähigkeit, die auch den besten Vertretern der Schauspielkunst eignet. Ungewohnt, aber nicht unmotiviert ist, dass sich der Zeichner in diesem Buch auch der Collage bedient: Eskortiert wird die Handlung - der Leopold Bloom des Originals ist ja, wie wir alle wissen, ein erfolgloser Anzeigenakquisiteur - durch Zeitungsinserate aus dem Wiener Neuigkeits-Welt-Blatt, denn hierher hat der Zeichnerautor das Geschehen geschickterweise verlagert. Und er bringt noch ein paar alte Bekannte aus der Bildergeschichtenwelt mit, namentlich Olivia und ihren spinatabhängigen Freund. Es wird also genug geboten, um auch unfreiwilligen Nicht-Joycianern wie mir Freude zu machen. Überdies traue ich Herrn Mahler hinreichend Seelenverwandtschaft mit dem Wahlpariser zu, um auch über dessen Werk genug zu erfahren - trotz des Altersunterschieds (Joyce war bei Fertigstellung seiner Version zehn Jahre jünger, als es der Wiener heute ist; aber was heißt das schon).
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Natürlich waren 1995 Tocotronic auch meine deutschsprachige Lieblingsband mit ihren herausgeschrienen Oscar-Wilde-haften Statements und ihrem dandyhaften Überheblichkeitsgestus. Die Begeisterung legte sich dann nach zwei, drei Alben, als das Grunge-Geschrammel zivilisiertem Rock-Pop wich, Dirk von Lowtzow richtig zu singen versuchte, die Kulturschickeria die Band entdeckte und sie in Stadttheatern zu spielen begann. Und schließlich noch von Peter Licht als bevorzugtem Produzenten von griffigen Slogans für die Literaturhäuser dieser Republik abgelöst wurde. Aber dennoch ist da in einem Vierteljahrhundert natürlich genug Zitierfähiges zusammengekommen, sodass es in unserer Zeit, die sich wie keine zweite die Transgression auf ihre Fahnen geschrieben hat, nur naheliegend war, die Grenzüberschreitung auch in eine grafische Form zu überführen. Herausgekommen ist eine bunte und vielfältige Sammlung von zehn sehr unterschiedlichen Bildergeschichten von, schon was Alter und Geschlecht angeht, sehr unterschiedlichen Zeichnenden, darunter dem vor allem als Kinderbuchillustrator bekannten Philip Waechter und dem Wahlhamburger Sascha Hommer, dessen reduzierter Stil dem des oben gepriesenen Nicolas Mahler verwandt ist und der an dieser Stelle schon einmal belobigt wurde. Lediglich die altväterliche Typenbezeichnung "Comic" scheint mir angesichts des literarischen Anspruchs der von Lowtzowschen Lyrics, den dieser im Buch durch zahlreiche Dokumente seiner Belesenheit beweist, nicht angemessen; besser hätte man sie als 'Graphic Short Stories' kategorisiert.
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"Ich schreibe und zeichne für alle, die mal fünf waren, noch Erinnerung daran haben und gern neunundneunzig werden wollen." So hat F. K. Waechter gerne die hartnäckige Frage beantwortet, ob seine Werke nun für Kinder oder Erwachsene gedacht sind. Und so kann man das auch mit Der kleine Herr Tod von Christian Y. Schmidt handhaben - um jenen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, die die Nase rümpfen, wenn eine Geschichte zu einem gerüttelt Maß aus Kalauern und Wortspielen besteht. Auf sie nämlich greift Schmidt in hohen Dosen zurück, um seine Geschichte vom kleinen Herrn Tod zu erzählen, der wegen Überarbeitung ein wenig Abstand zu seinem Höllenjob finden soll und im vermeintlichen Urlaub natürlich doch wieder mit dem Ableben zu tun bekommt. Auch Schmidt sind literarische Anspielungen nicht fremd, immerhin nennt er den fiesen Hühnerbaron Zuckmayer und spielt damit wohl auf dessen Drama Des Teufels General an, wie überhaupt dieses Buch auch als Basis-Enzyklopädie des Jenseitigen und der Musikrichtung des Death Metal dienen kann, sogar mit entsprechendem Glossar. Die Illustrationen von Ulrike Haseloff sind trotz des morbiden Umfelds von fast schon beängstigender Lebendigkeit. Unterm Strich: Selten hat die Beschäftigung mit dem Tod so viel Freude gemacht wie bei der Lektüre dieses Buches.
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Wer die letzten 43 Jahre dem Erker auch nur halbwegs aufmerksam gefolgt ist, dem wird das schmale KLG-Extrakt-Bändchen Literarische Hochkomik nicht viel Neues verraten können. So waren mit F. W. Bernstein, Wilhelm Genazino, F. K. Waechter und Ror Wolf gleich vier der im Buch porträtierten Großen Acht des Genres im Laufe der Jahre Interviewpartner dieser Zeitschrift, und auch die anderen erfreuten sich etwa per Rezension wohlwollender Begleitung. Trotzdem lohnt sich natürlich auch für die Erker-Gemeinde die Anschaffung dieser Ausgabe der kleinen Text+Kritik-Schwester, erfährt das programmatische Luftschloss "Literarische Hochkomik" hier doch die längst fällige literaturwissenschaftliche Erdung, und das ist in einer Welt, die das Komische partout nicht ernst nehmen will, schon eine ganze Menge. |