Am Erker 71

 

 
Texte
Am Erker 71, Münster, Juni 2016
 

Manuela Bibrach
Schön. Weich.

Schöne Tage. Schöne Sommertage. Schöne Wintertage. Von den Herbsttagen ganz zu schweigen. Nur Frühlingstage kann Heinz nicht leiden. An Frühlingstagen flattert alles: die Vögel in der Luft, die Röcke der Frauen um volle Schenkel, die Blusen, die Busen, Heinz' Herz. Die Eile der Tiere, sich paaren zu wollen, das Schieben und Drängen der Knospen und Triebe machen Heinz konfus. An Frühlingstagen bleibt Heinz zu Hause und schaltet den Fernseher an. Auf RTL zeigen sie schon ab Februar flauschige Hasen und bunte Eier. Werbepausenfüllsel. Osterstimmungs­kanonendonner. Glitzer mit Schleifchen. Auf N24 sieht man Hitler verlieren. Immer wieder. Obwohl er nicht den Nimbus des Verlierers hatte. Am Anfang. Auf den Programmen nach der 300 zeigen Frauen das Beste. Gottesgaben in Tüll. Glitzer mit Schleifchen. Bunte Eier. Ab und zu greift Heinz in die Gebäckschale aus Pressglas. Salzstangen und Flips. Brezeln und Chips. Heinz sitzt still. Draußen flattert die Welt. Hitzig will sich das Leben erneuern. Und dreht sich im Kreis. Die Gardine vor dem Fenster verhindert, dass Heinz das Flattern und Drehen sehen und sich aufregen muss. Abends lässt Heinz das Schnapprollo runter. Man sieht dann von draußen nicht, womit er sich beschäftigt gegen die Unruhe. Zum Beispiel mit Bier. Oder mit Kreuzworträtseln, in die vom Herausgeber immer schon ein paar Buchstaben eingetragen wurden, damit der Anfang nicht so schwerfällt. Köder. Wenn Heinz ein Wort nicht weiß, füllt er die Felder mit Erfundenem. Weil keiner es merkt, ist egal, ob er es richtig macht. Heinz genießt die Freiheit, sich Worte ausdenken zu dürfen, die niemand lesen wird, weil er die Zeitung, in der die Rätsel abgedruckt sind, am Ende zum Anheizen benutzt. Manchmal werden es kleine Romane, kompliziert ineinander verstrickte Handlungsmuster. Waagerecht und senkrecht. Liebesromane. Mag Heinz am meisten. Mit blauen Augen und Locken und viel Landschaft. Berge und Meer. Schafe und Kühe. Katzen und Hühner. Am Ende ein Kuss. Heinz ist Romantiker. Und allein. Weil Frauen das Weiche im Mann ablehnen. In Heinz. Ist es weich. Weil Frauen selber weich sind, suchen sie im Mann etwas Hartes. Glaubt Heinz. Man sieht es auch in den Filmen und Serien. In den Doku-Soaps. Im Vorabendprogramm. Kernige Typen und Damen mit Herz. Gegensätze ziehn sich an. Und aus. Heinz zappt durch die Sender. Greift zum Gebäck. Cracker sind auch hart. Kross. Auf RTL zeigen sie schon ab Februar flaumige Küken in grünen Kunkeln. Glitzer mit Schleifchen. Gottesgaben in Tüll. Das Beste. Auf N24 explodiert das Universum. Immer wieder. Bunte Planeten spritzen durch das All. Auf der 4: Bernd das Brot. Noch weicher als Heinz. Gefangen im System. Links raus und rechts wieder rein. Das Brot im Tütü. Das Brot mit Hut. Schöne Tage. Im Sommer. Im Winter. Im Herbst. Vor allem im Herbst. Weiche Farben überall, mit denen Heinz sich identifizieren kann. Schöne weiche Farben. Wenn es draußen stirbt, lebt Heinz auf. Viel Wind, kein Flattern. Schön.