Der Geschmack von Gedicht
Rolf Birkholz
Es geht ein bisschen heftig los. "Dann schieß doch auf mich". So beginnt Ronen Altman Kaydar sein titelloses Gedicht, das den von Gundula Schiffer und Adrian Kasnitz herausgegebenen Band Was es bedeuten soll eröffnet. Ganz so dramatisch geht es nicht weiter, gleichwohl existenziell ernst, wie viele Texte der an dieser Anthologie mit "Neuer hebräischer Dichtung in Deutschland" beteiligten dreizehn Autorinnen und Autoren.
Die im Eingangsgedicht vom lyrischen Ich geforderte Kugel soll in Zeitlupe durch alle Glieder des Körpers dringen. Und auf ihr soll sich von jedem etwas "wie auf der Farbpalette eines Malers" mischen, der "die Kontur meines Körpers mit einer / Stift-Kugel nachzeichnet". Schließlich habe der auf diese Weise Schießende "auf der Kugelspitze / ein einzigartiges Farbgemisch / restlos mich." Eine ausgefallene Art der Annäherung, des Bleibens.
Anders anwesend ist das Subjekt bei Mitherausgeberin Gundula Schiffer, die auch die meisten der Gedichte ins Deutsche übertragen hat: "ich kam zur Welt, ein Wort / im Fleischeinband / nur die Haut geht nicht ab von mir / doch Glaube, Name, Bindung hab ich nicht / alles abgefallen". Sie weiß nur, dass "ich das Gesicht hab für Gedichte". Außerdem ist ein Gedicht ihr Nahrung: "ich brauche etwas Geschmack von Gedicht heut Abend" ("Wortflocken").
Angesichts solch körperlich empfundener Wortnähe, ja Wortanverwandlung, wird auch aufgefordert, zu "wohnen in Worten", und "Wortkästchen" werden zu Archen. Ist hier vom Garten Eden im Guten die Rede, schreibt Mati Shemoelof ("Hier wie da") vom "Garten Eden der Lügen". "Hier wie da erwischt mich das Exil" ("wandere ruhelos ein und aus"), mit Mose, Ester und Rut wird umhergezogen, und "mit dem Talmud-Reisepass eines Traums werden wir / auf jede Grenze schreiben die wir überqueren".
Herkunft und Geschichte klingen immer wieder an ("ich vergesse dein nicht, Jerusalem", Maya Kuperman), doch scheinen Ronen Altman Kaydar, Yael Dean Ben-Ivri, Tomer Dotan-Dreiyus, Asaf Dvori, Yemima Hadad, Zahava Khalfa, Admiel Kosman, Maya Kuperman, Tali Okavi, Loulou Omer, Gundula Schiffer, Mati Shemoelof und Michal Zamir durchaus in Deutschland angekommen zu sein, auch wenn Kaydars "Im Ausländeramt" unangenehm berührt. Und mit ihrer stark dialogisch ausgerichteten Dichtung sollten sie als eine Stimme im Konzert der Gegenwartslyrik wahrgenommen werden.
"Dass die jüdische und hebräische Kultur heute in Deutschland und Europa wieder pulsiert, ist ein Wunder", heißt es im Nachwort. "Ein Wunder, um das man sich kümmern muss." |