Am Erker 66

Garry Disher: 'Dirty Old Town' (2013)

Horst Eckert: 'Schwarzlicht' (2013)

Martin Krist: 'Drecksspiel' (2013)

Charlotte Otter: 'Balthasars Vermächtnis' (2013)

Ulrich Ritzel: 'Trotzkis Narr' (2013)

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Mord & Totschlag 66
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Vincent Veih kasteit sich gern. Seine abendliche Joggingrunde bestreitet der kommissarische Leiter des Düsseldorfer KK11 gewöhnlich in einer Weste mit Gewichten und mit Bleimanschetten um die Waden. Schwerer jedoch trägt er an einer biografischen Last, die sich nicht einfach ablegen lässt. Als Sohn einer RAF-Terroristin und Enkel eines Nazi-Kriegsverbrechers verkörpert der Kriminalist die Traumata der jüngeren deutschen Geschichte. Ein scharfsinniger Ermittler ist er obendrein. Als der nordrhein-westfälische Ministerpräsident kurz vor der Landtagswahl ermordet aufgefunden wird, entdeckt er rasch, dass der Politiker ein Doppelleben geführt hat. Es geht um geheime Affären und sehr viel Geld. Da wundert es wenig, dass manch einflussreicher Persönlichkeit wenig an einer korrekten Aufklärung des Falles liegt. Veih bekommt das deutlich zu spüren, zeigt sich aber störrisch. Mit unangenehmen Folgen.
Horst Eckerts neuer Roman Schwarzlicht variiert ein klassisches Modell auf virtuose Weise. Weder die symbolhafte Aufladung der Biografie seiner Hauptfigur noch die deutlichen Anspielungen auf bekannte Politskandale der jüngeren Vergangenheit wirken in diesem rasant erzählten Stück Spannungsliteratur deplatziert. Schwarzlicht ist ein weiterer Beleg dafür, dass die deutsche Krimiszene mehr zu bieten hat als leicht vertrottelte Provinzermittler. Wer die gesellschaftskritischen Thriller der Französin Dominique Manotti schätzt, wird von Horst Eckert nicht enttäuscht sein.

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Die aufklärerische Tradition des Kriminalromans pflegt auch die in Heidelberg lebende Südafrikanerin Charlotte Otter. Ihr Debüt Balthasars Vermächtnis spielt in Pietermaritzburg, der Hauptstadt der Provinz Kwa-Zulu Natal. Wo einst die Buren herrschten, hat nun der ANC die Macht, während die Nachfahren der weißen Siedler sich als bedrohte ethnische Minderheit inszenieren. Tatsächlich sind Korruption und Machtmissbrauch auch nach dem Ende des Apartheidregimes an der Tagesordnung. Magdalena Cloete, selbst aus einer streng calvinistischen Burenfamilie stammend, kennt als Kriminalreporterin bei der Lokalzeitung "Gazette" diese Zustände nur zu gut. Deshalb ist sie überzeugt, dass der AIDS-Aktivist Balthasar Meiring nicht Opfer eines gewöhnlichen Raubüberfalls wurde. Schließlich hatte sich der Sohn eines stockkonservativen weißen Farmers mit seinem Einsatz gegen einen groß angelegten Schwindel mit AIDS-Medikamenten nicht nur Freunde gemacht. Die Journalistin beginnt zu ermitteln und muss nur wenig später um ihr Leben fürchten.
Balthasars Vermächtnis ist vor allem wegen seiner atmosphärischen Schilderung des Lebens in der südafrikanischen Provinz lesenswert. Als Kriminalroman gehört das Buch eher zum guten Durchschnitt. Vor allem, wenn es um die Auflösung des Falles geht, greift die Autorin auf genreübliche Klischees zurück. Interessanter ist die Figur der eigenwilligen Ermittlerin, die charakterlich wie biografisch an Paddy Meehan erinnert, die junge Glasgower Reporterin aus den Romanen Denise Minas. Schon aus diesem Grund wünscht man sich, dass Balthasars Vermächtnis der Beginn einer Reihe ist.

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Wer schon immer der Überzeugung war, dass der Mensch alles andere als edel, hilfreich und gut ist, kann sich sein Weltbild in den Wyatt-Romanen des australischen Autors Garry Disher auf unterhaltsame Weise bestätigen lassen. Hier ist sich jeder auf solch perfide Art selbst der Nächste, dass Wyatt, der seinen aufwendigen Lebensstil finanziert, indem er mal auf elegante, öfter jedoch auf ziemlich brutale Weise gegen Gesetze verstößt, beinahe als Identifikationsfigur herhalten kann. In seinem jüngsten Abenteuer erregt der Berufsverbrecher sogar gelegentlich unser Mitleid, denn wieder einmal muss er auf bittere Weise lernen, dass einem kriminellen Unternehmer nur dann Erfolg beschieden ist, wenn er sich auf die Anständigkeit seiner Geschäftspartner verlassen kann. Wyatt hat sich nämlich schwer verkalkuliert, als er sich mit dem Kleinkriminellen Eddie Oberin zusammentat, um zwei zwielichtige Juweliere um hochwertige Hehlerware zu erleichtern. Was wie ein sicherer Plan erschien, geht auf lebensgefährliche Weise schief. Zudem erwächst Wyatt in dem französischen Gangster Le Page ein ebenbürtiger Gegenspieler.
Dirty Old Town überzeugt durch einen ausgefuchsten Plot und ein erlesenes Ensemble fieser Charaktere. Gelegentlich verblüfft die Nonchalance, mit der Disher eine Figur unvermittelt auftauchen lässt, um sie, ist ihr Zweck erfüllt, eiskalt abzuservieren. Solche Coolness würde man sich ebenfalls für seinen Erzählstil wünschen. Denn auch dieser Roman könnte um einiges an Tempo zulegen, würde der Autor Erklärungen und Kommentare auf das notwendige Minimum beschränken.

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Es ist das alte Lied. Kaum jemand scheint sich noch zu trauen, einen Krimi vorzulegen, der nicht mindestens 300 Seiten stark ist. Und die wenigsten verfügen über den Einfallsreichtum und das erzählerische Geschick des Berliner Autors Martin Krist, dessen neuer Thriller Drecksspiel satte 335 Gramm auf die Waage bringt. Schließlich gilt es, eine ganze Reihe von scheinbar eigenständigen Handlungsfäden im Griff zu behalten, um sie zu einem furiosen Finale zusammenzuführen. Da treffen koksende Polizisten auf bankrotte Medienfritzen, und Gelegenheitsganoven kommen großen Gangstern in die Quere. Drecksspiel hätte also durchaus das Zeug zu einem zünftigen Großstadtkrimi, aber das war dem Autor vielleicht zu langweilig. Also musste ein psychopathischer Schlitzer her, dessen "graue, fast schwarze Augen" seine Opfer in Schockstarre versetzen. Unsereiner hätte auf die Bekanntschaft gern verzichtet, doch es gibt offenbar eine große Leserinnenschar, der es im Thriller nicht blutig genug zugehen kann.
Krist erzählt seine Story angenehm parataktisch, mag aber nicht immer auf sprachliche Klischees verzichten. Und manchmal schreibt er sechs Wörter, wenn es eins getan hätte. Dann muss der korrupte Bulle Toni einen „plötzlichen Anfall irrationaler Wut“ erleiden, anstatt einfach wütend zu sein. Es spricht übrigens für den Roman, dass solche Patzer schmerzhaft auffallen.

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Ein trotzkistischer Blogger in der brandenburgischen Provinz gewährt einem rechtsradikalen Auftragsmörder auf der Flucht vor der Polizei Unterschlupf. Wem eine solche Handlungskonstellation abenteuerlich bis absurd vorkommt, kann durch die Lektüre von Ulrich Ritzels neuem Kriminalroman Trotzkis Narr erfahren, zu welchen Überzeugungsleistungen ein großer Erzähler imstande ist. Es ist nur ein kleiner, schnell erledigter Auftrag, der Ritzels Ermittler Berndorf, einst im Staatsdienst, jetzt privat, auf die Spur einer politisch hoch brisanten Affäre bringt. Was als simple Korruption im Amt begonnen hatte, ist zu einer mörderischen Angelegenheit geworden. Am Ende geht einer der Beteiligten in den Knast, andere verstehen es, ihr Gesicht zu wahren. Und Berndorf, der natürlich herausbekommen hat, wie alles mit allem zusammenhängt, darf sich mit dem letzten Satz des Romans an einer eigenwilligen Definition von Gerechtigkeit versuchen.
Dass Ulrich Ritzel zu den besten Krimiautoren hierzulande gehört, ist an dieser Stelle schon häufiger bemerkt worden. Wie kaum ein anderer versteht er es, das Präsens als Erzähltempus zu nutzen. Auf diese Weise kommt er seinen Figuren, und seien sie noch so widerwärtig, ganz nah, ohne dass sie ihre Fremdartigkeit ganz verlieren. Das Böse ist hier nie Faszinosum, sondern immer erschreckend banal. Trotzkis Narr zeigt wieder einmal, was Kriminalliteratur leisten kann, wenn sie sich sensationalistischer Mätzchen konsequent enthält.

 

Garry Disher: Dirty Old Town. Ein Wyatt-Roman. Aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller. 322 Seiten. Pulpmaster. Berlin 2013. € 13,00.

Horst Eckert: Schwarzlicht. Thriller. 384 Seiten. Wunderlich. Hamburg 2013. € 19,95.

Martin Krist: Drecksspiel. Thriller. 396 Seiten. Ullstein. Berlin 2013. € 9,99.

Charlotte Otter: Balthasars Vermächtnis. Kriminalroman. Deutsch von B. Szelkinski und Else Laudan. 316 Seiten. Ariadne. Hamburg 2013. € 13,00.

Ulrich Ritzel: Trotzkis Narr. Roman. 460 Seiten. btb. München 2013. € 19,99.