Am Erker 67

Ellen Widmaier: 'dort wo wir lagen'

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Ellen Widmaier
Edition Haus Nottbeck

 
Rezensionen
Ellen Widmaier: dort wo wir lagen
 

Einfach stark
Michael Starcke

Die 28 Gedichte, die Ellen Widmaier in ihrem Lyrikband dort wo wir lagen versammelt hat, sind einfach stark. Ob gereimt oder in freien Versen, kommen sie anrührend und originell, nachdenklich und wissend daher, mitunter auch melancholisch, das eigene Leben und seine Erfahrungen erzählend, auf der Suche nach Standpunkten, nach Verortung und Identität.
Es sind Erinnerungsgedichte darunter, ebenso wie Naturgedichte und solche, die von der Liebe berichten, auf, wie ich finde,  der Dichterin ureigenste Art: ein lyrisches Ich, das bekannten Frauengestalten aus der Antike wie Eurydike und Sappho begegnet, oder mit Frauen wie Mascha Kaléko und Frida Kahlo korrespondiert.
Dabei schält sich das Selbstverständnis der Dichterin heraus, wie sie sich als selbstbewusste Frau wahrnimmt und sieht, in "Abendmahl mit Don Juan" trefflich beschrieben: "ich & du/ spielen Katz & Maus/ küssen Kirschen/ beißen zu/ ich spuck dich aus." Dabei war das nicht immer so: "ich war einmal/ eine ahnungslose Frau/ mit Frühdienst Spätdienst/ Nachtdienst" oder in "Verlustmeldung": "außerdem melde ich/ den Verlust meiner Zeit/ Umwege, Irrwege, falsche Berufe."
Ellen Widmaier spricht mit den Worten, die sie ihrer Eurydike in den Mund legt: "Ich sage euch, wie es war". Und es scheint mir nicht anmaßend fortzufahren, wie es ist. Wie es war, davon erzählt sie u. a. in dem titelgebenden Gedicht, "dort wo wir lagen", das den Übergang von der Jugend ins Erwachsensein beschreibt, traurig und wunderschön: "dort wo wir lagen/ am Wehr unter Erlen und Farn/ Septemberstaub dämpfte das Grün/ legte sich uns auf die Lippen." Oder in "Jawort": "Ich hab mein Leben/ verstaut in verstaubten Kartons/ neben den alten Straßenkarten/ eingerissen im Knick."
Das sind lebensprägende Erfahrungen, die die Dichterin nicht nur wehmütig stimmen, sondern die sie auch, genau hinblickend, mit ihrem poetischen Skalpell seziert: "Schadensregulierung – wo/ ist der Versicherungsschein?/ Im Geburtskanal verloren/ mit der Nabelschnur entsorgt."
Wie es ist, davon erzählt Ellen Widmaier z. B. in "Nordstadt-Reim": "Hier steht die PCB-Kippe von Kasachstan/ mit freilaufend zertifiziertem Scharlatan." Das ist ein Poem, wie auch andere entstanden an ihrem Wohnort Dortmund, augenzwinkernd und lakonisch den hier gesprochenen Slang aufnehmend: "Da quatschte er mich an/ Hassema die Uhrzeit?/ betatschte mich am Arm/ schnappte nach der Tasche/ Ratsch!" Und später, nachdem der Räuber aufs Kreuz gelegt worden ist: "Sagnsma, wie hamse das/ geschafft, so klein und/ so schwach?// Ich ganz lax [...]: taff im Training - / Karate und Klavier."
Noch einmal: Diese Gedichte sind einfach stark, ungekünstelt und authentisch und dennoch kunstvoll komponiert, ein Glücksfall für den Leser und die Poesie. Man begegnet einer Dichterin, der man glaubt, wenn sie fordert: "gib mir ich bin mein Kind/ das ich niemals// niemals zerschlagen werde."

 
Ellen Widmaier: dort wo wir lagen. Gedichte. Edition Haus Nottbeck. Oelde 2011. € 5,00.