Am Erker 78

Gary Disher: Hitze

Lisa McInerney: Blutwunder

Hannelore Cayre: Die Alte

 
Mord & Totschlag 78
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Wyatt kann Dilettanten nicht ausstehen. Eine Zusammenarbeit mit ihnen kommt erst recht nicht in Frage. Deshalb lehnt er es auch strikt ab, in das Geldbe­schaffungs­projekt der Pepper-Brüder einzusteigen, selbst wenn es noch so attraktiv klingt. Wer die simpelsten Sicherheits­vorkehrungen beim geschäftsmäßigen Gesetzesverstoß nicht einhält, sitzt schneller hinter Gittern, als er denken kann. Oder er ist tot.
Doch auch der Alternativjob, der Wyatt angeboten wird, hat es in sich. Was oberflächlich wie ein simpler Einbruch scheint, entpuppt sich als komplexes Intrigenspiel, in dem der Gegenstand der Begierde, ein während der Nazizeit unter Druck verkauftes wertvolles Gemälde, als wirkungs­mächtiger McGuffin fungiert. Wyatt hat alle Mühe, seine Haut zu retten, zumal der überlebende Pepper-Bruder – natürlich ist alles fast so gekommen, wie Wyatt geahnt hat - ihm ans Leder will.
Garry Dishers achter Roman um den Profiverbrecher ohne Vornamen überzeugt durch einen geschickt angelegten Plot und eine bestechend nüchterne Erzählweise. Angesichts all der von Gier getriebenen Stümper, mit denen Wyatt es zu tun bekommt, entwickelt sich der coole Kriminal­gewerbler beinahe zum Sympathie­träger. Und es ist nicht zuletzt diese moralische Ambivalenz, der sich der Reiz dieser Romanreihe verdankt.
Ryan Cusack aus dem irischen Cork, zwanzig Jahre alt und knasterfahren, ist alles andere als cool. Um seine Menschen­kenntnis ist es ebenfalls nicht besonders gut bestellt. Das sind keine idealen Voraussetzungen, um im Drogenbusiness zu reüssieren, selbst wenn man als Halbitaliener den Kontaktmann zur neapolita­nischen Camorra geben kann. Rasch gerät der entscheidungs­schwache junge Mann zwischen die Fronten im lokalen Verteilungskampf. Und dass er, nachdem seine Freundin sich von ihm getrennt hat, mit üblicher Ahnungs­losigkeit etwas mit der Geliebten seines Bosses anfängt, macht die Sache auch nicht besser. Lisa McInerneys zweiter Roman Blutwunder variiert die Handlungsmuster des klassischen Gangsterepos auf bodenständige Weise. Familienkonflikte und Liebeshändel lassen die kriminellen Aspekte des Plots in den Hintergrund treten. McInerney hat ein großartiges Gespür für die verwirrte Psyche ihres Protagonisten und versteht sich auf die schwere Kunst des authentisch klingenden Dialogs. So geht literarischer Realismus heute.
Vom staatlichen Drogenverbot profitieren möchte auch Patience Portefeux, die als gerichtlich bestellte Übersetzerin aus dem Arabischen kaum über die Runden kommt, zumal die Heimunter­bringung ihrer pflegebedürftigen Mutter Unsummen verschlingt. Da spielt ihr der Zufall eine Riesenladung Haschisch von bester Qualität in die Hände. Und weil sie regelmäßig die abgehörten Telefongespräche zwischen Dealern übersetzt, weiß sie, wie sie diesen Schatz in bares Geld verwandeln kann. Hannelores Cayre, die hauptberuflich als Strafverteidigerin arbeitet, heißt die sachkundige Autorin dieses bitterbösen und gleichzeitig sehr komischen Märchens aus der französischen Gegenwart. Dass sie ihrer Heldin, den Regeln der Gattung entsprechend, ein gutes Ende gönnt, mindert das sozialkritische Potential dieses furiosen Romans kein bisschen.

 

Garry Disher: Hitze. Ein Wyatt-Roman. Übersetzt von Ango Laina und Angelika Müller. 277 Seiten. Pulpmaster. Berlin 2019. € 14,80.

Lisa McInerney: Blutwunder. Roman. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. 333 Seiten. Liebeskind. München 2019. € 22,00.

Hannelore Cayre: Die Alte. Roman. Aus dem Französischen von Iris Konopik. 203 Seiten. Ariadne. Hamburg 2019. € 18,00.