Manische Reflexionslust
Martin Brinkmann
Von einem Tag auf den anderen kündigt er
seinen eintönigen Job in der Partnervermittlungsagentur.
Weil es für ihn nun nichts mehr zu tun gibt, geht der Erzähler
aus Xaver Bayers zweitem Roman Die Alaskastraße mit
seiner Freundin auf eine Reise. Doch auch die hält nicht,
was sie verspricht.
Schon nach kürzester Zeit macht sich der alte Überdruss
wieder breit. Jetzt erregen die eingespielten Beziehungsmuster
Widerstand und versetzen den Erzähler im wahrsten Sinne des
Wortes in "nackte Raserei". Auf deren Höhepunkt
hat er sich das Glied mit Hakenkreuzen bemalt und will es seiner
Freundin vorführen. Nicht nur in dieser Szene und den darauf
folgenden, die seine Flucht aus dem Urlaubshäuschen schildern
- es sind die brillantesten des ganzen Buches - stehen das Peinvolle
und das Lachhafte nah beieinander.
Der 1977 in Wien geborene und dort lebende Xaver Bayer besitzt
- wie sein vermutetes Vorbild Emmanuel Bove - den Blick fürs
treffende Detail. So entstehen immer wieder wunderbare Passagen,
zum Beispiel diese: "Es war so einfach und wohltuend, mich
mit meinem Haß zu solidarisieren, denn ich fühlte ihn
stark an meiner Seite wie einen großen muskulösen Freund."
Gefangen in sich selbst, entwickelt der Ich-Erzähler eine
geradezu manische Wahrnehmungs-und Reflexionslust. Das zwanghafte
Beobachten und Reflektieren, bei dessen Wiedergabe sich der Autor
an einigen Stellen von der Turbulenz seiner Formulierungen zu
widersprüchlichen Aussagen verleiten lässt, ist denn
auch die eigentliche Handlung der Alaskastraße.
Ihrem eisigen Weg zu folgen, der mehr und mehr abschüssig
wird, ist - trotz einiger kleiner Ungereimtheiten - ein literarisches
Erlebnis von verstörender Intensität.
|