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               Tobias Büscher
  
               
              Mal ganz unter uns: Wir Reisebuchschreiber sind 
                das "Gedöns" unter den Autoren. Im Sport wären 
                wir nicht mal Trikotbügler, in der Küche selbst als 
                Deko zu peinlich. Unser Ruf: Umsonst-Übernachter, Gratis-Restauranttester, 
                bestochene Langweiler mit Geheimtipps, die vielleicht vor der 
                Drucklegung welche waren. Wir haben nichts gelernt und können 
                nur eins: bei deutschem Nieselregen das Fernweh für den Jahresurlaub 
                manipulieren. Und zwar in einem Stil, der nach Erbarmen schreit. 
                Wir schreiben nicht: Der Strand hat Sand. Das wäre ja fair. 
                Wir schreiben: traumhafter Puderzuckerstrand. Bei uns sind Märkte 
                nicht praktisch, sondern quirlig, Buchten nicht oval, sondern 
                atemberaubend beschaulich. Ach, ist es dort schön! Das entspricht 
                den Statuten der entsprechenden Verlage. Zum Träumen bringen, 
                Fantasien anregen, Wohlfühlnuancen einstreuen, kurz: Realität 
                schönfärben. Besonders drastisch wird es, wenn wir nebenher 
                fotografieren und dabei genau dasselbe tun. Ein Bekannter war 
                mal mit einem meiner Bücher unterwegs und hat die Kirche 
                auf einem Bild kaum erkannt. Ich hatte sie so fotografiert, dass 
                die kalten Wohnblöcke daneben nicht zu sehen waren. Sonst 
                hätte ich das Bild nie verkauft, hab ich ihm gesagt. Auch 
                müsse man immer junge, knackige Menschen auf den Fotos haben, 
                ab fünfundzwanzig geht nichts mehr, nimmt uns keiner ab. 
                Er hat nur mit dem Kopf geschüttelt und diesen Ausdruck im 
                Gesicht gehabt, den er hat, wenn ihm jemand wirklich leid tut. 
                Eine Text-Bild-Schere, so viel ist sicher, gibt es nicht bei Reisebüchern. 
                Im Gegenteil: Text und Bild ergänzen sich perfekt. Schöne, 
                junge, heile Welt. Dagegen sind die Werbefachleute von Oil of 
                Olaz Fanatiker radikal klarer Betrachtungsweisen. 
                Reisen tun wir auch nicht viel. Manche Autoren finden ihre Bücher 
                so gelungen, dass sie ernsthaft überlegen, nächstes 
                Jahr selbst mal hinzufahren. Sie glauben, ich mache Witze? Aber 
                nein. Und ich bin nicht viel besser. Einst hat mich eine attraktive 
                Frau mit Faible für fremde Länder als Begleiter ins 
                Auge gefasst, dann aber festgestellt: Der ist nicht viel unterwegs, 
                höchstens auf dem Fußballplatz. Linksverteidiger. Wenn 
                er nicht ganze Spiele auf SAT 1 guckt! Aber Fußball ist 
                nicht nur kreativer, es ist auch weniger zerstörerisch als 
                Reiserei und Reiseschreiberei. Kalorien- statt Kerosinverbrauch! 
              Lohn und Niveau - tiefer gelegt 
              Der eine Verlag wirbt mit: "Wenn andere 
                noch überlegen, bist Du schon weg", der andere mit: 
                "Man sieht nur, was man weiß." Goethe reloaded. 
                Lassen Sie sich diesen Spruch auf der Zunge zergehen. Nur wenn 
                Sie unsere (mäßig bezahlten) Autoren lesen, haben Sie 
                also das Wissen, sehend durch Ihr Urlaubsgebiet zu fahren. Die 
                Wahrheit ist: Ich habe immer nur geschrieben, was ich wusste. 
                Man schreibt nur, was man weiß. Und das war nicht allzu 
                viel. Das Pikante daran ist allerdings: Die Inhalte wussten dann 
                meine Leser und alle Autoren, die so gern von mir abschreiben. 
                Haben die den Verstand verloren? Ich habe Sachen geschrieben, 
                das glauben Sie nicht, habe Verdi mit Vivaldi verwechselt, die 
                Entenmuschel für ein Säugetier gehalten, bei Romanik 
                ein T eingebaut. Merkt keiner. Außer Oberstudienräten, 
                und die stellen einen dann in Leserbriefen an die Wand. Richtig 
                so. Die bekommen nicht mal Mitleid, wenn man ihnen sagt, dass 
                kein Verlag dem Reisebuchautor mehr als 8 Prozent vom Nettoladenpreis 
                bezahlt. Manche gehen auf 5,5 Prozent runter. Glauben Sie nicht? 
                Aber hallo! Motto Nr. 2: Man saugt nur aus, wen man aussaugen 
                kann. Das war jetzt nicht Goethe. Soll aber keine Entschuldigung 
                sein, Herr Oberstudienrat. Sie haben völlig recht: Wer solche 
                Verträge unterschreibt, dem ist nicht mehr zu helfen. 
                Das ist unsere Welt. Und die gilt im Grunde auch für Reisejournalisten 
                von Tageszeitungen. Die verwechseln doch auch ständig Werbung 
                und Wertung. "Gedöns" sind die genau wie wir, haben 
                aber zusätzlich auf der internen Karriereleiter die Ellbogen 
                vergessen und schreiben nun über Rimini statt über Politik. 
                Ich war auch schon dabei. Man wird auf arrangierten Reisen durch 
                Hotelanlagen geschoben, und die Ansprechpartner sind freundlich 
                lächelnde Hotelmanager. Einen Kilometer weiter werden afrikanische 
                Flüchtlinge angespült? Egal. Wir machen doch Reise. 
                Und dann gehts an die Arbeit: Aufmacherbild. Dreispalter. 
                Reizend hier. Fertig. Wer redet da noch von Recherche, von pointierter 
                Sicht, von Sinnlichkeit und Engagement? Egon Erwin Kisch ist tot. 
                Es lebe das Nichts. Aber immerhin sind Tageszeitungsjournalisten 
                noch einigermaßen in Lohn und Brot, wir dagegen sollten 
                Ehepartner von Siemens-Managern im Ausland werden - betrogen, 
                aber reich - , sonst verhungern wir noch. 
              Ruhm - plötzlich 
              Nur wenn wir über den Jakobsweg veröffentlicht 
                haben - und das habe ich mehrmals, etwa unter dem Titel Nordspanien. 
                Jakobsweg, sind wir plötzlich wer. Im Fernsehen werden 
                wir hofiert, im Deutschlandfunk sind wir im einstündigen 
                Gespräch mit dem Ressortleiter zu hören und sagen einem 
                Millionenpublikum Sätze wie: "Der Jakobsweg ist im Grunde 
                eine Reise zu sich selbst." Oder: "Es gibt einen Unterschied 
                zwischen Pilgern und Laufen." Meine Güte! Wir dürfen 
                sogar bei Karstadt Vorträge halten und dann Fragen beantworten 
                wie: "Herr Büscher, wie haben Sie den Weg spirituell 
                erlebt?" Die ehrliche Antwort wäre gewesen: "Gar 
                nicht, ich hab euren Massentrampelpfad überhaupt nicht erlebt!" 
                Und auf Partys in Köln bin ich neuerdings der Hit, schlichtweg 
                mystisch, fast umgeben von einem Hauch Coelho. "Das ist ja 
                spannend, Tobias 
" - früher wären sie 
                zum Prosecco-Kühlschrank geflüchtet, wenn ich das Wort 
                Jakobsweg nur erwähnt hätte. Die hätten mich stehen 
                lassen. Heute pochert es, es kerkelt geradezu, ich bin neuerdings 
                umringt von Bewunderern und richtig stolz auf mich. Und ich betrinke 
                mich auf solchen Partys unter wohlwollenden Augen, denn dann brauche 
                ich nicht darüber nachzudenken, was ich angerichtet habe. 
              Unsere Texte zerstören Landschaften und Kulturen 
              Der Norden jenseits von Sangria und Flamenco 
                - ihn zu schildern, fand ich viel ehrenhafter als die touristischen 
                Hochburgen zu beschreiben. Diese Teutonen, dachte ich, sollen 
                ruhig auf ihre Insel - ich schreibe was Spannendes: Neuland, 
                Abenteuer, entlegene Ortschaften ohne Strom. Entdeckungstouren. 
                Der Norden, das war es, diese unentdeckten Gebiete am Ende der 
                Welt. Vor lauter Selbstverwirklichung war mir gar nicht klar: 
                Das wird am Ende das Ende für diese Welt. Mallorca oder der 
                Costa Blanca kann man nichts anhaben, diese Reiseziele sind komplett 
                schmerzfrei. Wohl aber einer Gegend wie Galicien, über die 
                damals fast noch niemand geschrieben hatte. Gleich für mehrere 
                Projekte habe ich Orte in den inneren Provinzen aufgesucht, deren 
                Bewohner von Franco nicht für den Bürgerkrieg rekrutiert 
                wurden, weil niemand wusste, dass es sie gab. Steinalte Männer 
                haben mich neugierig angesehen und zur Kohlsuppe eingeladen. Das 
                war idyllisch. Bis zu den Veröffentlichungen. Pionierreisen 
                führen zu grausamen Entwicklungen - das hat man schon 
                bei Kolumbus gesehen. Es kamen reihenweise ungebetene Gäste, 
                die es keineswegs dabei beließen, so zu tun, als seien sie 
                zu Hause. 
                Auf dem Jakobsweg ist es inzwischen voller als in den Bars von 
                El Arenal, aber daran ist Hape schuld. Für Verlage ist der 
                Camino seither ohnehin ein lohnender Marketingtrick. Nordspanien 
                verkauft sich nicht gut. Nordspanien. Jakobsweg viel besser. Gewandert 
                bin ich ihn übrigens nur den einen oder anderen Meter. Wozu 
                auch mehr? Man kann auch so darüber schreiben. Und Schlange 
                stehen vor der romanischen Brücke? Im Stechschritt zur nächsten 
                Herberge, damit man noch unter den ersten vierzig ist und einen 
                Platz bekommt? Und dann das Schnarchen und Ausdünstungen 
                wie in der Jugendherberge? Nervtötende Gesinnungsläufer, 
                die an einem dranbleiben, so sehr man auch den Schritt beschleunigt? 
                Bloß nicht! Wo ich allerdings war, sehr ausführlich 
                sogar, das war im nordspanischen Galicien. Schlimm ist, was ich 
                mit dieser Region gemacht habe. Ich habe über Wildpferde 
                geschrieben und über einen Kinderstaat, den ein Jesuitenpater 
                mit zotteligen Straßenbengeln ins Leben gerufen hat. Ich 
                war mit Fischern vor der gefährlichen Küste unterwegs 
                und habe mit einer Hexe im Schatten der Jakobskathedrale über 
                Glaube und Aberglaube, keltische Elemente und Intuition gesprochen 
                und das Gespräch wörtlich ins Buch gebracht. Ich habe 
                wild romantische Steilküsten fotografiert, kleine versteckte 
                Inselchen, schöne, lebendige Dorffeste (ohne Müll), 
                die Strände der Rias Bajas. Und mit all dem hab ich den gierig 
                neugierigen Pulk angelockt. Was glauben Sie denn? Ein spanischer 
                Journalist notierte vor kurzem in der Voz de Galicia: "An 
                der Todesküste wimmelt es so von Deutschen, dass man die 
                Restschäden der Ölpest nicht mehr erkennt." Wunderbar 
                auf den Punkt gebracht hat er das. Die sind im Wohnmobil unterwegs, 
                mit Hund und Zelt, gucken in den Sonnenuntergang und werden jedes 
                Jahr mehr. Sind Sie auch aus Deutschland? 
              Erst kam mein Buch, dann die Animation 
               Denn danach kamen all die anderen Nordspanienbücher. 
                Horden tauchen nun dort auf, wo Wildpferde einst friedlich grasten. 
                Die stämmigen, kleinwüchsigen Tiere haben sich erschrocken, 
                in den letzten Wälderschutzgebieten parken Autos mit Mannheimer 
                Kennzeichen, die keltische Hexe wird von esoterischen Protestanten 
                belagert, die Winzer mit selbstgemachtem Tresterschnaps sind Opfer 
                von Schnäppchenjägern, die Inselchen quellen teutonisch 
                über, und die Buchten der Rias Bajas stöhnen unter der 
                Last eines massiven Individualtourismus. Individualtourismus? 
                Genauer betrachtet handelt es sich um Massentourismus. Wer bei 
                einer Auflage von 15.000 Exemplaren von Geheimtipps spricht, lügt, 
                und zwar schamlos. Doch wer ein Reisebuch in hoher Auflage über 
                ein weitgehend unbekanntes Gebiet veröffentlicht, gehört 
                hinter Gittern. 
                Reisebuchautoren können nichts? Oh doch. Sie können 
                Landschaften beschädigen, gereifte Kulturen verwüsten, 
                lokale Bräuche mit Fremdenverkehr vergewaltigen. Nachhaltig. 
                Sie können den Menschen ihre Lieblingsorte nehmen, weil dort 
                nun Parkplätze gebaut sind. Sie wirken verheerend. Fast wie 
                TUI. Und das ist um Längen dramatischer als ein paar alberne 
                Adjektive im Manuskript. Oft habe ich mich damit getröstet, 
                dass die Hostal-Besitzerin Maria in Santiago nur über die 
                Runden kommt, weil ihre Unterkunft in meinem Buch steht und ständig 
                Pärchen aus Alemania bei ihr wohnen. Doch die Blicke früherer 
                galicischer Freunde sollten Sie mal sehen, die mir deutlich machen, 
                dass ich meinesgleichen über ihre Heimat habe herfallen lassen: 
                über ihre Bars, ihre Häfen, ihre Märkte. Über 
                ihr Leben. 
                Hätte ich doch über Mallorca geschrieben, damals. Nordspaniens 
                abgeschiedene Regionen wären wohl noch jahrelang verschont 
                geblieben. Oder besser noch: Hätte ich doch etwas Anständiges 
                gelernt. Tischler oder so. Dann wäre ich kein "Gedöns", 
                sondern ein Mann in den besten Jahren mit aufrechtem Gang. Entschuldigung, 
                Nordspanien - ich kann es nicht mehr rückgängig 
                machen. Aber wenigstens kauft nun kein Am-Erker-Leser mehr mein 
                Buch. Und glauben Sie mir: Das ist verdammt gut so. 
               PS: Ich bin dann mal kicken. 
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