Texte
Am Erker 52, Münster, November 2006
 

Marion Gay
Money for nothing

Wir treffen uns um acht im Hotel. Stickige Lobby, braune Sessel, brauner Teppichboden. Staubpartikelchen in der Luft. Mehrere Frauen, sieben oder acht. "Wir warten noch auf Frau Pliedunk", heißt es, und dann rauscht sie herein, lange schwarze Haare, klackernde Absätze, eine enge schwarze Hose. Dick geschminkt. Michaela und ich werden ihr zugeteilt. Ich pflanze mich auf den Beifahrersitz und Frau Pliedunk brettert los, gibt Gas, bremst, gibt Gas, achtzig auf der Wilhelmstraße, sie wechselt zwischen den Fahrstreifen, zack, die Ampel war rot, am liebsten geht sie ins Autokino, sagt sie, sie wohnt irgendwo hinter Dortmund, Bochum, Essen, keine Ahnung, sie kennt sich jedenfalls aus im Ruhrgebiet, jagt über die Autobahn, Schornsteine am Horizont, Kraftwerke rechts und links, und ruckzuck sind wir in Oberhausen am Plaza.
Wir biegen ins Parkhaus und klauben die Lostrommel in mehreren Einzelteilen aus dem Kofferraum. Frau Pliedunk montiert sie zusammen, presst die beiden Kugelhälften aneinander und wirft ein paar Karten hinein. Die anderen verteilt sie - Michaela einen Stapel, ich einen, sie den größten.
Wir schleppen Tische und Kartons und bauen uns im Bereich vor den Kassen auf.
Parfüm 29,90 Euro, Shampoo 19,90 Euro - Einführungspreis, das Zeug kommt frisch aus Paris. Später wird es das Doppelte in der Parfümerie kosten. Sollen wir sagen.
Frau Pliedunk klackert mit den Karten in der Hand hinter den Leuten her.
"Wer ist der Glückliche? Wer gewinnt die Reise an die Côte d'Azur? Was, Sie wollen nicht? Ja, gibt's denn so was? Aber Parfüm kaufen können Sie trotzdem!"
Ich pirsche mich lieber vorsichtig an die Leute heran: "Entschuldigen Sie, wir machen hier ein Preisausschreiben", und anschließend lasse ich sie am Parfüm schnuppern. Ich verstehe, dass sie es nicht kaufen wollen, es stinkt ziemlich, und das teure Shampoo braucht auch kein Mensch. Ein Typ mit Wuschelkopf ist nett. Wenn er die Reise gewinnt, nimmt er mich mit, verspricht er, und aus Spaß schlage ich ihm das Shampoo vor, für seine Locken wäre das bestimmt klasse. Ich kann es nicht glauben, aber er nimmt es, und ich suche nach Wechselgeld, krame schon in dem Kästchen von Frau Pliedunk, aber: "Von wegen! Sehen Sie selbst zu!" Und ich renne mit dem Zwanzigeuroschein zu den Kassen, die schicken mich zum Brotstand und die mich zum Schuster. Der Nette wartet geduldig auf seine zehn Cent.
Michaela hat noch gar nichts verkauft. Es ist Mittag und wir haben Hunger.
"Ja, ja, gehen Sie ruhig!" wimmelt uns Frau Pliedunk ab, sie selbst verzichtet auf die Pause, und Michaela und ich bestellen uns ne Pizza an der Bude gegenüber.
"Magst du die leiden?" fragt mich Michaela.
"Na ja, schon toll, wie die verkauft."
"Die ist so alt wie wir. Ich hab gefragt, ob wir uns duzen, da ist sie mir fast mit dem Arsch ins Gesicht gesprungen."
Michaela ist entlassen worden. Sie will das hier drei Monate lang machen, danach sucht sie sich was Richtiges. Ich hatte an einen Monat gedacht, tausend Euro haben sie mir dafür versprochen, leicht verdientes Geld, dachte ich, aber mir ist jetzt schon die Lust vergangen.
Der Nachmittag zieht sich. Die Luft ist schlecht. Ich kann nicht mehr stehen.
Kurz vor Ladenschluss verkaufe ich überraschend eine Flasche Parfüm. Michaela hat immer noch nichts.
Dagegen ist Frau Pliedunks Kästchen voll.
Endlich packen wir unsere Tische, Kartons und die Lostrommel ein. Karten sind genug ausgefüllt worden. Wir nehmen einen ganzen Schwung aus der Trommel und stopfen ihn auf dem Weg zur Autobahn in einen Müllcontainer.
Es geht noch nicht nach Hause, der Chef will uns sehen, und wir fahren durch die Dunkelheit hoch ins Münsterland, irgendwohin, bis weiße Mauern und ein Eisentor vor uns auftauchen, eine Villa im spanischen Stil.
Unter dem Dach sind an einem großen Tisch etwa fünfzehn Frauen versammelt. Die Luft ist zum Schneiden. Zigarettenqualm. Ich schwitze. Eine kleine Asiatin ist jetzt dreimal in Folge Mitarbeiterin der Woche geworden, aber Frau Pliedunk meint, diese Woche würde sie es schaffen. Michaela und ich gähnen. Worauf warten wir eigentlich?
Ein paar Stunden vergehen, bis wir einzeln hereingerufen werden, in ein holzvertäfeltes Büro, wo der Chef in einem schwarzen Ledersessel thront. Ich komme als vorletzte an die Reihe, nur noch Michaela ist nach mir.
Zwei Verkäufe, für den Anfang nicht schlecht, ich darf morgen wiederkommen. Und Michaela auch, obwohl sie nichts verkauft hat.
Es ist weit nach Mitternacht, als wir fahren können.
Bloß wie? Frau Pliedunk hat keine Lust, wegen uns noch mal den Umweg zu machen. Bus und Bahn? Zwecklos. Aber wir haben Glück, der Chef gibt uns sein Golf-Cabrio als Firmenwagen. Nur blöd, dass weder Michaela noch ich unsere Brillen dabei haben. Wir schleichen über die Autobahn, bleiben hinter einem dieser ukrainischen Lastwagen, und es ist schon fast morgens, als mich Michaela zu Hause absetzt.
Ich schleppe mich nur noch ins Bett und penne bis zum Nachmittag. Das war's mit dem Job. Das war's mit dem Geld.

Ein paar Monate später treffe ich zufällig Michaela in der Stadt. Vier Wochen hat sie durchgehalten, erzählt sie. Und sogar was verkauft. Allerdings, Geld gab's für sie auch nicht. Das haben sie für das Golf- Cabrio einbehalten.