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Schwartzkopff
Katrin de Vries

 
Rezensionen

Katrin de Vries: Der Leib der Damen
 

Und Hermine bewegt ihren Schoß
Claudia Mair

In der Reihe stakkato Gegenwarts-belletristik der Schwartzkopff Buchwerke ist ein schmaler Erzählband von Katrin de Vries erschienen, der bereits durch seine optische Eigentümlichkeit - einem in schwarz gehaltenen Cover mit ausdrucksstarken Grafiken von Anke Feuchtenberger - eine Vorahnung dessen vermittelt, was einen erwartet, nämlich eine andere, eine Neben- Hinter- oder Unterwelt spartanisch-surrealistischer Art.
Der Titel einer der längeren Erzählungen, "Der Leib der Damen", wurde als Buchtitel gewählt. Eine gute Entscheidung, denn er vermittelt eine adäquate Vorstellung von Inhalt und Erzählgestus. Der überwiegende Teil der Erzählungen beschäftigt sich nämlich mit Frauen und ihrem Körper, dessen Sehnsüchten, folglich auch mit Erotik und dem Verhältnis der Geschlechter. Es ist eine Welt der Frauen, die hier geschildert wird, eine Welt, in der der Mann an sich ein Objekt der Begierde ist, in der die großen und mächtigen Bäuche der Frauen eine bedeutende Rolle spielen und der weibliche Schoß besungen wird
Die Damen und ihre Leiber entwickeln in einigen Erzählungen eine gewagte, ja gewaltige Erotik, und nicht nur die weiblichen Körper, auch der Sprachkörper einiger Texte, wie zum Beispiel "Im Parkhaus", schraubt sich hinein in ekstatische Höhen. Die Texte kreisen durch Wiederholungen - de Vries' prägendes Stilmittel - ihre Themen ein, oder vielleicht sollte man vielmehr sagen, sie kreißen, liegen sätzelang, in immer wiederkehrenden Geburtswehen. Das, was sich hier ins öffentliche Bewusstsein presst ist eine surreal anmutende Parallelwelt mythischen Charakters, wobei deren schwerelose Modernität betont wird durch kurze Sätze, den Verzicht auf Satzzeichen - alles läuft allein auf den Punkt hinaus - und den Verzicht auf verbalen Luxus. Oft sind die Texte so einfach gehalten, dass sie an Kinderbücher ("Im Garten") oder Märchen ("Die kleine Dame") erinnern.
Die Meerjungfrau, die sich nach Entjungferung sehnt, die Geschichte von Hero und Leander, erzählt aus der Sicht des Meeres oder Ophelia, die über ihr grundlegendes Existenzproblem reflektiert - diese Figuren, die der Leser bereits kennt, fügen sich ein in die Welt dieser Erzählungen, die trotz solch althergebrachter Mythenfiguren und Motive, wie z.B. dem Labyrinth, etwas Neues und Eigenes darstellt. Das hat auch zu tun mit der Vorurteilslosigkeit in der Darstellung, mit einem unbelasteten Herangehen an Grundsätzliches. So ist dieser Erzählband durchzogen von geballter erotischer Kraft und einer Grundzuversicht, die sich vor allem auf das Geheimnis der Fortpflanzung zu stützen scheint.
Zuversicht prägt auch die letzte der Erzählungen "Elso der Gerechte", die wie eine Art Zukunftsvision im Irgendwo anmutet. Genannter Elso wandert an kaputten, rostenden Maschinen vorbei und kommt an einen leuchtenden Busch, hinter dem sich ein Loch verbirgt, das in eine Welt unter der Erdoberfläche führt. Dort überreichen ihm drei Frauen ein Kärtchen aus silbernem Blech, auf dem unbekannte Zeichen zu sehen sind, eine Formel, die erst noch entziffert werden muss. Diese Formel, diese unbekannten Zeichen erinnern an die Erzählungen dieses Buches selbst, die ebenfalls nach einer Entzifferung verlangen, nach Deutung. Denn neben kryptisch bleibenden, stark mit Wiederholungen arbeitenden Texten gibt es da eben auch ein paar konventioneller gehaltene wie eben "Elso der Gerechte" oder "Das Labyrinth", die an Allegorien erinnern und bei denen sich Interpretationen aufdrängen. Doch es sind vor allem die Texte, die sich einer offensichtlichen Deutung versagen und sich nur dem Gefühl und der Intuition zu erschließen scheinen, die diesen Erzählband reizvoll machen und ihn abheben von vielen anderen.

 

Katrin de Vries: Der Leib der Damen. Erzählungen. 117 Seiten. Schwartzkopff Buchwerke. Berlin 2004. € 12,00.