Am Erker 79

 
Texte
Am Erker 79, Münster, Oktober 2020
 

Roland van Oystern
Der Stock

Ich weiß noch, wie ich ein Jahr diesen Stock gehabt hab. Ich hab mit dem Stock dagegen geklopft, wo's mir einfiel, alles fein säuberlich abgeklopft, mit dem durchs Gras gedroschen und mit dem ins Erdwerk gestochert. Ich hab geheult, weil ich ihn nicht mit in die Schule nehmen durfte. Ich hab's nicht eingesehen. Ich hab einen Aufstand gemacht. Und wie der Stock mal weg war - von jetzt auf gleich -, verging es mir. Von da ab war die Laune futsch, die gute wie die schlechte. Hab nur noch Trübsal geblasen und schlecht gegessen, auffällig schlecht, alles mit der Gabel dreimal umgewendet und dann liegengelassen, bis ihn Mama wieder rausgerückt hat. Zuerst fand ich's komisch, dass der Stock wieder da war. Ich hab ihn genau beäugt und überall angelangt und mich ausgiebig damit abgeklopft, und schließlich ging's wieder, schließlich ging's weiter. Die Tage waren wieder normal, die Eintracht zwischen mir und dem Stock war wieder da. Wir haben es gemacht, wie wir es immer gemacht haben. Eines Tages wollte ich für den Stock ein Ruhekissen. Kissen war mir aber zu wenig. Ich wollte mir was herbestellen lassen. Was Bestimmtes, eine "Katana kake"-Wandhalterung. Am besten direkt aus Japan. Ich hab zu Papa gesagt: "Damit es nach was aussieht." Weil er selber immer so redet. Aber ihm war scheißegal, wie das aussieht. Und da wusste ich, dass er nicht weiß, wie man was aus Japan herbestellt. Hätte ich mir denken können. Mein Fehler. Ich wollte umschwenken auf was vom Baumarkt, aber da war die Stimmung schon beim Teufel. Ich hab mich beim Stock entschuldigt: Tut mir leid, Stock. Du hast es besser verdient. Wir haben es beide besser verdient. Wie soll er wissen, wie man was aus Japan herbestellt? Was sollen diese Dorfschneider überhaupt über Japan wissen? Weißt du, wie oft Mama bestellen darf? Einmal pro Jahr. Und weißt du, wie viel? Einen Karton. Höchstens, und dann ausschließlich aus Fürth. Bestes Bayern. Hat mit Japan nichts am Senkel. Der Stock wurde von mir dann mit zwei Klebebandstreifen über dem Schreibtisch festgepappt. Billig, unjapanisch. Sorry, Stock. Aber er hat alles genauso gesehen wie ich und war mir nicht böse. Nie, auch später nicht, wie ich ihn gar nicht mehr abgenommen hab. Ich war im Zweifel, ob wir miteinander im Reinen sind. Also bin ich zu ihm hingegangen und hab die Rede darauf gebracht. Ich hab gefragt: Stock, ist es dir recht? Und der Stock hat geantwortet: Ist mir recht. Und so war es für uns beide recht. Irgendwann ist er runtergefallen, und jemand hat ihn in den Müll rausgeräumt. Kann sein, ich war's selber, oder Mama war's. Beides möglich. Ich erinnere mich noch gern an den Stock. War ein guter Stock. War ein wirklich guter Stock.