Die Ego-Metafiktion
Katharina Bendixen
Katharina, Tochter eines gutbürger-lichen
Ehepaars, wächst in einer Kleinstadt auf, hasst die Mutter
und liebt den Vater und die Großmutter, die Katharina großzog
und lange Zeit ihren Mutterersatz darstellte. Katharina langweilt
sich in dem kleinstädtischen Alltag, probt aber keinen Aufstand,
sondern lässt sich einfach regelmäßig von dem
deutlich älteren, scheinbar arbeitslosen, aber trotzdem wohl-habenden
Robert verführen. Eines Tages verschwindet Robert, und Katharina
wird von ihren Eltern in ein Internat gesteckt. Zwanzig Jahre
später erinnert sich die inzwischen erwachsene Frau an ihre
Jugend, als ihr der Roman Frau Sartoris von Elke Schmitter
in die Hände fällt. Sie ist der Ansicht, dass dort genau
ihr Leben beschrieben wird: Die Protagonistin dieses Romans wuchs
in derselben Welt auf, erlebte dieselbe Kindheit und denselben
Verlust des Geliebten - die Mutter brachte ihn bei einem Unfall
mit Fahrerflucht um. Plötzlich bekommt Katharina Zweifel:
Was, wenn in diesem Roman wirklich ihr Leben geschildert wäre
und ihre Mutter damals tatsächlich Robert umgebracht hätte?
In Elke Schmitters Roman Veras Tochter spielt Elke Schmitters
Roman Frau Sartoris die Hauptrolle. Angesichts dieses Kunstgriffs
macht sich Ratlosigkeit breit: Hat Elke Schmitter mangels besserer
Einfälle auf eine frühere Figur und ein bereits beschriebenes
Milieu zurückgegriffen? Möchte sie durch die Identifikation
Katharinas mit Daniela, der Tochter aus Frau Sartoris,
beweisen, wie lebensnah und realistisch ihr erster Roman war?
Wollte sie ganz nebenbei die Kritik von Reich-Ranicki über
Frau Sartoris einfließen lassen, ihren ersten Roman
erklären, wie sie das in einem (fiktiven?) Brief an Katharina
tut, oder selbst einmal Gegenstand einer Fiktion sein? Oder möchte
Elke Schmitter einfach den Verkauf ihres ersten Romans ankurbeln?
Ohne die vorherige Lektüre von Frau Sartoris jedenfalls
erschließt sich der Roman Veras Tochter kaum.
Lässt man jedoch sämtliche Zweifel über den selbstverliebten
Eigenbezug der Autorin weg, stellt sich Veras Tochter als
ein dichter, ergreifender Alltagsroman über eine verzweifelte
Tochter dar, die trotz Hass auf die Mutter und Abscheu vor ihr
genauso geworden ist wie diese: abgeklärt, hoffnungslos und
funktionstüchtig, aber nicht mehr begeisterungsfähig.
Dass derartige Mutter-Tochter-Beziehungen meist so enden, ist
keine neue Erkenntnis, aber wie Elke Schmitter die Entwicklung
von Vera und Veras Tochter darstellt, ist eine sowohl sprachliche
als auch dramaturgische Meisterleistung. Und das Spiel mit Fiktion
und Realität ist zwar nicht neu, aber wirklich interessant
- trotz Egozentrik.
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