In einer kalten Winternacht des Jahres 1961 träumt
die Autorin von Mord. Es ist nicht das erste Mal. Mit einer Axt
erschlägt sie eine alte Frau. Ein Motiv vermag sie bei ihrer
Verhaftung nicht anzugeben, dennoch hat die Polizei keinen Zweifel
an ihrer Täterschaft.
Das ist kaum ein Traum, den man am Morgen beim Frühstück
erzählen wird. Die Autorin vertraut ihn ihrem Notizbuch an
und interpretiert ihn als Ausdruck der Angst, dass sie eines Tages
wirklich eine solche Tat begehen könnte. Zum Glück ist
es zu diesem Verbrechen nicht gekommen, zumindest nicht in der
Realität. Patricia Highsmith, denn
um sie handelt es sich hier, verstand es, den Wahn, der hinter
der Alltäglichkeit lauert, literarisch darzustellen. Davon
zeugen so großartige Romane wie Zwei Fremde im Zug,
Lösegeld für einen Hund oder Der talentierte
Mr. Ripley, die der Diogenes Verlag in seiner vielgepriesenen
Werkausgabe neu übersetzt zugänglich macht. Dass dieser
deutschsprachigen Edition kein vergleichbares Pendant der Originalfassungen
vorliegt, ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass Patricia
Highsmith im englischen Sprachraum nie die erfolgreiche Autorin
war, als die sie ihre Leser hierzulande kennen. Vor allem das
amerikanische Publikum empfand ihre Romane als zu düster
und zu amoralisch. Zu gering ist die erzählerische Distanz
zu einer Figur wie dem Mörder Ripley, und es ist auch nicht
anzunehmen, dass die zynische Komik eines Romans wie Ripley
Under Ground auf große Gegenliebe gestoßen ist.
Highsmith selbst hingegen fiel es überhaupt nicht schwer,
sich mit ihrem mörderischen Helden zu identifizieren.
Dass die große Erforscherin menschlicher Abgründe selbst
kein besonders liebenswertes Exemplar der Gattung war, lässt
sich auf den über 700 Seiten der im letzten Jahr erschienenen
Highsmith-Biographie des englischen Journalisten Andrew
Wilson im Detail studieren. Schwierig im Umgang, bizarr
in ihren Verhaltensweisen und mit einer Neigung zu antisemitischen
und rassistischen Ausfällen erscheint Patricia Highsmith
in dieser akribisch recherchierten Lebensbeschreibung nicht selten
wie eine Figur aus ihren Romanen.
Nun kann auch der Rezensent nicht leugnen, dass ihm nicht selten
Kriminalromane lieber sind, die mit klaren Identifikationsfiguren
aufwarten können. Auch wenn die Welt nach der Aufklärung
des Verbrechens natürlich nicht wieder in Ordnung ist, erfreut
man sich gerne am Einsatz eines einzelnen Ermittlers für
Wahrheit und Gerechtigkeit. Allein in einen Sumpf von Korruption
und Verbrechen schickt zum Beispiel Jacques
Berndorf den jungen Staatsanwalt Jochen Mann. Schon in
seinen Eifel-Krimis beleuchtete der ehemalige Journalist Berndorf
gerne die kriminellen Seiten von Politik und Wirtschaft, und wenn
man seinen neuen Roman Die Raffkes liest, scheint es einem,
als wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, dass er sich
einer der großen Affären der politischen Gegenwart
zuwenden würde, dem Skandal um die Geschäfte der Berliner
Bankgesellschaft, von dem sich die Hauptstadt noch lange nicht
erholt hat. Herausgekommen ist ein respektabler Politthriller,
in dem Berndorf zeigt, dass er sich nicht nur auf provinziellem
Terrain sicher bewegt.
Ins Minenfeld der Politik begibt sich auch Kostas Charitos von
der Athener Kriminalpolizei. Obwohl der Leiter der Mordkommission
sich nach einer Schussverletzung im Genesungsurlaub befindet,
wird er zur Ermittlung in einem rätselhaften Fall von Selbstmord
herangezogen. Ein erfolgreicher Bauunternehmer, zur Zeit der griechischen
Militärdiktatur im linken Widerstand aktiv, hat sich während
einer Fernsehsendung vor den laufenden Kameras erschossen. Schon
bald taucht die Erklärung einer rechtsradikalen Organisation
auf, die behauptet, den Geschäftsmann in den Suizid getrieben
zu haben, weil er auf seinen Baustellen billige ausländische
Arbeitskräfte beschäftigt. Und es bleibt nicht bei einem
Toten ... Charitos hat seine Zweifel an dem Bekennerschreiben
und beginnt hartnäckig zu recherchieren. Schon bald führen
ihn seine Nachforschungen in die Vergangenheit, als die Militärherrscher
Griechenlands Regimegegner brutal verfolgten, einkerkerten und
folterten. Die Auflösung wird Charitos am Ende ohne großes
eigenes Zutun präsentiert, sie ist traurig und wenig befriedigend
für Freunde poetischer Gerechtigkeit. Und dies nicht deshalb,
weil der Autor Petros Makaris es versäumt,
alle ausgelegten Fäden sauber zu verknüpfen, im Gegenteil.
Die kleinen handwerklichen Schwächen werden durch den Gesamteindruck
dieses bemerkenswerten Kriminalromans wettgemacht, zu dem unbedingt
sein schmerzhafter Schluss gehört. Zur Atmosphäre trägt
auch bei, dass Makaris seinen Helden im selten benutzten Präsens
von seinen Ermittlungen erzählen lässt. Dass Charitos
zudem über einen relativ normalen familiären Hintergrund
und nur wenige skurrile Angewohnheiten, eine Vorliebe für süßen
griechischen Mokka und für alle Arten von Wörterbüchern
verfügt, macht ihn so sympathisch, dass der Rezensent sich
dringend über seine ersten beiden Fälle zu informieren
gedenkt.
Über Raymond Chandlers prototypischen
Ermittler Philip Marlowe muss man Krimilesern nichts mehr erzählen.
Auch wer weder Das hohe Fenster noch Der große
Schlaf gelesen hat, kennt die einschlägigen Verfilmungen
mit Humphrey Bogart oder Robert Mitchum. Oder ist einem der vielen
hartgesottenen, aber sentimentalen Privatdetektive begegnet, die
sich an dem großen Vorbild orientieren. Bevor Marlowe das
Licht der Welt erblickte, hatte Chandler mit ähnlichen Figuren
experimentiert. Eine davon ist Jonny Dalmes, der in der Erzählung
Bay Street Blues wieder einmal bestätigt bekommt,
was alle Chandler-Helden wissen, nämlich, dass wir in einer
großen, aber keineswegs guten Gesellschaft leben. Nun hat
der Synchronroutinier Christian Brückner, dessen Stimme sich
in diesen Tagen immer schwieriger entkommen lässt, die Geschichte
aufgenommen. Da stimmt die Atmosphäre, und man hört
gerne zu, auch wenn einen fast drei Stunden lang das Gefühl
nicht verlässt, Robert De Niro würde sich an der Rolle
des edlen Schnüfflers versuchen. Aber das wäre ja keine
schlechte Idee, sollte jemand auf die Idee kommen, Chandlers Klassiker
wieder einmal zu verfilmen.
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