Burkhard Spinnen
Am Morgen wird Kortschläger entlassen. New
economy, sagt Dörfler. Heute noch auf hohen Rossen, morgen
durch die Brust geschossen. Kortschläger bleibt vollkommen
ruhig. Wenn er Dörfler wäre, würde er das gleiche
tun. So muss man denken. Dann packt er in Ruhe seine privaten
Sachen in eine Plastiktüte.
Am Abend ist das große Abschlussessen im Kochseminar. Es
soll Ente geben. Ente ist die Krönung, hat Sven, ihr Lehrer,
gesagt. An Ente könne man einfach am meisten verderben. Aber
wenn bei Ente alles stimme - ja, dann lecke sich jeder die Finger.
Kortschläger überlegt kurz, ob er nicht zu Hause bleiben
und sich betrinken soll. Aber Dörfler wird sich auch nicht
betrinken. Dörfler wird im Büro bleiben und sich weitere
Einsparungen überlegen. Außerdem gibt es heute Abend
nach dem Essen ein Diplom, das Kortschläger einrahmen und
im Flur aufhängen will. Er nimmt den Bus, zu Ente gehört
schließlich ein guter Tropfen.
Die Teilnehmer des Kochseminars tragen alle festliche Kleidung,
darüber weiße Kittelschürzen. Es herrscht die
allerbeste Stimmung. Auf dem großen Tisch liegen acht Enten,
je eine für zwei Personen. Viel zu viel, aber heute soll
es einmal nicht darauf ankommen. Sven gibt den Plan aus: Zweimal
Ente mit Orangensauce, zweimal mit Pfirsich, zweimal mit Ananas,
zweimal mit Granatapfel.
Und los!, sagt Sven. Paare bilden und Anfangen mit dem Ausnehmen.
Kortschläger steht neben Miriam, das ist beim letzten Mal
vereinbart worden. Miriam ist zehn Jahre jünger als er und
Unternehmensberaterin. Ziemlich eklig, sagt er, aber Miriam schüttelt
den Kopf. Man muss schon wissen, was man isst. Nur dann kann man
es auch genießen. Sie will in die Ente greifen, doch sie
hält inne. Sie schaut an sich herunter.
Und, sagt Kortschläger, wie sieht's allgemein aus.
Überall Flaute, sagt Miriam, nur nicht bei uns. Sie lacht,
sie schaut auf ihre Hände. Dann bindet sie ihre Kittelschürze
los, legt sie ab und gleich darauf ihre weiße Bluse. Einen
Moment steht sie im BH neben Kortschläger. Der BH ist rot,
seine Träger haben ein Muster. Wie zwei Filmstreifen, denkt
Kortschläger. Miriam zieht die Schürze wieder an. Blut
an den Händen, sagt sie, ist kein Problem. Aber nicht an
meiner besten Bluse!
Kortschläger hat den Atem angehalten. Es ist laut im Raum.
Niemand schaut her. Übrigens, sagt er, mich haben sie heute
Morgen gefeuert. Miriam greift in die Ente. Sie schreit. Dann
zieht sie einen Plastikbeutel heraus, in dem die Innereien sauber
übereinander liegen. Sie schüttelt den Kopf. Dann sieht
sie Kortschläger an. Schlimm!, sagt sie. Üble Zeiten.
Sie reicht ihm ein Messer und eine Orange. Die Schale in sehr
schmale Streifen schneiden. - Ob er das schaffe?
Kortschläger nimmt das Messer. Sicher, sagt er. Miriam lächelt
ihn an. Auf ihrer Schulter leuchtet neben dem weißen Träger
der Schürze der rote vom BH. Kortschläger nimmt die
Orange. Vorsichtig setzt er das Messer an.
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