Am Erker 62

Walter Thümler: 'Ist jemand da'

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Leipziger Literaturverlag
Walter Thümler

 
Rezensionen
Walter Thümler: Ist jemand da
 

Schreiben, hinken, springen
Rolf Birkholz

Der fragezeichenlose Titel des neuen Gedichtbandes von Walter Thümler zeigt genau die Haltung an, welche die Sammlung Ist jemand da durchzieht: eine mit dem Zweifel vertraute Zuversicht, ein mit leisem Rufen verbundenes Sehen, ein tastendes Wahrnehmen.
Zehn Jahre sind seit dem vorigen, dritten Band Balken. Striche. Brösel vergangen. Seine Art der Intensivierung durch äußerste Verknappung - auf der unkartierten Grenzlinie zwischen Schreiben und Schweigen balancierend - hat Thümler beibehalten, auch wenn die Gedichte nun länger sind, einzelne gar weiträumig über ein, zwei Seiten gestreut oder, wie bei zwei Stanzen-Zyklen, blockartig gefügt werden.
Der Dichter lässt zudem mehr "Welt" zu als früher. Fernsehbilder, Radiostimmen, Zeitungsnachrichten, Beobachtungen im Wohnort und unterwegs. Obwohl beim Gang über Wiesen und Felder auch einmal das "Grün Tränen des Glücks// in die Augen" treiben kann, erscheint Thümlers Welt als eher unwirtlicher, von Menschenhand leichtfertig gefährdeter Ort. "Wüssten wir Wo wir jetzt/ sind Wir legten uns schlafen und/ wer wagte wieder aufzustehen" ("Röderhofer Stanzen").
Gerade weil er weiß, dass "Schweigen schwieriger ist / als Schreiben", macht es sich der 1955 in Oldenburg geborene, bei Magdeburg lebende Autor, einer der im philosophisch-theologischen Sinne sprachkritischsten Lyriker unserer Tage, mit dem Dichten nicht leicht. Doch es "wachsen der Gewissheits-Hydra ständig/ die Köpfe nach// soll sie unser Trost sein Weil wir/ unsere Metapher nicht finden?"
Dem poetischen Subjekt ist auch bekannt, "dass es vielleicht sinnlos ist", das Dasein im Kommunikationsgewirr, in der Sprachnot dieser Zeit lyrisch auf den Begriff bringen zu wollen. Vielleicht. "Aber er wird/ sich selbst nicht sehen", heißt es über einen momentan glücklichen Menschen. "Darum das / Gedicht Versuche ich mit dem/ linken Bein zu hinken".
Schreiben ist für Walter Thümler ("Sprache sprach / uns leer", "das Wort sucht/ seinen Anfang") strenges Wort-Exerzitium, nicht zuletzt auch ein Sprungtraining: "wenn du nicht springst (Springen/ in den Glauben wie Kierkegaard/ es versteht) Überdrehst du dich wie die / Schraube in der Mutter". Exerzitien im Dienst des Lesers: "überall ist es/ schön Wo du sagst 'ich will's versuchen'; und erzählst/ was du siehst". Hört jemand zu.

 

Walter Thümler: Ist jemand da. Gedichte. 134 Seiten. Leipziger Literaturverlag. Leipzig 2011. € 19,95.