Mord & Totschlag 42
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Wie alle Populärgenres lebt auch der Kriminalroman von Serienhelden. Jenen mythischen Figuren, die schon bald ein Eigenleben jenseits der Buchseiten zu führen beginnen, auf das auch ihre Schöpfer nur noch geringen Einfluß haben. Deshalb überstehen solche Helden selbst das Ableben ihrer Erfinder oft unbeschadet und können darauf warten, daß sich andere dienstbare Geister ihrer annehmen. So durfte sich Nero Wolfe auch nach Rex Stouts Tod weiter in dem berühmten New Yorker Backsteinhaus um seine Orchideen kümmern, denn der Autor Robert Goldsborough verschaffte ihm einfach weitere Aufträge. Und wer zählt die Schriftsteller, die sich in der Nachfolge Conan Doyles an Sherlock Holmes versucht haben? Einen Serienhelden zu schaffen ist also für einen Autor reizvoll und riskant zugleich, muß er doch damit rechnen, daß sein eigener Name vor dem seiner Figur verblaßt. Es sei denn, sein Name ist Bernhard Schlink. Seit seinem Welterfolg Der Vorleser ist man höchstens geneigt zu vergessen, daß Schlinks literarische Karriere mit einem Kriminalroman, damals noch zusammen mit Walter Popp verfaßt, begann. Gerhard Selb hieß der Privatdetektiv im Rentenalter, den sein eigenes moralisches Versagen als junger Staatsanwalt zur Nazizeit nicht losließ. Auch in seinem dritten Auftritt, Selbs Mord, wird der mittlerweile Siebzigjährige mit der Vergangenheit konfrontiert. Angeblich sucht sein Auftraggeber, ein Privatbankier, die Nachkommen eines vor langer Zeit verschollenen stillen Teilhabers. Doch in Wirklichkeit geht es, wie sollte es auch anders sein, um ein ausgeklügeltes Komplott, dem Selb nur mit Mühe und nicht ohne erhebliche Blessuren entkommt. Die deutsche Geschichte des vergangenen Jahrhunderts fordert noch immer ihren Tribut, und gerade jemand wie Selb kann hier nicht als souveräner Ermittler auftreten. Dies wird drastisch verbildlicht, als er Skinheads in die Finger gerät, die ihn erst zum Hitlergruß zwingen und anschließend ins Wasser werfen. Doch es bleibt nicht bei diesem einmaligen unfreiwilligen Bad, denn die Nazigeste ist von einigen, nicht weniger rabiaten, "Antifaschisten" beobachtet worden ...
Zugegeben, solche symbolträchtigen Szenen wirken immer ein bißchen konstruiert, stören aber in diesem weitgehend intelligent angelegten Detektivroman nur wenig. Außerdem läßt Schlink seinen Helden auf eine solch anrührende, Lakonie und Melancholie geschickt vermischende Art und Weise erzählen, daß ihm die Sympathie seiner Leser gewiß sein kann. Überhaupt sind es ja die leicht mürrisch und verdrossen wirkenden Ermittler, die man gerne bei ihrer Arbeit begleitet. Kommissar Berndorf ist auch so einer. Seinen dritten Fall löst er als Pensionär. Allerdings hat er seine Urkunde noch nicht, denn auf dem Weg zur feierlichen Verabschiedung erreichte ihn die Nachricht vom Selbstmord eines ehemaligen Kollegen. Dieser hatte 1972 bei einem von Berndorf geleiteten Einsatz gegen angebliche Terroristen einen Unschuldigen erschossen,. Aber woher kam der präzise Hinweis auf den angeblichen Terroristenunterschlupf? Und wer konnte ein Interesse an diesem Einsatz haben? Berndorf nimmt eine Spur auf, die zurückführt in die Redaktionsräume einer kleinen linken Zeitung im Jahre 1972. Die damals voller Idealismus gegen die Verhältnisse anschrieben, sind heute Lehrerin, Journalistin oder Immobilienmakler. Und einer, immerhin Universitätsprofessor, ist sogar ins rechte Lager gewechselt. Eben so wie im wirklichen Leben.
Ulrich Ritzel setzt in seinem dritten Berndorf-Krimi aufs Wiedererkennen. Manchmal erzählt er sogar Dinge, die sich tatsächlich auf just diese Art und Weise zugetragen haben. Und das andere erfindet er so, daß man es ihm abnimmt. Beinahe zumindest, denn wir haben es ja immer noch mit einem Krimi zu tun. Und der lebt auch von gewissen Klischees, auf die ein Autor, dem an vielen Lesern liegt, nicht verzichten sollte. Es kommt eben darauf an, wie man mit diesen Klischees umgeht, und hier ist Ritzel in seiner erzählerischen Souveränität schon großartig. Denn es geht am Ende gar nicht um die große politische Verschwörung - die gibt es natürlich auch - sondern um so schäbige, wie gewöhnliche menschliche Eigenschaften wie Mißgunst und Rachsucht.
Diese spielen auch die Hauptrolle, wenn der Gendarmerieinspektor Simon Polt dem Täter auf der Spur ist. Der Provinzpolizist aus dem niederösterreichischen Weinviertel hat ein Gespür für die Abgründe der menschlichen Seele wie weiland Kommissar Maigret. Wenn also die Pfarrersköchin an einer mit Tollkirsche versetzten Flasche edlen Rotweins stirbt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als mit möglichst vielen Leuten zu reden, bis am Ende der Täter sich so in die Ecke getrieben fühlt, daß er ein Geständnis ablegt. Das ist kein besonders originelles Handlungsmuster, aber darauf kommt es auch nicht an. Was zählt, ist die Atmosphäre, und auf die versteht sich Alfred Komarek. Ob verschrobene Weinbauern, verwirrte Trinker oder dem Suff ergebene Dorfschullehrer, hier findet man wunderbare Porträts von Provinzcharakteren. Einzig der Gourmet und Weinkritiker Hafner wirkt eher wie eine Karikatur, doch dieses Zugeständnis ans Klischee wird durch die großartige Figur des Gendarmen Polt voll aufgewogen.
Leider läßt sich solches von Leonie Simon, laut Verlagstext "in Deutschland die einzige Gerichtsmedizinerin als Romanheldin" nicht sagen. Man wünscht sich sogar, daß es bei diesem Einzelfall bliebe. Schließlich ist schon das US-amerikanische Vorbild, Patricia Cornwells Dr. Scarpetta, eine mit jedem Buch schwerer erträgliche, selbstherrliche Nervensäge. Leonie Simon also praktiziert die Kunst der Leichenschau in Hamburg-Eppendorf und kommt, wie nicht anders zu erwarten, einem Serienmörder auf die Spur. Da sich ihre Befugnisse in Grenzen halten, hat sie bei der Jagd nach dem Unhold jedoch erheblich mehr Probleme als ihre amerikanische Kollegin. Nichtsdestotrotz verstrickt sich die Heldin in den Fall, berührt dieser doch ab einem gewissen Punkt ihre eigene Vergangenheit. Am Ende ist derjenige der Mörder, den man schon die ganze Zeit dafür gehalten hat. Man sieht, ich habe das Buch bis zum bitteren Ende gelesen, habe den drögen bis unbeholfenen Stil der "TV-Producerin" Renate Kampmann, deren erster Roman hier vorliegt, über mehr als 500 Seiten ertragen und frage mich noch immer, was zum Teufel den Haffmans Verlag, der einst eine veritable Krimireihe unterhielt, bewogen haben mag, einen solchen Mumpitz auf den Markt zu bringen. Schätzt man in Zürich den literarischen Anspruch von Krimileserinnen so niedrig ein, daß man ihnen ein Buch anbietet, dessen Qualität in besseren Momenten die einer Mitschrift eines ARD-Sonntagskrimis erreicht? Ich bin ratlos.

 

Renate Kampmann: Die Macht der Bilder. Roman. 504 Seiten. Haffmans. Zürich 2001. € 19,90.

Alfred Komarek: Himmel, Polt und Hölle. Kriminalroman. 204 Seiten. Haymon. Salzburg 2001. € 17,90.

Ulrich Ritzel: Die schwarzen Ränder der Glut. Roman. 411 Seiten. Libelle. Lengwil 2001. € 22,90.

Bernhard Schlink: Selbs Mord. Roman. 266 Seiten. Diogenes. Zürich 2001. € 19,90.