Am Erker 87

Petra Hartlieb: Freunderlwirtschaft

Ross Thomas: Die Narren sind auf unserer Seite

Sara Paretsky: Entsorgt

Jake Lamar: Das schwarze Chamäleon

 
Mord & Totschlag 87
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Er lerne Deutsch, erzählt der finnische Mathematiker Matti immer wieder gern, um Gödel, Escher, Bach im Original lesen zu können. Wie sympathisch, könnte man meinen, wüsste man nicht, dass der Bestseller des amerikanischen Wissenschaftlers Douglas Hofstadter auf Englisch verfasst wurde und es sich bei der deutschen Ausgabe um eine Übersetzung handelt. Alma Oberkofler allerdings, Hauptkommissarin bei der Wiener Kripo, ist arglos und geht dem charmanten Serienkiller auf den Leim. Selbst als sich in ihrem Bekanntenkreis die mysteriösen Mordfälle häufen, schöpft sie keinen Verdacht. Doch dann liegt plötzlich ein Fuß in der Badewanne ihrer Zweizimmerwohnung …
Nun ist Freunderlwirtschaft, ein Kriminalroman der in Wien lebenden Autorin Petra Hartlieb, kein blutrünstiger Psychothriller, ein Genre, das sich leider anhaltender Beliebtheit erfreut. Der oben skizzierte Handlungsverlauf wurde vom Rezensenten frei erfunden. Bis auf Matti, den Mathematiker. Der nimmt tatsächlich aus dem bereits erwähnten zweifelhaften Motiv an einem Deutschkurs auf Sylt teil, wo er Alma kennenlernt. Der Verdacht, dass es sich hier um einen vom Lektorat übersehenen Flüchtigkeitsfehler der Verfasserin handelt, liegt nahe. Damit befände sie sich in guter Gesellschaft. Da wird in einem ansonsten respektablen Kriminalroman ein CD-Spieler aus einem Auto entwendet, und zwar in den 1970er Jahren. In einem anderen Thriller verzehrt ein tiefgläubiger Muslim begeistert eine Pizza mit Schinken. Und der Büchner-Preisträger Martin Mosebach ließ, was erst einem peniblen Rezensenten auffiel, lange vor dessen Erfindung eine Figur mit einem Smartphone hantieren. Betrachten wir das Versehen der Autorin also als lässliche Sünde. Immerhin ist uns ein weiterer Serienmörder erspart geblieben. Stattdessen serviert Petra Hartlieb österreichische Skandalkost vom Feinsten. Das ist recht unterhaltsam, bestätigt die Lektüre doch gängige und häufig auch nicht ganz falsche Vorstellungen von politischer Korruption. Die offensichtlichen Parallelen zu Ereignissen der jüngsten Zeit sprechen für sich. Und weil sich an den geschilderten Umständen in absehbarer Zeit wohl wenig ändern wird, dürfte ein weiterer Fall für Alma Oberkofler, die "Hauptkommissarin mit dem Hang zur Gerechtigkeit" (Klappentext), nicht lange auf sich warten lassen.
Auch Ross Thomas ging der Stoff nicht aus. Allerdings war die Weltsicht des amerikanischen Schriftstellers (1926-1995) noch um einiges zynischer. Und das aus Erfahrung. Die Ideale seiner Helden sind, falls sie mal welche hatten, vor langer Zeit verloren gegangen. Nun erledigen sie illusionslos, was man ihnen aufträgt, aber ohne die eigenen Interessen zu vernachlässigen. Zum Beispiel die Korrumpierung einer ganzen Stadt wie in Thomas' großem Roman Die Narren sind auf unserer Seite, der jetzt erstmals in vollständiger deutscher Übersetzung vorliegt. Die (lange vergriffene) alte Ullstein-Ausgabe war um mehr als die Hälfte gekürzt – selbst angesichts der bis in die 1980er Jahre üblichen Verstümmelungspraxis deutscher Taschenbuchverlage ein beispielloses Gemetzel. Was übrigens ihrem Rezensenten, als er das, was von dem Buch übrig geblieben war, vor Jahrzehnten in einem der berüchtigten Ullstein-Dreierbände las, sträflicherweise gar nicht auffiel. Nun also kann man den satirischen Realismus dieses außergewöhnlichen Autors und brillanten Stilisten in voller Länge bewundern. Und genießen. Schließlich lassen wir uns immer wieder gerne erzählen, dass wir in einer großen, aber keiner guten Gesellschaft leben.
Von der weiß V. I. Warshawski, die unverwüstliche Privatdetektivin aus Chicago, einiges zu berichten. Was sie jedoch nicht davon abhält, weiterhin an die Möglichkeit einer besseren Welt zu glauben. Schließlich erlebt sie selbst täglich in ihrer privaten Umgebung, dass man sich durchaus auf seine Mitmenschen verlassen kann. Das hat Sara Paretsky, die Warshawski seit 1982 in mehr als zwanzig Fällen ermitteln ließ, so gewollt. Denn auf diese Weise entsteht ein Gegenmodell zu einer von Korruption und Gier geprägten Gesellschaft, in der Verbrechen endemisch sind. Dass staatliche "Ordnungshüter" mit den Schurken unter einer Decke stecken, versteht sich. Auch in ihrem jüngsten Fall, just unter dem Titel Entsorgt in der formidablen deutschen Fassung von Else Laudan erschienen, ist das nicht anders. Die Schläge, die Warshawski einstecken muss, als sie mitten in der Corona-Pandemie einem Pflegeskandal und zwielichtigen Immobiliengeschäften auf die Spur kommt, stammen auch von Polizeiknüppeln. Und wir sind empört und leiden mit. Denn Sara Paretskys Detektivromane sind Literatur mit einem hohen Identifikationsfaktor, in denen handfeste Sozialkritik und beste Unterhaltung in perfekter Symbiose zusammenkommen.
Mangelnden Sinn für die Realität wird man auch Jake Lamars Krimigroteske Das schwarze Chamäleon nicht vorwerfen können. Schließlich hat Reginald Brogus, Professor an einer exklusiven Privatuni, der sich vom radikalen Black-Panther-Propagandisten zum Vertreter einer zutiefst konservativen Weltanschauung wandelte, sein Vorbild in dem militanten schwarzen Aktivisten Eldridge Cleaver (1935-1998), dessen Mutation zum evangelikalen Christen einst für Schlagzeilen sorgte. Als Brogus in seinem Büro die Leiche einer Studentin entdeckt, wendet er sich in Panik an seinen Kollegen Clay Robinette, einst ein erfindungsfreudiger Reporter und nun Dozent für "Creative Non-Fiction", der ihm zur Flucht verhilft. Und weil Robinette die ganze Geschichte erzählt, wissen wir auch von seiner Affäre mit der Ermordeten, die ihn schwer verdächtig machen würde, sollte sie bekannt werden. Jake Lamar, ein ausgesprochen vielseitiger Autor, dessen Jazz-Age-Noir Viper's Dream gerade mit dem Golden Dagger für historische Kriminalromane ausgezeichnet wurde, widmet sich der abgedrehten Geschichte mit satirischer Energie und einem kühlen Blick auf die US-amerikanische Wirklichkeit. Das Ergebnis ist ebenso vergnüglich wie instruktiv.

 

Petra Hartlieb: Freunderlwirtschaft. Kriminalroman. 414 Seiten. DuMont. Köln 2024. € 18,00.

Ross Thomas: Die Narren sind auf unserer Seite. Thriller. Aus dem amerikanischen Englisch von Gisbert und Julian Haefs. 580 Seiten. Alexander. Berlin 2024. € 20,00.

Sara Paretsky: Entsorgt. Kriminalroman. Deutsch von Else Laudan. 472 Seiten. Argument. Hamburg 2024. € 25,00.

Jake Lamar: Das schwarze Chamäleon. Kriminalroman. Aus dem Englischen von Robert Brack. 326 Seiten. Nautilus. Hamburg 2024. € 22,00.