Weltpolitische Krisen
Martin Brinkmann
Jakob und Isabelle haben sich seit Jahren nicht
mehr gesehen. Nun treffen sie sich ausgerechnet am 11. September
2001 auf einer Party wieder. Das schlechte Omen jener "Ereignisse"
ignorierend, die im Hintergrund über den Bildschirm flimmern,
entdecken die beiden endlich ihre Liebe füreinander. Kurz
darauf heiraten sie, ziehen nach London, wo Jakob den Job eines
beim Anschlag auf das WTC ums Leben gekommenen Rechtsanwaltskollegen
übernimmt. Isabelle arbeitet aus der Ferne weiter für
ihre Berliner Grafik-Agentur. Das frisch installierte Glück
währt allerdings nicht lange. Isabel verguckt sich schon
bald in einen gut aussehenden Drogendealer. Jakob fühlt sich
von seinem neuen Chef angezogen und bewegt sich hart am Rande
der sexuellen Inversion.
Katharina Hacker, Autorin mehrerer hoch gelobter Bücher,
hat sich mit ihrem neuen Roman Die Habenichtse anscheinend
nichts Geringeres vorgenommen, als die Auswirkungen weltpolitischer
Krisen auf die Seelenlagen heutiger Großstadtmenschen darzustellen.
Anders ist es nicht zu erklären, dass nahezu alle Charaktere
dieses Buches, hierin auch noch tatkräftig unterstützt
durch die allwissende Erzählinstanz, laufend aktuelle politische
Ereignisse referieren und kommentieren: Gefahr des Terrorismus,
Herandrohen des Zweiten Irak- Kriegs, Videoüberwachung in
europäischen Großstädten und so weiter. Einmal
läuft tatsächlich jemand mit einer Petitionsschrift
für die Guantanamo-Häftlinge durchs Bild! Womit die
Ehrbarkeit noch nicht erschöpft ist: Über den Rechtsanwaltsberuf
ihres Helden Jakob ist es der Autorin darüber hinaus möglich,
die Wiedergutmachung von Nazi-Untaten wenigstens anzusprechen.
An bewährten thematischen Reizstoffen für den deutschen
Literaturbetrieb ist hier also allerlei versammelt.
Möglicherweise wäre das alles, trotz der marktschreierischen
Themenwahl, erträglicher ausgefallen, verfügte die 1967
in Frankfurt am Main geborene, heute in Berlin lebende Autorin
über entwickeltere sprachliche Möglichkeiten. Die
Habenichtse ist jedoch größtenteils in einer Art
Zeitlupenprosa geschrieben, die ihre Scheindynamik aus einer nervig
gebrauchten Parataxe bezieht. Zahlreiche an den Haaren herbeigezogene
Vergleiche sollen wohl Atmosphäre evozieren. Am fatalsten
ist allerdings das fehlende Vertrauen in die erzählerische
Kraft der Dialoge. Dass wörtliche Rede mit möglichst
abwechslungsreichen Verben des Sprechens und deren adverbialen
Beigaben beendet und aufgemotzt wird, sollte in dieser Penetranz
nur in der Trivialliteratur zu finden sein: Schon auf der ersten
Seite wird hier etwas "ernst" verkündet, "geduldig"
erklärt, "gehorsam" wiederholt, "feierlich"
gesagt und so weiter.
Da nützt es auch nichts mehr, wenn die Autorin am Ende des
Buches die verschiedenen Nebenstränge der Erzählung,
jenen vom schönen Drogendealer Jim und jenen von den beiden
verwahrlosten und geprügelten Nachbarskindern Dave und Sara,
mit dem politisch aufgeladenen Hauptgeschehen zusammenzwingt.
Eine Reihe ziemlich seltsamer gewalttätiger Entwicklungen
und quasisexueller Ausschreitungen kann den Leser nicht mehr mit
der Lektüre dieses Buches versöhnen.
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