Martin Ebbertz
Manchmal gingen Huscheid und ich auf dem Dorf
zum Tanz, das hieß in der Eifel auf die Músik.
Ich verbrachte dann das Wochenende bei Huscheid in Halsig. Huscheids
Mutter gab uns Anweisungen. "Also, zuerst tanzt ihr mit den
Mädchen aus Halsig," sagte Huscheids Mutter, "und
zwar mit allen, und dann mit den Mädchen aus Kronfels, und
dann erst dürft ihr tanzen, mit wem ihr wollt."
Als Huscheids Mutter aus dem Zimmer war, spielte Huscheid ein
fetziges Stück auf der Luftgitarre. Ich stellte mich in eine
Ecke und legte meine Arme um meine eigenen Schultern. Meine Hände
machten Kreise und meine Finger zärtliche Bewegungen auf
den Schulterblättern. Das sah von hinten täuschend echt
aus, wie ein Liebespaar.
"Aber nicht so!", sagte Huscheids Mutter, die noch einmal
ins Zimmer schaute. Sie brachte uns Tanzschritte bei, Eifelfox,
was wohl ein vereinfachter Foxtrott war, und Walzer. Dim tata
dada di dim tata ...
Wir standen dann allerdings mehr an der Theke oder mit verschränkten
Armen am Rand der Tanzfläche, als mit den Mädchen aus
Halsig und Kronfels zu tanzen.
Überhaupt gingen wir nicht so gern in Halsig auf die Músik,
weil wir dort zu sehr unter Beobachtung standen. Meistens aber
fand sich am fortgeschrittenen Abend ein mehr oder weniger nüchterner
Fahrer, der eine andere Músik in einem anderen Dorf ansteuerte.
Ab zwölf war der Eintritt überall frei.
Es war kurz vor elf, aber wir überquerten die Zeitzone und
fuhren nach Bofingen in die belgische Eifel. Dort nämlich
war wegen Sommerzeit die Uhr eine Stunde vorgestellt, auf deutscher
Seite damals nicht.
Wir fuhren in einem Renault mit Überrollbügel. Außer
dem Fahrer waren seine Freundin und noch ein Mädchen dabei,
so dass wir unsere Köpfe irgendwie am Überrollbügel
vorbeiquetschen mussten. Der Fahrer raste wie eine gesengte Sau,
und wir kamen ziemlich pünktlich um elf Uhr in Bofingen an.
Das heißt, für die Belgier war ja schon Mitternacht,
nur wir hatten erst elf, und schon so früh freien Eintritt.
Das waren so unsere Tricks!
Wegen der einen Stunde Vorsprung waren die meisten Belgier auch
schon ein bisschen betrunkener als wir.
Huscheid und ich tanzten mit zwei Mädchen, die noch nicht
vergeben waren.
Meine hieß Angelika. Sie war dunkelblond, hatte ein rundes
Gesicht und sah von weitem ganz attraktiv aus, hatte aber ziemlich
schlechte Zähne. Ich schleppte sie ab in die Sektbar, gab
fast meine ganzen Ersparnisse für Asbach-Cola aus, und tatsächlich
kam es zur Annäherung in Form von mehreren Küssen, aber
dann plötzlich erfasste mich ein Ekel ihrer Zähne wegen,
und ich ließ sie einfach stehen.
Huscheid hatte es anscheinend besser getroffen, jedenfalls verschwand
er für eine Weile mit seinem Mädchen draußen hinter
dem Saal.
Weil er so lange nicht kam, ärgerte ich mich, dass ich Angelika
voreilig den Laufpass gegeben hatte. Ich ging sogar wieder in
die Sektbar und schaute, ob sie noch dort war. Aber nichts zu
sehen. Ich trank drei Bier, und dann endlich kam Huscheid.
"Boah, war die scharf", sagte Huscheid und bestellte
zwei Asbach- Cola. Wir, Huscheid und ich, tranken Bier, wenn wir
unter uns waren, und Asbach-Cola sonst nur zusammen mit Mädchen.
Ich sagte aber nichts und nippte an meinem Glas.
"Und deine?", fragte Huscheid.
Mir fiel ein Lied von Udo Lindenberg ein. "Angeilika aus
Winsen an der Luhe", begann ich zu brummen, "die lässt
nämlich keinen Star in Ruhe ..."
Huscheid nickte wissend, und ich brauchte weiter nichts zu sagen.
"Noch was zu trinken?", fragte der Mann hinter der Theke.
"Hier ist nämlich letzte Runde."
Verdammt, es war fast schon drei Uhr. Ich bestellte zwei Bier,
Huscheid hatte nichts dagegen und bestand nicht darauf, mit Asbach-Cola
weiter zumachen.
Dann suchten wir unseren Fahrer. Der lag in einer Ecke des Saals
und sah ziemlich tot aus. Seine Freundin kroch über den mit
feinem Sand bestreuten Boden der Tanzfläche und suchte eine
verlorene Kontaktlinse.
"Letztes Bier", sagte Huscheid mahnend, "wir müssen!"
"Wir fahren gleich", sagte die Freundin des Fahrers.
Aber der Fahrer sah nicht so aus, als ob er schon fahren konnte
oder wollte, und die Linse fehlte auch noch.
Plötzlich sah ich Angelika und torkelte auf sie zu. "Erinnerst
du dich", sagte ich. "Weißt du noch?"
Sie würdigte mich keines Blickes und verließ den Saal.
"Lasst uns Belgien verlassen, dieses traurige Land",
sagte ich zu Huscheid, und wir gaben unserem Fahrer, der immer
noch auf dem Boden lag, ein paar kräftige Fußtritte.
Zum Glück spielten die Zöllner gerade Skat, als wir
die Grenze überquerten, oder sie pennten. Unglaublich, dass
die laute Musik, die aus dem Autofenster dröhnte, sie nicht
weckte. Wir erreichten in Schlangenlinien das Territorium der
BRD. Die Freundin des Fahrers heulte die ganze Zeit, vielleicht
wegen der Kontaktlinse oder was weiß ich. Das andere Mädchen,
das uns auf dem Hinweg begleitet hatte, war verschwunden.
Der Fahrer setzte das Auto krachend in einen Straßengraben.
"Wo sind wir?", fragte Huscheid.
Die Freundin des Fahrers schluchzte: "Wie soll ich das wissen.
Ich kann doch nichts sehen." Was übertrieben war, denn
eine Linse hatte sie ja wohl noch.
"Wir sind in Halsig!", rief Huscheid plötzlich
triumphierend auf.
Tatsächlich, wir befanden uns in Halsig, keine fünfzig
Meter vom Saal entfernt. Der Fahrer schlief sofort am Steuer ein.
Von seinen Lippen tropfte Blut auf das Lenkrad.
Seine Freundin schaltete den Cassettenrecorder aus und begleitete
uns.
In Halsig gab es keine Sommerzeit, es war jetzt erst kurz vor
drei - die Halsiger waren noch nicht müde und standen
an der Theke. Die Mädchen aus Halsig und Kronfels knutschten
mit irgendwelchen fremden Jungs in der Sektbar.
"Es sind unsere Mädchen", stellte Huscheid etwas
eifersüchtig fest.
"Eure Mädchen", sagte ich, denn Huscheid kam aus
Halsig, ich aber nicht.
"Letztes Bier", rief der Mann am Zapfhahn.
Da mussten wir nochmal ran. So tranken wir in einer einzigen Nacht
zweimal ein letztes Bier, und zum Schluss wankten wir müde
nach Hause.
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