In Carl Zuckmayers Briefwechsel mit Annemarie
Seidel scheint die Intimität ihrer frühen Boheme-Liebesbeziehung
über dreißig Jahre hin stets wieder berührend
auf. Im Briefwechsel des zum Großschriftsteller der Nachkriegszeit
arrivierten Autors mit dem Basler Historiker und Diplomaten Carl
Jacob Burckhardt zeitigt der gegenseitige Respekt der so gar nicht
wesensverwandten Männer oft überaus amüsante, mitunter
fast unfreiwillig komische Briefe, in denen Zuckmayer einen etwas
steifen Großbürgerton, Burckhardt einen leicht forcierten
Künstlerton anschlägt (s. Am
Erker 40, S. 81ff.). Carl Zuckmayers umfangreicher Briefwechsel
mit seinem langjährigen Freund und informellen Mitarbeiter
Albrecht Joseph (1901-91) - einem Dramaturgen, der in den zwanziger
Jahren auch Regie geführt hat, dessen Karriere aber stagnierte,
während Zuckmayer ab 1925 zum kommerziell erfolgreichsten
Dramatiker der Weimarer Republik wurde - bietet dagegen Einblicke
in die Werkstatt eines Alphatiers der Unterhaltungsbranche, das
den Kulturbetrieb mit Theaterstücken, Prosa und in den dreißiger
Jahren zunehmend auch mit Drehbüchern versorgte.
Nur das erste Fünftel des Textkorpus zeugt von der lärmenden
Unbefangenheit, mit der der junge Dramaturg, Regisseur und Theaterautor
Zuckmayer sich als Originalgenie und Kraftmeier in Szene zu setzen
liebte, zeigt aber zugleich bereits, wie gewieft er insbesondere
den Berliner Theaterbetrieb der Weimarer Republik beobachtet und
wie genau er bei der Auswahl der Stoffe und deren Behandlung darauf
geachtet hat, Kassenerfolge zu produzieren, also populär
zu sein und diese Popularität in klingende Münze zu
verwandeln. Hier tritt uns kein Schöngeist entgegen, sondern
ein ausgebuffter Profi, für den der Erfolg zwar nicht jedes
Mittel heiligt, aber der eigentliche Zweck seines literarischen
Schaffens ist. Entsprechend opportunistisch, wendig und dem Zeitgeist
ohne viel Gejammer auf der Spur zeigen die Briefe aus der Henndorfer
Zeit bis 1938 einen Zuckmayer, der dem Nationalsozialismus zwar
nicht auf den Leim geht, aber zu pragmatischen Kompromissen neigt,
wenn es der Verbreitung seiner Werke - und damit dem Erzielen
von Tantiemen - dient.
Zugleich bemüht Zuckmayer sich angesichts zunehmender Schwierigkeiten
damit, auf dem deutschen Markt präsent zu bleiben (1935 wird
die Auslieferung seines Romans Salwàre oder Die Magdalena
von Bozen in Deutschland verboten), immer mehr darum, als
Drehbuchautor Fuß zu fassen und die nationale Bühne
gegen den internationalen Film zu tauschen. Damit aber begibt
er sich auf einen Markt, in dem die Konkurrenz noch härter,
die Umgangsformen noch rüder sind als im Berliner Theaterleben
und in dem auf einfachere Plots, eingängigere Bilder und
eine weit populärere Machart gesetzt wird, als Zuckmayer
das bisher gewohnt war. In dieser Lage ist ihm Albrecht Joseph
bis in die vierziger Jahre ein wichtiger Gesprächspartner,
wobei es - wo dessen Briefe erhalten blieben - oft wirkt, als
habe Zuckmayer sich in seinen viele Seiten umfassenden Episteln
vor allem seine Selbstzweifel vom Hals geschrieben oder ein weinseliges
Brainstorming durchgeführt, während Joseph die Rolle
des nüchternen Kommentators zufiel, der überzeugende
dramaturgische Hauptlinien und Konflikte brav lobte oder einforderte,
ohne für Zuckmayers Anliegen immer großes Verständnis
aufzubringen.
Wem das Wasser bis zum Hals steht, dem wachsen mitunter seltsame
Flügel. Was Zuckmayer jedenfalls allein 1936-39 an Ideen
ventilierte, an Treatments entwickelte und an Exposés niederschrieb,
weist in seiner gehetzten Unausgegorenheit mitunter Züge
grauser Komik auf. Fast immer ist das Populäre dabei ins
Reißerische getrieben: Die Liebe und die Tragik können
nicht groß genug, das Helle kann nicht hell, das Dunkle
nicht dunkel genug sein, um mit den Mitteln einer keinesfalls
sublimen Wirkungsästhetik kathartische Effekte in die Kinosäle
zu zaubern, erst für Paris und London, dann zunehmend für
die USA. Doch der Lohn dieser Betriebsamkeit ist karg: Fast alle
Projekte enden in Produzentenschubladen, können sich gegen
andere Drehbücher nicht durchsetzen oder nicht finanziert
werden.
In diesen staunenswerten Briefen aus den dreißiger Jahren
tritt uns Zuckmayer oft als literarischer Tausendsassa entgegen,
der sich in den unterschiedlichsten Genres als knallharter Plot-Entwickler
geriert und ironische Seitenhiebe sowie sarkastische Kabinettstückchen
auf andere Größen der Branche (seien es Schauspieler,
Autoren oder Regisseure) vom Stapel lässt, dabei aber, je
schwieriger die Verhältnisse in Europa werden, immer mehr
einem Menschen ähnelt, der im dunklen Walde pfeift. Dass
er dabei beinahe in die Rolle eines Lohnsklaven im Bereich der
modernen Kulturindustrie und Medienbranche gerät - in die
Rolle von Kreativen also, die sich heutzutage mit dem Entwickeln
von Vorabend-Serien, mit dem Schreiben von Gags für triste
Comedians oder mit dem gemeinsamen Verfassen von Fantasyromanen
über Wasser halten -, macht die fast beängstigende und
erhellende Modernität dieser Briefedition aus. Dem Herausgeber
Gunther Nickel ist es in seinem extensiven, Fleiß mit Umsicht
und Spürsinn vereinenden Kommentar - der leider der ironischen
Spitzen seiner Kommentierung von Zuckmayers Geheimreport
entbehrt (s. Am Erker 45, S. 74ff.)
- gelungen, Bedingungen und Umstände der Herausbildung eines
Medienproletariats an den nervösen Suchbewegungen eines der
erfolgreichsten deutschsprachigen Dramatiker zu demonstrieren.
Zuckmayer wäre allerdings nicht der bedeutende Autor, für
den ich ihn halte, wenn ihn nach halbherzigen Versuchen, sich
am Broadway und in Hollywood zu etablieren, nicht doch der Ekel
daran überkommen hätte, seine Haut hemmungslos zu Markte
zu tragen. Dazu hat ihm neben Beziehungen und seinem Ruf aus Weimarer
Tagen sicher auch die Erkenntnis verholfen, dass fortgesetzte
literarische Prostitution bei andauernder Erfolglosigkeit zum
Verlust der Selbstachtung führt. Genau in diesem Moment kam
der Familie das Glück zu Hilfe, in Vermont eine abgelegene
Farm zu finden, wo Zuckmayer aus dem Hamsterrad einer nur tagesaktuellen
Marktschreiberei zu Stoffen zurückfand, deren Popularität
außer Frage steht, deren Entwicklung aber keinen Kotau vor
der Kulturindustrie bedeutete.
Während Zuckmayer in der Regel von sich aus die Initiative
ergriff, war Albrecht Joseph ein rezeptiverer, weniger kreativer
Mensch, der eher auf Zuruf, also auf Auftrag hin tätig wurde.
Kein Wunder, dass es für ihn außer Frage stand, sich
in der Filmfabrik Hollywood mühsam genug zu etablieren, was
ihm erst Mitte der vierziger Jahre wirklich gelang, und zwar als
Cutter, als Dramaturg eigener Art also. Viel mehr als ein leidlich
bezahlter Wasserträger des Betriebs ist er dabei nicht geworden.
Immerhin hat er die in Deutschland ab 1967 unter dem Namen Rauchende
Colts sehr beliebte Vorabendserie Gunsmoke der CBS
geschnitten.
So inspiriert und nicht selten begnadet komisch der Briefschreiber
Zuckmayer auch im hohen Alter noch zu Werke geht, so unübersehbar
fehlt den Briefen Albrecht Josephs das literarische Ingenium.
Er ist primär Handwerker, der sich mitunter zwar begeistern
lässt, aber gerade dort, wo er originell sein will, ausgesprochen
konventionelle, in ihrer nicht selten verkrampften und renommiersüchtigen
Schlüpfrigkeit quälende Briefe schreibt. Daher wohl
fällt es schwer, bei der jahrelangen Auseinandersetzung der
beiden darüber, ob das Drehbuch zum Hauptmann von Köpenick
allein von Zuckmayer oder zu gleichen Teilen auch von Albrecht
Joseph stammt, nicht Zuckmayers souveränen, Joseph empfindlich
in die Schranken weisenden Ausführungen in seinem Brief vom
28. August 1957 zuzuneigen.
Die Freundschaft der beiden hatte da bereits gelitten, sicher
auch, weil Zuckmayer unter den Remigranten so besonders arriviert
war und in Helmut Käutner geradezu einen Hausregisseur gefunden
hatte (Des Teufels General (1955), Ein Mädchen
aus Flandern (1956), Der Hauptmann von Köpenick
(1956)). Doch dahinter steckt nicht allein der Neid des erfolglosen
Joseph: Auch Zuckmayers Briefe werden zunehmend maliziös,
und er lässt es sich nur selten entgehen, auf seine Erfolge
im Nachkriegsdeutschland, auf seine Ehrungen, auf die von ihm
gehaltenen Jubiläumsreden und das ganze, ach so mühsame
Repräsentieren hinzuweisen, besonders im Zusammenhang mit
dem umjubelten Gastspiel des Schillertheaters Berlin in New York
mit dem Hauptmann von Köpenick im Dezember 1964, das
Zuckmayer als einen Triumph empfunden hat, nachdem er in Deutschland
von Teilen der Kritik bereits zum alten Eisen geworfen worden
war, und von dem er Joseph minuziös berichtet - sicher auch,
weil er ihm die Schuld daran gab, durch seine Drehbucharbeit an
einem Remake des Hauptmann von Köpenick 1940 seinen
angestrebten Broadway-Durchbruch hintertrieben zu haben.
Da mutet es erstaunlich naiv an, dass Joseph im Februar 1965 einen
sehr freundschaftlich klingenden, in der Erinnerung an alte Zeiten
schwelgenden Brief an Zuckmayer geschrieben hat, der freilich
- durchsichtig genug - darauf zielte, sich in dessen im Entstehen
begriffener Autobiografie Als wär's ein Stück von
mir einen Platz an der Sonne zu sichern, wie folgende Bemerkung
deutlich werden lässt: "Was dein Erinnerungsbuch angeht
- bitte glaub mir (und du kennst mich genug, um es glauben zu
können), was immer du tust, ist mir recht. Ich habe nicht
die leisesten Wünsche auf irgendein Überleben."
Über diese Versicherung dürfte Zuckmayer herzlich gelacht
haben. Kein Wunder, dass Albrecht Joseph es ihm später sehr
verübelt hat, in der Autobiografie nur kursorisch erwähnt
worden zu sein.
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