Ex-Macho auf Reisen
Anna Serafin
Andrzej Stasiuk hat seine Karriere mit derben
Macho-Geschichten begonnen, die zunächst in seiner Heimatstadt
Warschau, später - beispielsweise in Der weiße Rabe
(dt. 1998) - auch in der polnischen Provinz spielten. In diese
Texte ist manch Autobiografisches eingeflossen - in Wie
ich Schriftsteller wurde (dt. 2001) z.B. seine Gefängniserlebnisse
als Wehrdienstverweigerer. Nach einigen Jahren Testosteronprosa,
die ihm in Polen die maßlose Begeisterung männlicher
Kritiker und heftige Angriffe feministischer Journalistinnen eintrugen,
hat Stasiuk seit Die Welt hinter Dukla (dt. 2000) einen
neuen Sound gefunden, den er inzwischen konsequent weiterentwickelt.
Das Erfolgsrezept ist einfach: Stasiuk tut, was er am liebsten
tut - er reist. Und weil er ein begnadeter Reisender ist, dem
sich Menschen und Landschaften öffnen, ein Autor, der immerfort
findet, was vor ihm vielleicht noch niemand gesehen und beschrieben
hat, öffnet er auch seinen Lesern die Augen oder schärft
ihren Blick.
Es ist der europäische Osten, den Stasiuk seit Jahren immer
aufs Neue erforscht, und die Besessenheit, mit der er bitterarme
und vergessene Landstriche zwischen den Karpaten und Tirana, zwischen
dem Schwarzen Meer und Ungarn durchstreift, lässt seine Landsleute
immer wieder den Kopf schütteln. Als intimer Kenner des ehemaligen
Ostblocks kann Stasiuk ohne Pathos, ohne falsche Bewunderung oder
falsche Empörung und ohne blinden Enthusiasmus über
all das berichten, was westlichen Reisenden womöglich exotisch
erscheinen mag.
Unterwegs nach Babadag enthält Berichte von Reisen
nach Slowenien, Albanien, Rumänien und Moldawien, von Ausflügen
in die Ukraine und von Abstechern in die ungarische und slowakische
Provinz, von Gegenden also, die "normale" Touristen
nicht besuchen.
Magere Nutztiere, klapprige Ost- und uralte Westautos, atemberaubend
schöne Frauen mit hohen Absätzen auf von Schlaglöchern
übersäten Straßen, das unvermittelte Nebeneinander
von Gastfreundschaft und Gleichgültigkeit, Relikte der alten
und Zeugnisse der neuen Zeit - all das beschreibt Stasiuk souverän
und soghaft konkret. Trotz des allgegenwärtigen Verfalls
der bereisten Länder plagen ihn keine Angstvisionen von Heerscharen
bettelarmer Arbeitssuchender, die sich in den reichen Gesellschaften
des Westens parasitär einzunisten suchen würden. Auch
liegt ihm jedes falsche Mitleid völlig fern. Beides liegt
wohl daran, dass er als Pole nicht aus einem reichen westlichen
Land kommt, sondern auf Schicksalsgenossen trifft und seinerseits
als Schicksalsgenosse wahrgenommen wird, also mit Albanern, Ungarn,
Slowaken oder Slowenen auf eine Weise in Kontakt kommt, wie das
einem Reisenden aus dem Westen kaum möglich ist.
Unterwegs nach Babadag hat Anfang Oktober den wichtigsten
polnischen Literaturpreis, den Nikepreis, erhalten, der - wie
ich vielleicht hinzusetzen sollte - zwar erst Mitte der 90er Jahre
gestiftet, aber dennoch nicht nach einem US-amerikanischen Sportartikelhersteller,
sondern nach einer griechischen Göttin benannt worden ist.
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