Fritz Müller-Zech
Fast ein halbes Jahrhundert ist es her, da trafen sich einige junge Männer aus der münsterländischen Provinz regelmäßig bei Vanilletee und Weinbrand, um über ihre Lieblingsbücher zu debattieren. Die Auswahl reichte von Franz Kafka bis zu Charles Bukowski und William S. Burroughs. Auch in der vom Versand Zweitausendeins nachgedruckten Anthologie Acid, 1969 von Rolf Dieter Brinkmann und Ralf Rainer Rygulla im legendären März Verlag herausgegeben, wurde gerne geblättert, allein der provokanten Illustrationen wegen. So hat man es mir zumindest erzählt. Ob die langhaarige Lesegruppe viel von dem verstand, was sie da eifrig studierte, ist nicht gewiss. Auf die anti-bürgerliche Pose kam es an, denn der literarische Lebensentwurf hieß Protest.
Vorbilder fand man in den historischen Avantgardebewegungen vom Dada- bis zum Surrealismus und bei der amerikanischen Beat Generation. Schon bald übten sich die Jungliteraten in Praktiken wie dem automatischen Schreiben oder der Cut-up-Technik. Dokumentiert wurden die Resultate dieses ambitionierten literarischen Dilettantismus in einer mittels eines Nasskopierers fünfmal vervielfältigten Zettelsammlung, die kurzerhand zur ersten Nummer einer Literaturzeitschrift namens Der Maiskolben deklariert wurde. Dass einer der Herausgeber ein halbes Jahr zuvor die fünf Bände des, wie die Acid-Anthologie, bei Zweitausendeins erschienenen Reprints der Akzente geschenkt bekommen hatte, mag bei dem größenwahnsinnig anmutenden Plan, ebenfalls ein literarisches Periodikum zu gründen, zusätzlich eine Rolle gespielt haben.
Nun war Durchhaltevermögen gefragt. Dass Josef Wintjes vom Literarischen Infozentrum in Bottrop, wo fast alle Druckerzeugnisse aus der Alternativszene zu bestellen waren, sich standhaft weigerte, mangels Qualität die in höherer Auflage erschienenen späteren Ausgaben in seinen Versandkatalog aufzunehmen, war eher Ansporn als Abschreckung. Der Maiskolben fusionierte mit der Zeitschrift Texte aus Lünen, und im Dezember 1977 erschien Am Erker Nr. 1. Später siedelte die Redaktion nach Münster über, gründete eine Wohngemeinschaft und nannte sich dem Zeitgeist entsprechend Erker-Kollektiv. Auch das ist lange her. Warum es die Zeitschrift, anders als ihre legendären Vorbilder von Der fröhliche Tarzan über Gasolin 23 bis zur Nachtmaschine immer noch gibt, beantwortet Mitbegründer Joachim Feldmann gewöhnlich in einem Satz: "Weil wir nie aufgehört haben." |