"Unter den zahlreichen Romanen, welche mit
der Messe unsere Bücherverzeichnisse anschwellen, vollenden
die meisten den Kreislauf ihres unbedeutenden Daseins so schnell,
um sich dann in die Vergessenheit und den Schmutz alter Bücher
in den Lesebibliotheken zurückzuziehen, dass der Kunstrichter
ihnen ungesäumt auf den Fersen sein muss, wenn er nicht den
Verdruss haben will, sein Urteil auf eine Schrift zu verwenden,
die eigentlich gar nicht mehr existiert." Was der Literaturkritiker
Friedrich Schlegel vor über 200 Jahren beklagte, als innerhalb
eines Jahrzehnts mal gerade 2500 neue Romane erschienen, hat sich
bis heute zu einer formidablen Betriebskrankheit ausgewachsen.
Dies gilt in besonderem Maße für die Krimibranche,
deren monatlicher Ausstoß auch von viel lesenden Beobachtern
nicht mehr zu überblicken ist. Ob all die Regional-, Schweden-,
Frauen- und Mittelalterkrimis tatsächlich gelesen werden,
sei dahingestellt, schließlich wird ein Gutteil von ihnen
verschenkt. Und dies nicht immer an Liebhaber des Genres. "Eigentlich
mochte sie keine Krimis", heißt es beispielsweise von
der Heldin eines just erschienenen Fantasyromans, "aber sie
hatte es bisher nicht verhindern können, zu allen möglichen
Gelegenheiten welche geschenkt zu bekommen, denn Krimis waren
so zum Allgemeingut geworden, dass alle meinten, damit bei einer
Leseratte wie ihr nichts falsch machen zu können". Ich
mag übrigens eigentlich keine Fantasy, musste mich aber von
Anette Schaumlöffels Debütroman
Die vergessenen Götter überzeugen lassen, dass
es auch in diesem Genre Lesenswertes zu entdecken gibt. Was macht
ein Gott, an den zwar niemand mehr wirklich glaubt, der aber,
weil er zu einer literarischen Figur geworden ist, noch immer
existiert? Sich aus dieser verzwickten Lage zu befreien, scheint
Odin, dem Boss der germanischen Götterwelt, ein schier unlösbares
Problem. Doch seine Raben Hugin und Munin wissen Rat: Odin muss
hinab in die Menschenwelt des 21. Jahrhunderts. Denn hier wartet,
ohne dass sie es weiß, seine Retterin, eben jene junge Frau,
von der vorhin bereits die Rede war.
Wie turbulent es zugeht, wenn Menschen auf Götter treffen,
wissen wir aus der griechischen Mythologie, die bis in unsere
Gegenwart literarisch anregend wirkt. Dass Odin, Loki und Co.
ihren hellenischen Vettern in nichts nachstehen, zeigt Anette
Schaumlöffels ebenso amüsanter wie intelligenter Roman.
Und vielleicht würde deren unwillige Krimileserin sich auch
eines Besseren belehren lassen, schenkte ihr jemand anstelle des
neuen Wälzers aus skandinavischer oder amerikanischer Produktion
einen Roman, der bereits im ersten Kapitel seinen literarischen
Anspruch klarmacht. Hier wird nämlich nicht einfach draufloserzählt,
sondern zunächst über die Eigenart von Geschichten reflektiert,
"die den Leser von Anfang an in ihren Bann ziehen sollen".
Dass es sich um eine solche Geschichte handelt, lässt sich
nicht bezweifeln, beginnt sie doch, wie es sich gehört, mit
dem Fund einer Leiche. Es folgt der Auftritt des Ermittlers in
Gestalt von Kommissar Antonio Sarti, den der Erzähler gerne
als "meinen Polizisten" bezeichnet. Sarti also macht
sich an die Arbeit und stößt dabei auf ein kompliziertes
Beziehungsgeflecht, in das, wir befinden uns im italienischen
Bologna, auch so mancher lokale Politiker und Geschäftsmann
verwickelt ist. Das sind Verhältnisse, gegen die sich nur
begrenzt etwas ausrichten lässt, da freut es den Leser umso
mehr, wenn dem Kommissar am Ende zumindest ein privates Glück
beschieden ist. Unter den Mauern von Bologna ist der erste
Kriminalroman des italienischen Autors Loriano
Macchiavelli, der in deutscher Sprache vorliegt. Zu entdecken
ist, daran lässt auch die sehr gut lesbare Übersetzung
keinen Zweifel, ein Sprachvirtuose und Erzählkünstler,
der im Krimigenre seinesgleichen sucht.
Wer allerdings die Tugend der narrativen Ökonomie schätzt,
sollte lieber zu kernigerer Kost greifen. Zu Detlef
Blettenbergs Bangkok-Roman Farang zum Beispiel,
den der Pendragon-Verlag in einer wohlfeilen Taschenbuchausgabe
neu aufgelegt hat. Blettenbergs Helden haben sich damit abgefunden,
dass sie in einer Welt leben, die nicht zu retten ist. Und das
nicht zu ihrem Nachteil, denn moralische Vorbehalte könnten
sie sich nicht leisten.
Auch der Erzähler hütet sich zu bewerten, was hier in
knappen Sätzen geschildert wird. Der Leser soll gefälligst
sein eigenes Urteil fällen. Oder es vielleicht bleiben lassen.
Ein moralisch eher zwiespältiger Charakter ist auch Josaphat
Peabody, ein schwergewichtiger Vertreter der englischen Kolonialbehörde,
der um 1900 herum in einem südindischen Fischerdorf einen
Mord aufklären soll. Nicht alle Unregelmäßigkeiten,
auf die er bei seinen Nachforschungen stößt, hält
er für verfolgenswert, und gerne lässt er sich darauf
ein, das unrechte Treiben eines Steuereinnehmers zu ignorieren,
wenn sich ihm dessen Gattin für ein Schäferstündchen
zur Verfügung stellt. Mit seinen Peabody-Romanen stellt sich
der französische Autor Patrick Boman
in eine Tradition des schwarzhumorigen Kriminalromans, die einst
in der Britin Joyce Porter (Chief Inspector Dover) eine herausragende
Vertreterin hatte. Es ist zu hoffen, dass der kleine Zebu-Verlag
weitere der bislang vorliegenden drei Peabody-Abenteuer in deutscher
Sprache herausbringt.
Beenden wir unsere heutige Kunstrichter-Tätigkeit mit dem
Hinweis, dass der Erfolg eines Buches nicht immer gleichbedeutend
mit mangelhafter Qualität sein muss. Die Kriminalromane Jacques
Berndorfs erscheinen seit geraumer Zeit schon in der ersten
Auflage mit dem Aufkleber "Bestseller". Und tatsächlich
verkaufen sich die Fälle des Journalisten und Amateur-Ermittlers
Siggi Baumeister wie geschnittenes Brot. Eifel-Träume,der
mittlerweile zwölfte Roman um den Pfeifenraucher und trockenen
Alkoholiker, erzählt von ignoranten Erwachsenen und von Kindern,
die mehr wissen, als ihnen gut tut. Den Mord an der dreizehnjährigen
Annegret klärt der Reporter in gewohnter Manier auf, aber
die Welt wird davon nicht wieder heile. Dass sich Baumeister dennoch
bemüht, ein guter Mensch zu sein, lässt allerdings die
bessere Alternative zumindest ahnen. Vielleicht rührt daher
der Erfolg dieser Romanreihe, die allerdings noch gewinnen würde,
wenn Berndorf darauf verzichtete, dem sentimentalen Siggi Sätze
wie "Ich will deine Haut atmen" in den Mund zu legen.
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