Verrückte Perspektiven
Claudia Mair
Bevor ich beginne, das Buch von Mariana Leky
zu loben, möchte ich doch einer leichten Verstimmung Ausdruck
verleihen, die mich beim Lesen der ersten Seiten befallen hat.
Es wird auf diesen Seiten so viel gesagt und jedesmal wird gesagt,
dass es gesagt wird, und so sagt mal Sylvester, dann sagt die
Ich-Erzählerin und schließlich tritt auch noch die
Freundin Matilde auf und sagt und so ist des Sagens kein Ende
und man sagt sich, dass, würde das Verb "sagen"
nicht existieren, dieser Roman von 189 Seiten um mindestens ein
Drittel schrumpfen würde. Nun ist, wie uns der Klappentext
verrät, Mariana Leky eine preisgekrönte Autorin (Niedersächsischer
Literaturförderpreis, Stipendium des Landes Bayern) und ich
sehe mich schon mit dem Argument konfrontiert, dass das, was man
als plumpen Anfängerfehler bezeichnen könnte, hier die
Weihen eines Stilmittels erhält und bewusst eingesetzt wurde.
Aber ob nun bewusst oder unbewusst - es nervt, dieses inflationäre
"sagt". Dabei will ich den Reiz, den die Wiederholungen
ganz allgemein in diesem Roman ausüben, durchaus nicht leugnen.
Und ich gebe zu, mich trotz anfänglicher Verstimmung schließlich
im Charme des Textes verfangen zu haben. Mag also die penetrante
Wiederholung des "sagt" als kindliche Einfärbung
der einfachen Erzählweise betrachtet werden, die man dieser
liebenswerten Erzählung nicht länger übel nimmt.
Liebenswert ist die schlichte Art, in der die Ich-Erzählerin
von den Ereignissen berichtet, weil sie völlig frei ist von
Wertung und durchdrungen von einem stillen und unaufdringlichen
Staunen über das Leben und die Welt. Völlig unbelästigt
von vorgefertigten Betrachtungsmustern kann deshalb der Leser/die
Leserin sich auf das Erzählte und seine etwas verquere Alltagspoesie
einlassen.
Gelungen sind auch die Dialoge, und der Anfangsdialog zwischen
der Ich-Erzählerin und ihrem Freund und Wohngenossen Sylvester,
in dem die beiden immer haarscharf am Wesentlichen vorbeischrammen,
zeigt bereits deutlich die Ungeklärtheit ihrer Beziehung.
Beide scheinen - ganz Kinder unserer Zeit - vor festen Bindungen
zurückzuschrecken und gehen lieber aushäusigen Affären
nach, insbesondere Sylvester, der es dann immer seiner Mitbewohnerin
überlässt, seine Frauen wieder abzuwimmeln, während
er sich im Bad versteckt. Und in diese moderne Idylle der Beziehungsunfähigen
bricht plötzlich die zarte Matilde mit ihrem Problem,mit
ihrer Hilfsbedürftigkeit, denn Matilde hat so große
Angst davor, verrückt zu werden, dass sie nicht mehr über
die Straße gehen kann.
Nun ist das natürlich eine ernste Geschichte, aus der man
auch ein Melodram basteln könnte. Doch stattdessen erschafft
Leky hier ein zartes Gespinst aus Angst, Freundschaft und einer
unspektakulären Lebenshilfe, die sich aus spontaner Selbstverständlichkeit
und rührender Unbeholfenheit zusammensetzt. Mathilde und
ihr großer Hund ziehen bei der Erzählerin und Sylvester
ein und gemeinsam versucht man, die Angst zu besiegen. Das alles
wird auf so dichtem Raum inszeniert, dass die Bewegungseinschränkung
Matildes sich im Textgefüge spiegelt. Erst gegen Ende der
Geschichte beginnt sich wieder ein neuer Raum aufzutun, und das
nicht nur für Matilde.
Obwohl federleicht geschrieben, stimmt diese Geschichte nachdenklich
- sorgt jedoch gleichzeitig für Heiterkeit. Denn sie ist
durchsetzt mit einem Humor, dem das Buch Stellen von einer subtilen
Absurdität verdankt, die mehr Vergnügen bereitet als
alle bemüht lustigen Frauen-und Männerromane der letzten
Jahre.
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