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Michael Krüger

 
Rezensionen

Michael Krüger: Kurz vor dem Gewitter
 

Verhaltene Reserve
Georg Deggerich

Seit jeher verfolgt Michael Krüger in seinen Büchern - und das sind mittlerweile ziemlich viele - eine strenge Arbeitsteilung. Die Romane und Erzählungen sind dem Satiriker vorbehalten, der auf spöttisch-ironische Art die Absurditäten des Kultur- und Literaturbetriebs kommentiert, während uns in den Gedichten ein verhaltener, nachdenklicher Skeptiker entgegentritt. Auch der jüngste Gedichtband Kurz vor dem Gewitter ist geprägt von einer - wenn es das denn gibt - heiteren Melancholie, was mit dem vorgerückten Lebensalter des Autors zu tun haben mag, der in diesem Jahr seinen sechzigsten Geburtstag feiert. Trost und dichterische Aufrüstung jedenfalls sind Krügers Sache nicht. Das Gedicht Rede des Betrübten gibt dazu eine klare Auskunft: "Ich bin der Betrübte. / Alle Versuche, mich aufzuheitern, / schlugen fehl. / Warum lachst du nicht, / fragen die Menschen. / Worüber, antworte ich, / ich will mit der Hoffnung / nicht verhandeln. / Weil ich schlaflos bin, / gehe ich nachts spazieren. / Ich höre die Tiere atmen, / die Schatten flüstern mir zu. / Einmal fand ich … doch / darüber will ich nicht reden."
Krügers Gedichte sind Denkbilder im besten Sinne des Wortes, lyrische Reflexionen, in denen konkrete Anschauung und abstrakter Gedanke nahtlos ineinander greifen. Anlass zum Gedicht kann ihm alles sein, ein Bild, eine flüchtige Begegnung, eine Naturbeobachtung. Die schwere Last des Tiefsinns will Krüger seinen meist kurzen Gedichten nicht aufbürden. Auch dort, wo sich der Sinn nicht sogleich erschließt, wirken seine Verse leicht und seine Sprache fließend. Übereifrigen Interpreten gibt der Autor in einem der den Band beschließenden Nachrufe einen wichtigen Rat mit auf den Weg: "Er starb / an unstillbarem Deutungshunger. / Bloßes Leben / mache ihn nicht satt." Solcherart gewarnt, sollte man die Gedichte mit der Muße des Flaneurs lesen, entspannt, aber mit hellwachen Augen. Oft reicht ein einzelner Satz, ja ein einziges Wort aus, um aus einer vermeintlichen Alltagsfloskel den Funken eines philosophischen Diskurses zu schlagen, wie etwa in "Unverhofftes Wiedersehen", das mit ganzen drei Zeilen auskommt: "Wie geht es dir? / Was soll das heißen, / bitte?"
Die Verluste und schmerzlichen Erfahrungen überwiegen in Krügers Gedichten, und auch die Gewissheit, dass nichts wiedergewonnen, sondern nur noch erinnernd im Gedicht festgehalten werden kann. Für Metaphysik ist in unserer Welt kein Platz mehr, und statt in eine lichte Zukunft ist der Blick längst in eine nur noch vage erinnerte Vergangenheit gerichtet: "Im Dunkeln suchen wir/ in den alten Wörterbüchern/ nach der exakten Bedeutung von Glück." Dennoch ist Michael Krüger alles andere als ein professioneller Schwarzseher und die Lektüre seiner Gedichte nie entmutigend. Ganz im Gegenteil, wer wie er über Witz, einen wachen Verstand und so viel heitere Gelassenheit verfügt, kann noch jede Niederlage in einen kleinen Sieg ummünzen: "Unter meinen Füßen die Steine, sie tuscheln, / weil das, wonach ich suche, unsichtbar bleibt."

 

Michael Krüger: Kurz vor dem Gewitter. 111 Seiten. Suhrkamp. Frankfurt am Main 2003. € 16,90.