Wie alle Populärgenres lebt auch der Kriminalroman 
                von Serienhelden. Jenen mythischen Figuren, die schon bald ein 
                Eigenleben jenseits der Buchseiten zu führen beginnen, auf 
                das auch ihre Schöpfer nur noch geringen Einfluß haben. 
                Deshalb überstehen solche Helden selbst das Ableben ihrer 
                Erfinder oft unbeschadet und können darauf warten, daß 
                sich andere dienstbare Geister ihrer annehmen. So durfte sich 
                Nero Wolfe auch nach Rex Stouts Tod weiter in dem berühmten 
                New Yorker Backsteinhaus um seine Orchideen kümmern, denn 
                der Autor Robert Goldsborough verschaffte ihm einfach weitere 
                Aufträge. Und wer zählt die Schriftsteller, die sich 
                in der Nachfolge Conan Doyles an Sherlock Holmes versucht haben? 
                Einen Serienhelden zu schaffen ist also für einen Autor reizvoll 
                und riskant zugleich, muß er doch damit rechnen, daß 
                sein eigener Name vor dem seiner Figur verblaßt. Es sei 
                denn, sein Name ist Bernhard Schlink. 
                Seit seinem Welterfolg Der Vorleser ist man höchstens 
                geneigt zu vergessen, daß Schlinks literarische Karriere 
                mit einem Kriminalroman, damals noch zusammen mit Walter Popp 
                verfaßt, begann. Gerhard Selb hieß der Privatdetektiv 
                im Rentenalter, den sein eigenes moralisches Versagen als junger 
                Staatsanwalt zur Nazizeit nicht losließ. Auch in seinem 
                dritten Auftritt, Selbs Mord, wird der mittlerweile Siebzigjährige 
                mit der Vergangenheit konfrontiert. Angeblich sucht sein Auftraggeber, 
                ein Privatbankier, die Nachkommen eines vor langer Zeit verschollenen 
                stillen Teilhabers. Doch in Wirklichkeit geht es, wie sollte es 
                auch anders sein, um ein ausgeklügeltes Komplott, dem Selb 
                nur mit Mühe und nicht ohne erhebliche Blessuren entkommt. 
                Die deutsche Geschichte des vergangenen Jahrhunderts fordert noch 
                immer ihren Tribut, und gerade jemand wie Selb kann hier nicht 
                als souveräner Ermittler auftreten. Dies wird drastisch verbildlicht, 
                als er Skinheads in die Finger gerät, die ihn erst zum Hitlergruß 
                zwingen und anschließend ins Wasser werfen. Doch es bleibt 
                nicht bei diesem einmaligen unfreiwilligen Bad, denn die Nazigeste 
                ist von einigen, nicht weniger rabiaten, "Antifaschisten" 
                beobachtet worden ...  
                Zugegeben, solche symbolträchtigen Szenen wirken immer ein 
                bißchen konstruiert, stören aber in diesem weitgehend 
                intelligent angelegten Detektivroman nur wenig. Außerdem 
                läßt Schlink seinen Helden auf eine solch anrührende, 
                Lakonie und Melancholie geschickt vermischende Art und Weise erzählen, 
                daß ihm die Sympathie seiner Leser gewiß sein kann. 
                Überhaupt sind es ja die leicht mürrisch und verdrossen 
                wirkenden Ermittler, die man gerne bei ihrer Arbeit begleitet. 
                Kommissar Berndorf ist auch so einer. Seinen dritten Fall löst 
                er als Pensionär. Allerdings hat er seine Urkunde noch nicht, 
                denn auf dem Weg zur feierlichen Verabschiedung erreichte ihn 
                die Nachricht vom Selbstmord eines ehemaligen Kollegen. Dieser 
                hatte 1972 bei einem von Berndorf geleiteten Einsatz gegen angebliche 
                Terroristen einen Unschuldigen erschossen,. Aber woher kam der 
                präzise Hinweis auf den angeblichen Terroristenunterschlupf? 
                Und wer konnte ein Interesse an diesem Einsatz haben? Berndorf 
                nimmt eine Spur auf, die zurückführt in die Redaktionsräume 
                einer kleinen linken Zeitung im Jahre 1972. Die damals voller 
                Idealismus gegen die Verhältnisse anschrieben, sind heute 
                Lehrerin, Journalistin oder Immobilienmakler. Und einer, immerhin 
                Universitätsprofessor, ist sogar ins rechte Lager gewechselt. 
                Eben so wie im wirklichen Leben.  
                Ulrich Ritzel setzt in seinem dritten 
                Berndorf-Krimi aufs Wiedererkennen. Manchmal erzählt er sogar 
                Dinge, die sich tatsächlich auf just diese Art und Weise 
                zugetragen haben. Und das andere erfindet er so, daß man 
                es ihm abnimmt. Beinahe zumindest, denn wir haben es ja immer 
                noch mit einem Krimi zu tun. Und der lebt auch von gewissen Klischees, 
                auf die ein Autor, dem an vielen Lesern liegt, nicht verzichten 
                sollte. Es kommt eben darauf an, wie man mit diesen Klischees 
                umgeht, und hier ist Ritzel in seiner erzählerischen Souveränität 
                schon großartig. Denn es geht am Ende gar nicht um die große 
                politische Verschwörung - die gibt es natürlich auch 
                - sondern um so schäbige, wie gewöhnliche menschliche 
                Eigenschaften wie Mißgunst und Rachsucht.  
                Diese spielen auch die Hauptrolle, wenn der Gendarmerieinspektor 
                Simon Polt dem Täter auf der Spur ist. Der Provinzpolizist 
                aus dem niederösterreichischen Weinviertel hat ein Gespür 
                für die Abgründe der menschlichen Seele wie weiland 
                Kommissar Maigret. Wenn also die Pfarrersköchin an einer 
                mit Tollkirsche versetzten Flasche edlen Rotweins stirbt, bleibt 
                ihm nichts anderes übrig, als mit möglichst vielen Leuten 
                zu reden, bis am Ende der Täter sich so in die Ecke getrieben 
                fühlt, daß er ein Geständnis ablegt. Das ist kein 
                besonders originelles Handlungsmuster, aber darauf kommt es auch 
                nicht an. Was zählt, ist die Atmosphäre, und auf die 
                versteht sich Alfred Komarek. Ob verschrobene 
                Weinbauern, verwirrte Trinker oder dem Suff ergebene Dorfschullehrer, 
                hier findet man wunderbare Porträts von Provinzcharakteren. 
                Einzig der Gourmet und Weinkritiker Hafner wirkt eher wie eine 
                Karikatur, doch dieses Zugeständnis ans Klischee wird durch 
                die großartige Figur des Gendarmen Polt voll aufgewogen. 
                 
                Leider läßt sich solches von Leonie Simon, laut Verlagstext 
                "in Deutschland die einzige Gerichtsmedizinerin als Romanheldin" 
                nicht sagen. Man wünscht sich sogar, daß es bei diesem 
                Einzelfall bliebe. Schließlich ist schon das US-amerikanische 
                Vorbild, Patricia Cornwells Dr. Scarpetta, eine mit jedem Buch 
                schwerer erträgliche, selbstherrliche Nervensäge. Leonie 
                Simon also praktiziert die Kunst der Leichenschau in Hamburg-Eppendorf 
                und kommt, wie nicht anders zu erwarten, einem Serienmörder 
                auf die Spur. Da sich ihre Befugnisse in Grenzen halten, hat sie 
                bei der Jagd nach dem Unhold jedoch erheblich mehr Probleme als 
                ihre amerikanische Kollegin. Nichtsdestotrotz verstrickt sich 
                die Heldin in den Fall, berührt dieser doch ab einem gewissen 
                Punkt ihre eigene Vergangenheit. Am Ende ist derjenige der Mörder, 
                den man schon die ganze Zeit dafür gehalten hat. Man sieht, 
                ich habe das Buch bis zum bitteren Ende gelesen, habe den drögen 
                bis unbeholfenen Stil der "TV-Producerin" Renate 
                Kampmann, deren erster Roman hier vorliegt, über mehr 
                als 500 Seiten ertragen und frage mich noch immer, was zum Teufel 
                den Haffmans Verlag, der einst eine veritable Krimireihe unterhielt, 
                bewogen haben mag, einen solchen Mumpitz auf den Markt zu bringen. 
                Schätzt man in Zürich den literarischen Anspruch von 
                Krimileserinnen so niedrig ein, daß man ihnen ein Buch anbietet, 
                dessen Qualität in besseren Momenten die einer Mitschrift 
                eines ARD-Sonntagskrimis erreicht? Ich bin ratlos.  
             |