Literaturzeitschriften sind Objekte von Irren
und Idealisten: Es gibt keine ernst zu nehmende, die Gewinn einspielt.
Natürlich musste auch der Aufbau-Verlag, wie sollte es anders
sein, bei der gutenalten ndl draufzahlen
und war einigermaßen froh, sie in andere Hände abgeben
zu dürfen. Jetzt könnte man charmanterweise sagen, die
Schwartzkopff Buchwerke hätten sich mit der Übernahme einfach verkalkuliert. Aber diese Zeitschrift nach nur
einem Jahr (und einem eher verunglückten Umbau ins Feuilletonistische
hinein) fallen zu lassen, spricht nicht von Verantwortung und
Voraussicht bei Schwartzkopff und wirkt auf den gesamten Verlag
zurück. Dem Herausgeber Jürgen Engler bot man eine "Fortsetzung"
als jährliche Anthologie an. Jetzt ist dieses Ungetüm
von 375 Seiten und 112 Beiträgen da. Wer soll es bewältigen?
Auf dem Schutzumschlag des ndl-Hardcovers stehen die Namen der
mitwirkenden Kondolierenden. Die Textauswahl ist mäßig
bis sehr gut, heraus ragen Barbara Maria Kloos, Georg Klein mit
einer Story, die eigentlich einen Roman hätte abgeben sollen,
Martin Jankowski, Susanne Krahe und Thomas Lang. Es gibt nur wenige,
umso verblüffendere Ausrutscher, interessanterweise in den
beiden Randlagen der Jüngsten (Isabelle Lehn) und Ältesten
(Peter Gosse).
Genug der eingestellten Zeitschriften. Neue Magazine sind manchmal
so hoffnungsvoll schick gemacht, dass man vermutet, die jungen
Herausgeber hätten fürs erste Heft schon eine Erbschaft
aufgebraucht und es werde nie eine Nummer zwei erscheinen. Die
sprachgebunden ist vom Namen her zwar
grauenvoll Germanistik-lastig, überrascht dann aber mit einem
so präzisen wie leichtfüßigen Layout und überwiegend
starker Lyrik sowie einer sauberen, nur halt recht essayhaften
Prosa. Ein erstklassiges Naturbild von Ron Winkler ("die
Katzen unverändert / per Sie mit ihrer Umgebung") eröffnet
die sprachgebunden, die einen geradezu frühreifen Eindruck
hinterlässt.
Oft sieht man gewisse Autoren auf einen Schlag in vielen Literaturzeitschriften
vertreten, so als hätten sie ihre halbe Festplatte ausgedruckt
und verschickt und dann einen Schrotschuss-Treffer gelandet. Stefanie
Golisch z.B. scheint momentan in jedem zweiten Magazin zu stehen.
Auch im letzten Dreischneuß -
derjenigen Literaturzeitschrift, die zusammen mit Am Erker zu
den chronisch titelerklärungsbedürftigen dieses Landes
gehört. (Nebenbei: Die Erker-Redaktion plante schon mal,
einfach einen Postschlitz in einer abgelegenen oberschwäbischen
Dorfstraße zu mieten, die Am Erker' heißt, damit
man als Briefkastenfirma zumindest auf die Anschrift verweisen
könnte. Dazu passt dann ein Mafia-Konto auf den Cayman Islands.)
Was ist ein Dreischneuß? Eine Verzierung im gotischen Mauerwerk,
ein Schnörkel, eine Mauerblume. Thema dieses Heftes Nr. 17
ist der Schlaf. Typischerweise fallen die meisten Texte und Gedichte
statisch aus und erzählen keine Geschichten, das liegt nahe.
Zu nennen sind besonders Kerstin Kempker und Marion Hinz, oder
Hannah Rau mit dem schönen Wort "Bleierness". Allerdings
kann das Bildersuchen auch danebengehen, wie etwa bei Myriam Keil,
die in einem kleinen Halbsatz gleich zwei schiefe Bilder unterbringt:
"... mein Mund ist gespickt mit Eiswürfeln."
Durcheinandergewürfelt geht es weiter im Dichtungsring
Nr. 33. Geschlagene sechzehn Namen umfasst die Redaktionsgruppe
- da muss es zur inhaltlichen und stilistischen Beliebigkeit kommen,
noch dazu bei einem Schwurbelthema wie "Ende der Wirklichkeit".
Und Zeitschriften sollten sich Editorials per Statut verkneifen.
"Thematisch breit gestreut waren die Einsendungen, die uns
erreichten, und schwer die Auswahl." Ersteres ist banal und
Letzteres unglaubwürdig, wenn die Hälfte der Beiträge
aus der Redaktionsgruppe selbst stammt. "Was für einen
Autoren, eine Autorin das Ende einer Wirklichkeit bedeutet, können
wir als Herausgeber nicht wirklich beurteilen. Da hilft nur Subjektivität,
gepaart mit dem Korrektiv des Redaktionsgruppe." Dieses Korrektiv
hat offenbar eher ans Paaren gedacht als an die Redaktionsarbeit.
"Es hat uns gefallen, das Ende der Wirklichkeit auch gestalterisch
zu betonen durch den Mangel an Farbe und vielleicht ist auch eine
leere Seite ein Ende der Wirklichkeit, weil die Worte fehlen."
Das könnte sein Gutes haben - dadurch spart man Druckkosten.
Übrigens ist der Dichtungsring die dritte Zeitschrift dieser
Schau, die aus Bonn kommt. Bonn? Geht da was?
Edit aus Leipzig schwächelt offenbar.
Die Prosatexte sind Ausschnitte, wie Teaser, so als sollten die
Autoren damit nur mehr auf Werbetournee gehen. Die Texte kommen
kaum in Fahrt und bleiben auch stilistisch ziemlich risikoscheu.
Dazu gibt's langweilige Konzeptkunst, die von einem Kunsthistoriker
satirereif aufgebläht wird. Zum Schluss versucht sich jemand
an Oswald Egger, mit einem ähnlichen Resultat wie Eggers
Lyrik selbst: Man würde es ja gerne verstehen, allerdings
müsste man dazu dieselbe Droge wie der Autor einwerfen - nur welche ist das bloß?
Zum Schluss flattert der Härter
rein und bietet sich an für eine Blitzbesprechung: Der Härter
sieht aus der Erker früher. Wie ganz-ganz früher. Social-Beat-Rotzigkeit,
typografisches Temperament, ausgeschnibbelte Bilder und Copyshop-Layout.
Warten wir ein paar Jahre.
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small talk im holozän. neue deutsche
literatur. Hrsg. von Jürgen Engler, Berlin, Schwartzkopff
Buchwerke, Herbst 2005, € 19,90.
sprachgebunden Nr. 1, Bonn/Berlin,
Sommer 2005, € 7,-
Der Dreischneuß Nr. 17, Lübeck,
Sommer 2005, € 3,20
Dichtungsring Nr. 33, Bonn, Herbst
2005, € 6,90 (nur Abonnement)
Edit Nr. 39, Leipzig, Herbst 2005,
€ 5,-
Härter Nr. 11, Leipzig, 2005,
€ 5,-
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