Mal ganz unter uns: Wir Reisebuchschreiber sind
das "Gedöns" unter den Autoren. Im Sport wären
wir nicht mal Trikotbügler, in der Küche selbst als
Deko zu peinlich. Unser Ruf: Umsonst-Übernachter, Gratis-Restauranttester,
bestochene Langweiler mit Geheimtipps, die vielleicht vor der
Drucklegung welche waren. Wir haben nichts gelernt und können
nur eins: bei deutschem Nieselregen das Fernweh für den Jahresurlaub
manipulieren. Und zwar in einem Stil, der nach Erbarmen schreit.
Wir schreiben nicht: Der Strand hat Sand. Das wäre ja fair.
Wir schreiben: traumhafter Puderzuckerstrand. Bei uns sind Märkte
nicht praktisch, sondern quirlig, Buchten nicht oval, sondern
atemberaubend beschaulich. Ach, ist es dort schön! Das entspricht
den Statuten der entsprechenden Verlage. Zum Träumen bringen,
Fantasien anregen, Wohlfühlnuancen einstreuen, kurz: Realität
schönfärben. Besonders drastisch wird es, wenn wir nebenher
fotografieren und dabei genau dasselbe tun. Ein Bekannter war
mal mit einem meiner Bücher unterwegs und hat die Kirche
auf einem Bild kaum erkannt. Ich hatte sie so fotografiert, dass
die kalten Wohnblöcke daneben nicht zu sehen waren. Sonst
hätte ich das Bild nie verkauft, hab ich ihm gesagt. Auch
müsse man immer junge, knackige Menschen auf den Fotos haben,
ab fünfundzwanzig geht nichts mehr, nimmt uns keiner ab.
Er hat nur mit dem Kopf geschüttelt und diesen Ausdruck im
Gesicht gehabt, den er hat, wenn ihm jemand wirklich leid tut.
Eine Text-Bild-Schere, so viel ist sicher, gibt es nicht bei Reisebüchern.
Im Gegenteil: Text und Bild ergänzen sich perfekt. Schöne,
junge, heile Welt. Dagegen sind die Werbefachleute von Oil of
Olaz Fanatiker radikal klarer Betrachtungsweisen.
Reisen tun wir auch nicht viel. Manche Autoren finden ihre Bücher
so gelungen, dass sie ernsthaft überlegen, nächstes
Jahr selbst mal hinzufahren. Sie glauben, ich mache Witze? Aber
nein. Und ich bin nicht viel besser. Einst hat mich eine attraktive
Frau mit Faible für fremde Länder als Begleiter ins
Auge gefasst, dann aber festgestellt: Der ist nicht viel unterwegs,
höchstens auf dem Fußballplatz. Linksverteidiger. Wenn
er nicht ganze Spiele auf SAT 1 guckt! Aber Fußball ist
nicht nur kreativer, es ist auch weniger zerstörerisch als
Reiserei und Reiseschreiberei. Kalorien- statt Kerosinverbrauch!
Lohn und Niveau - tiefer gelegt
Der eine Verlag wirbt mit: "Wenn andere
noch überlegen, bist Du schon weg", der andere mit:
"Man sieht nur, was man weiß." Goethe reloaded.
Lassen Sie sich diesen Spruch auf der Zunge zergehen. Nur wenn
Sie unsere (mäßig bezahlten) Autoren lesen, haben Sie
also das Wissen, sehend durch Ihr Urlaubsgebiet zu fahren. Die
Wahrheit ist: Ich habe immer nur geschrieben, was ich wusste.
Man schreibt nur, was man weiß. Und das war nicht allzu
viel. Das Pikante daran ist allerdings: Die Inhalte wussten dann
meine Leser und alle Autoren, die so gern von mir abschreiben.
Haben die den Verstand verloren? Ich habe Sachen geschrieben,
das glauben Sie nicht, habe Verdi mit Vivaldi verwechselt, die
Entenmuschel für ein Säugetier gehalten, bei Romanik
ein T eingebaut. Merkt keiner. Außer Oberstudienräten,
und die stellen einen dann in Leserbriefen an die Wand. Richtig
so. Die bekommen nicht mal Mitleid, wenn man ihnen sagt, dass
kein Verlag dem Reisebuchautor mehr als 8 Prozent vom Nettoladenpreis
bezahlt. Manche gehen auf 5,5 Prozent runter. Glauben Sie nicht?
Aber hallo! Motto Nr. 2: Man saugt nur aus, wen man aussaugen
kann. Das war jetzt nicht Goethe. Soll aber keine Entschuldigung
sein, Herr Oberstudienrat. Sie haben völlig recht: Wer solche
Verträge unterschreibt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Das ist unsere Welt. Und die gilt im Grunde auch für Reisejournalisten
von Tageszeitungen. Die verwechseln doch auch ständig Werbung
und Wertung. "Gedöns" sind die genau wie wir, haben
aber zusätzlich auf der internen Karriereleiter die Ellbogen
vergessen und schreiben nun über Rimini statt über Politik.
Ich war auch schon dabei. Man wird auf arrangierten Reisen durch
Hotelanlagen geschoben, und die Ansprechpartner sind freundlich
lächelnde Hotelmanager. Einen Kilometer weiter werden afrikanische
Flüchtlinge angespült? Egal. Wir machen doch Reise.
Und dann gehts an die Arbeit: Aufmacherbild. Dreispalter.
Reizend hier. Fertig. Wer redet da noch von Recherche, von pointierter
Sicht, von Sinnlichkeit und Engagement? Egon Erwin Kisch ist tot.
Es lebe das Nichts. Aber immerhin sind Tageszeitungsjournalisten
noch einigermaßen in Lohn und Brot, wir dagegen sollten
Ehepartner von Siemens-Managern im Ausland werden - betrogen,
aber reich - , sonst verhungern wir noch.
Ruhm - plötzlich
Nur wenn wir über den Jakobsweg veröffentlicht
haben - und das habe ich mehrmals, etwa unter dem Titel Nordspanien.
Jakobsweg, sind wir plötzlich wer. Im Fernsehen werden
wir hofiert, im Deutschlandfunk sind wir im einstündigen
Gespräch mit dem Ressortleiter zu hören und sagen einem
Millionenpublikum Sätze wie: "Der Jakobsweg ist im Grunde
eine Reise zu sich selbst." Oder: "Es gibt einen Unterschied
zwischen Pilgern und Laufen." Meine Güte! Wir dürfen
sogar bei Karstadt Vorträge halten und dann Fragen beantworten
wie: "Herr Büscher, wie haben Sie den Weg spirituell
erlebt?" Die ehrliche Antwort wäre gewesen: "Gar
nicht, ich hab euren Massentrampelpfad überhaupt nicht erlebt!"
Und auf Partys in Köln bin ich neuerdings der Hit, schlichtweg
mystisch, fast umgeben von einem Hauch Coelho. "Das ist ja
spannend, Tobias
" - früher wären sie
zum Prosecco-Kühlschrank geflüchtet, wenn ich das Wort
Jakobsweg nur erwähnt hätte. Die hätten mich stehen
lassen. Heute pochert es, es kerkelt geradezu, ich bin neuerdings
umringt von Bewunderern und richtig stolz auf mich. Und ich betrinke
mich auf solchen Partys unter wohlwollenden Augen, denn dann brauche
ich nicht darüber nachzudenken, was ich angerichtet habe.
Unsere Texte zerstören Landschaften und Kulturen
Der Norden jenseits von Sangria und Flamenco
- ihn zu schildern, fand ich viel ehrenhafter als die touristischen
Hochburgen zu beschreiben. Diese Teutonen, dachte ich, sollen
ruhig auf ihre Insel - ich schreibe was Spannendes: Neuland,
Abenteuer, entlegene Ortschaften ohne Strom. Entdeckungstouren.
Der Norden, das war es, diese unentdeckten Gebiete am Ende der
Welt. Vor lauter Selbstverwirklichung war mir gar nicht klar:
Das wird am Ende das Ende für diese Welt. Mallorca oder der
Costa Blanca kann man nichts anhaben, diese Reiseziele sind komplett
schmerzfrei. Wohl aber einer Gegend wie Galicien, über die
damals fast noch niemand geschrieben hatte. Gleich für mehrere
Projekte habe ich Orte in den inneren Provinzen aufgesucht, deren
Bewohner von Franco nicht für den Bürgerkrieg rekrutiert
wurden, weil niemand wusste, dass es sie gab. Steinalte Männer
haben mich neugierig angesehen und zur Kohlsuppe eingeladen. Das
war idyllisch. Bis zu den Veröffentlichungen. Pionierreisen
führen zu grausamen Entwicklungen - das hat man schon
bei Kolumbus gesehen. Es kamen reihenweise ungebetene Gäste,
die es keineswegs dabei beließen, so zu tun, als seien sie
zu Hause.
Auf dem Jakobsweg ist es inzwischen voller als in den Bars von
El Arenal, aber daran ist Hape schuld. Für Verlage ist der
Camino seither ohnehin ein lohnender Marketingtrick. Nordspanien
verkauft sich nicht gut. Nordspanien. Jakobsweg viel besser. Gewandert
bin ich ihn übrigens nur den einen oder anderen Meter. Wozu
auch mehr? Man kann auch so darüber schreiben. Und Schlange
stehen vor der romanischen Brücke? Im Stechschritt zur nächsten
Herberge, damit man noch unter den ersten vierzig ist und einen
Platz bekommt? Und dann das Schnarchen und Ausdünstungen
wie in der Jugendherberge? Nervtötende Gesinnungsläufer,
die an einem dranbleiben, so sehr man auch den Schritt beschleunigt?
Bloß nicht! Wo ich allerdings war, sehr ausführlich
sogar, das war im nordspanischen Galicien. Schlimm ist, was ich
mit dieser Region gemacht habe. Ich habe über Wildpferde
geschrieben und über einen Kinderstaat, den ein Jesuitenpater
mit zotteligen Straßenbengeln ins Leben gerufen hat. Ich
war mit Fischern vor der gefährlichen Küste unterwegs
und habe mit einer Hexe im Schatten der Jakobskathedrale über
Glaube und Aberglaube, keltische Elemente und Intuition gesprochen
und das Gespräch wörtlich ins Buch gebracht. Ich habe
wild romantische Steilküsten fotografiert, kleine versteckte
Inselchen, schöne, lebendige Dorffeste (ohne Müll),
die Strände der Rias Bajas. Und mit all dem hab ich den gierig
neugierigen Pulk angelockt. Was glauben Sie denn? Ein spanischer
Journalist notierte vor kurzem in der Voz de Galicia: "An
der Todesküste wimmelt es so von Deutschen, dass man die
Restschäden der Ölpest nicht mehr erkennt." Wunderbar
auf den Punkt gebracht hat er das. Die sind im Wohnmobil unterwegs,
mit Hund und Zelt, gucken in den Sonnenuntergang und werden jedes
Jahr mehr. Sind Sie auch aus Deutschland?
Erst kam mein Buch, dann die Animation
Denn danach kamen all die anderen Nordspanienbücher.
Horden tauchen nun dort auf, wo Wildpferde einst friedlich grasten.
Die stämmigen, kleinwüchsigen Tiere haben sich erschrocken,
in den letzten Wälderschutzgebieten parken Autos mit Mannheimer
Kennzeichen, die keltische Hexe wird von esoterischen Protestanten
belagert, die Winzer mit selbstgemachtem Tresterschnaps sind Opfer
von Schnäppchenjägern, die Inselchen quellen teutonisch
über, und die Buchten der Rias Bajas stöhnen unter der
Last eines massiven Individualtourismus. Individualtourismus?
Genauer betrachtet handelt es sich um Massentourismus. Wer bei
einer Auflage von 15.000 Exemplaren von Geheimtipps spricht, lügt,
und zwar schamlos. Doch wer ein Reisebuch in hoher Auflage über
ein weitgehend unbekanntes Gebiet veröffentlicht, gehört
hinter Gittern.
Reisebuchautoren können nichts? Oh doch. Sie können
Landschaften beschädigen, gereifte Kulturen verwüsten,
lokale Bräuche mit Fremdenverkehr vergewaltigen. Nachhaltig.
Sie können den Menschen ihre Lieblingsorte nehmen, weil dort
nun Parkplätze gebaut sind. Sie wirken verheerend. Fast wie
TUI. Und das ist um Längen dramatischer als ein paar alberne
Adjektive im Manuskript. Oft habe ich mich damit getröstet,
dass die Hostal-Besitzerin Maria in Santiago nur über die
Runden kommt, weil ihre Unterkunft in meinem Buch steht und ständig
Pärchen aus Alemania bei ihr wohnen. Doch die Blicke früherer
galicischer Freunde sollten Sie mal sehen, die mir deutlich machen,
dass ich meinesgleichen über ihre Heimat habe herfallen lassen:
über ihre Bars, ihre Häfen, ihre Märkte. Über
ihr Leben.
Hätte ich doch über Mallorca geschrieben, damals. Nordspaniens
abgeschiedene Regionen wären wohl noch jahrelang verschont
geblieben. Oder besser noch: Hätte ich doch etwas Anständiges
gelernt. Tischler oder so. Dann wäre ich kein "Gedöns",
sondern ein Mann in den besten Jahren mit aufrechtem Gang. Entschuldigung,
Nordspanien - ich kann es nicht mehr rückgängig
machen. Aber wenigstens kauft nun kein Am-Erker-Leser mehr mein
Buch. Und glauben Sie mir: Das ist verdammt gut so.
PS: Ich bin dann mal kicken.
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