Mehr Spaß mit Harry Potter
Joachim Feldmann
Der schlechte Ruf des schulischen Deutschunterrichts
bei manch leidenschaftlicher Leserin ist nicht zuletzt dem Zwang
zur Interpretation geschuldet. Das analytische Begehren des Deutschlehrers
habe ihr den Spaß an der Lektüre fast völlig ausgetrieben,
weiß manche Literaturfreundin zu berichten, nicht selten
habe man eindrucksvolle Texte so gründlich auseinandernehmen
müssen, daß nichts mehr von deren Schönheit übrig
gewesen sei. Da habe es auch wenig genutzt, wenn der Deutschlehrer
dann mit jenem beliebten Brecht-Gedicht angekommen sei, das behauptet,
nach dem Zerpflücken der Rose sei jedes Blütenblatt
von ganz eigener Schönheit.
Wer also aufgrund seiner Begegnungen mit jenen Spielarten der
Literaturwissenschaft, denen die Freude an der Lektüre wenig
bis nichts gilt, zu einer tiefen Abneigung gegenüber sogenannter
Sekundärliteratur gelangt ist, hat nun die Chance, seine
Einstellung zu revidieren. So wie die Harry-Potter-Romane der
J. K. Rowling leseunwillige Kinder die Vorzüge des Mediums
Buch neu entdecken ließen, gelingt es dem Kritiker Michael
Maar, mit seiner Analyse eben dieser Bücher zu zeigen, daß
literarisches Interpretieren großen Spaß machen kann.
Maars Lektüreprinzip ist an sich recht einfach: Er will herausfinden,
wie ein Text funktioniert. Und diese Tätigkeit bereitet ihm
um so mehr Vergnügen, je komplexer die Struktur dieses Textes
ist. Nun darf die Komplexität einer Erzählung aber kein
Selbstzweck sein, sondern es muß selbst das kleinste Rädchen
mit dafür sorgen, daß die große narrative Maschine
effektvoll läuft, auch wenn dieser Zusammenhang bei oberflächlicher
Lektüre eben nicht auffällt. Kluge Autoren wie Joanne
Rowling lenken den Blick des Lesers nämlich gerne in die
falsche Richtung, ein Verfahren, zu dessen Beschreibung Maar sich
gerne der, hier sehr passenden, Analogie des Zaubertricks bedient.
Und nicht umsonst bemüht er, um den Rang der Potter-Romane
als literarische Kunstwerke herauszustreichen, einen der anerkannten
Zauberer der Weltliteratur, Vladimir Nabokov, als Orientierungsgröße.
Michael Maar nimmt die Romane Joanne Rowlings nach allen Regeln
der Interpretationskunst auseinander, wobei er besonderes Gewicht
auf Plot, Motive und Figurenkonstellation legt, während der
Erzählvorgang selbst eher indirekt behandelt wird. Hier gibt
es allerdings auch nicht viel Aufregendes zu entdecken, und es
ist allemal spannender, sich die Autorin selbst als magiebegabte
Organisatorin einer großen Erzählung vorzustellen,
als die Erzählperspektive zu problematisieren. Aber Maar
zerlegt den Text nicht nur in seine Bestandteile, er baut ihn
auch wieder zusammen, allerdings erst, nachdem er jedes Rädchen
und jede Schraube zum Funkeln gebracht hat, so daß das Gesamtwerk
anschließend, zum Nutzen des Lesers, in neuem Glanz erstrahlt.
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